Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
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2.
Unter den Buden.
Der Wagen mit dem jungen Paar und den Kindern, der vorhin Henriettens Aufmerksamkeit erregt, fuhr noch eine Strecke durch das Menschengewühl im Schritt, bis er einen freieren Platz erreichte. Dort ließ der Kutscher die Pferde ein wenig austraben, und bald hielt das leichte Fuhrwerk vor einem nicht sehr großen, aber außerordentlich freundlich gelegenen herrschaftlichen Haus, an dessen Gartenpforte schon verschiedene dienstbare Geister standen, um die erwartete Herrschaft in Empfang zu nehmen.
Der junge Mann war, wie nur der Wagen hielt, rasch zuerst hinausgesprungen, und seine beiden Kleinen aufnehmend und den herbeieilenden Mädchen übergebend, half er der jungen Frau ebenfalls aus dem Wagen – aber sie bedurfte kaum seiner Hülfe.
Es war eine reizende, schlank gewachsene Gestalt, mit wundervollen goldblonden Haaren und lebendigen, aber doch so seelenvollen Augen, die aber kaum ihre Hand auf seinen Arm stützte, so leicht sprang sie selbst von dem Wagen herab. Aber unten blieb sie stehen, und einen halb neugierigen, halb ängstlichen Blick umherwerfend, sagte sie mit leiser, fast zitternder Stimme:
»Und sind wir denn wirklich hier in Haßburg, Felix? Haben wir endlich unser lang ersehntes Ziel erreicht?«
»Haßburg, gewiß,« lächelte ihr Gatte, indem er ihren Arm in den seinen zog und, von den Kindern und den Dienern gefolgt, dem Hause zuschritt – »und alles Andere wird sich auch wohl fügen. Jetzt aber, herziges Frauchen, zeige ich Dir vor allen Dingen unsere neue Heimath, und hoffe gewiß, daß Du mit mir zufrieden sein sollst.«
»Mein guter Felix – Du sorgst so für Alles!«
»Du wirst mir bezeugen müssen,« lächelte ihr Gatte, »daß ich mich diesmal selbst übertroffen habe.«
Und in der That hatte er nicht zu viel versprochen. Das freundliche Haus, das mitten in einem reizenden, wohlgepflegten Garten stand, glich einem kleinen Paradies. Alles war dabei wohl reich und ihrem Rang entsprechend, aber auch so einfach und geschmackvoll hergerichtet, daß, wie er mit seiner Gattin die Räume durchschritt, Helene, die junge Gräfin Rottack, kaum Worte fand, ihm dafür zu danken.
So durchwanderten sie das ganze Haus, und endlich, als sie so ziemlich Alles besichtigt hatten, traten sie hinaus auf einen kleinen eisernen Balkon. Hier aber eröffnete sich ihnen ein wunderliebliches Landschaftsbild nach den, Haßburg umschließenden Hügeln und Hängen hinüber, und Helene, von der Aussicht wirklich entzückt und überrascht, flