Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter Benjamin страница 95

Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert) - Walter  Benjamin

Скачать книгу

kleine Kinder als Entschuldigungsgrund; denn alle kranken Personen und kleine Kinder (du kennst hoffentlich das Kirchengebet, doch fürchte ich, du kennst es nicht!) bin ich entschlossen auszurotten. Und wenn du etwa wagtest, verzweifelter, undankbarer, gottloser, betrügerischer Weise wagtest, dich zu ersäufen oder zu erhängen, so werde ich kein Mitleid mit dir haben, denn ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt, allen Selbstmord auszurotten. Wenn es etwas gibt«, sagte der Ratsherr mit selbstzufriedenem Lächeln, »was ich meinen Sinn ernstlicher und unwiderruflicher beschlossen habe als alles übrige, so ist es die Ausrottung des Selbstmordes.

      Versuch’ es also ja nicht, verstehst du mich? Ha, ha, ha, wir verstehen einander, das wußt’ ich wohl.«

      Toby wußte nicht, ob er sich grämen oder freuen sollte, daß Meg totenblaß geworden war und die Hand ihres Geliebten losgelassen hatte.

      »Was Euch angeht, Ihr törichter Mensch«, sagte der Ratsherr, sich mit noch größerem Vergnügen an den jungen Schmied wendend, »was denkt Ihr eigentlich, wenn Ihr heiraten wollt? Zu welchem Zwecke braucht Ihr Euch zu verheiraten, Ihr dummer Kerl? Wenn ich ein hübscher, junger, kräftiger Bursche wäre wie Ihr, ich würde mich schämen, ein solcher Jüngling zu sein und mich an eine Schürze zu hängen! Zum Kuckuck, sie wird ein altes Weib sein, ehe Ihr ein Mann in den besten Jahren seid! Ihr werdet ein lächerliches Schauspiel bieten, wenn Euch dann eine schlampige Frau und eine Herde Kinder, die schreien und heulen, überall nachlaufen werden!«

      O, er verstand es, die gemeinen Leute zu peinigen, der gute Ratsherr Cute!

      »Nun macht, daß Ihr fortkommt«, sagte der Ratsherr, »und bereut. Macht Euch nicht so zum Narren, am Neujahrstage zu heiraten! Ihr werdet ganz anders darüber denken, ehe der nächste Neujahrstag kommt: ein hübscher, junger Bursch wie Ihr, dem alle Mädel nachgucken. Nun geht Eure Wege!«

      Und sie gingen ihrer Wege, aber nicht Arm in Arm oder Hand in Hand oder fröhliche Blicke austauschend, sondern sie in Tränen, er traurig und niedergeschlagen. Waren dies die Herzen, die noch vor kurzem Tobys Herz vor Freude höher schlagen ließen, trotz seiner Verzagtheit? Nein, Nein! Der Ratsherr (der Himmel behüt’ ihn in Gnaden!) hatte die Freude in diesen Herzen ausgerottet.

      »Da Ihr gerade hier seid«, sagte der Ratsherr zu Toby, »sollt Ihr mir einen Brief forttragen. Könnt Ihr schnell laufen? Ihr seid ein alter Mann.«

      Toby, der ganz verdutzt seiner Meg nachgesehen hatte, beeilte sich zu erwidern, daß er sehr schnell und tüchtig sei.

      »Wie alt seid Ihr?« fragte der Ratsherr.

      »Ich bin über sechzig, Herr«, entgegnete Toby.

      »O, dieser Mann ist ein gutes Stück über das mittlere Alter hinaus«, sagte Mr. Filer unterbrechend, als wenn seine Geduld zwar fast unerschöpflich sei, dies aber heißt die Sachen ein wenig zu weit treiben.

      »Ich sehe, ich störe hier«, sagte Toby. »Ach – ich fürchtete dies schon heute morgen. O du lieber Himmel!«

      Der Ratsherr fiel ihm in die Rede, indem er ihm den Brief übergab. Toby würde vielleicht einen Schilling bekommen haben; da aber Mr. Filer klar bewies, daß er in diesem Falle eine gewisse Anzahl von Personen, um so und so viel die Person, berauben würde, bekam er bloß einen halben Schilling und er war noch sehr froh, diesen zu erhalten.

      Dann reichte der Ratsherr jedem seiner Freunde einen Arm und entfernte sich hochmütig; sogleich aber kam er allein zurück, als wenn er etwas vergessen hätte.

      »Packträger«, sagte der Ratsherr.

      »Herr«, erwiderte Toby.

      »Nehmt Eure Tochter gut in acht. Sie ist viel zu hübsch!«

      »Selbst ihr hübsches Gesicht muß sie jemandem gestohlen haben«, dachte Toby und sah sich seinen halben Schilling an, während er an die Kaldaunen dachte. »Sie hat wahrscheinlich fünfhundert Damen jeder einen Reiz gestohlen. Es ist schrecklich!«

      »Sie ist viel zu hübsch, Mann«, wiederholte der Ratsherr. »Die Dinge stehen so, daß Eure Tochter kein gutes Ende nehmen wird, das sehe ich schon. Merkt Euch, was ich sage. Nehmt sie gut in acht!« Damit eilte er wieder fort.

      »Unrecht überall; unrecht überall!« sagte Toby und schlug die Hände zusammen. »Von Natur sind wir böse und haben keine Ursache auf der Welt zu sein!«

      Während er diese Worte sagte, klangen die Glocken auf ihn nieder. Voll, laut und klangvoll, doch nicht trostbringend. Nein, nicht im mindesten.

      »Die Weise klingt ganz anders«, sagte der alte Mann, als er wie immer lauschte. »Nicht ein Wort von all den Einbildungen kommt darin vor. Warum sollte es auch? Das neue Jahr geht mich ebensowenig an als das alte. Wenn ich nur erst tot wäre!«

      Immer noch ließen die Glocken ihren Klang erschallen, daß die Luft ordentlich voll davon zu sein schien. »Ausrotten, ausrotten! Alte gute Zeit, alte gute Zeit! Tatsachen und Zahlen, Tatsachen und Zahlen! Ausrotten, ausrotten!« Das sagten sie, wenn sie überhaupt etwas sagten, bis es Toby schwindelte.

      Er preßte seinen verstörten Kopf zwischen die Hände, als wenn derselbe auseinander springen wollte. Und das tat er zur rechten Zeit, denn er fand in einer den Brief, und da ihn dies an seinen Auftrag erinnerte, fiel er mechanisch in seinen gewöhnlichen Tritt und trabte fort.

      Zweites Viertel

       Inhaltsverzeichnis

      Der Brief, den Toby vom Ratsherrn Cute erhalten hatte, war an einen großen Mann in dem großen Distrikt der Stadt adressiert. In dem größten Distrikt der Stadt, hätte ich sagen sollen, denn er hieß bei seinen Bewohnern gewöhnlich »die Welt«.

      Der Brief schien in Tobys Hand mehr zu wiegen als ein anderer Brief. Nicht weil der Ratsherr denselben mit einem großen Wappen und unendlich viel Siegellack versiegelt hatte, sondern wegen des gewichtigen Namens auf der Adresse und des vielen, vielen Goldes und Silbers, das sich daran knüpfte.

      »Wie so ganz anders als bei uns!« dachte Toby in aller Einfalt, als er seine Blicke in dieser Richtung warf. »Dividiere die lebendigen Schildkröten der Stadt mit der Zahl der Vornehmen, die sie kaufen können, und er erhält nichts als seinen Teil! Den Leuten die Kaldaunen vor dem Munde wegzunehmen – dazu würde er zu stolz sein!«

      Mit unwillkürlicher Ehrfurcht vor einer so hohen Person schob Toby einen Zipfel seiner Schürze zwischen den Brief und seine Finger.

      »Seine Kinder«, sagte Toby, und in seine Augen traten fast Tränen, »seine Töchter – große Herren können um ihr Herz werben und sie heiraten; sie können glückliche Frauen und Mütter werden; sie können hübsch sein wie meine Meg –«

      Er konnte ihren Namen nicht aussprechen. Die Endsilbe schwoll in seiner Kehle zur Größe des ganzen Alphabets an.

      »Schon gut«, dachte Toby, »ich weiß, was ich meine. Das ist mehr als genug für mich.« Und unter diesem tröstlichen Gedanken trabte er weiter.

      Es war an dem Tage sehr kaltes, schneidendes Wetter. Die Luft war scharf und klar. Die Wintersonne, obgleich ihr keine Wärme entströmte, blickte glänzend nieder auf das Eis, das nicht zu schmelzen imstande war, und umgab es mit einem strahlenden Heiligenschein. Ein anderes Mal hätte Trotty von der Wintersonne eine Lehre für arme Leute entnehmen können; aber heute war sein

Скачать книгу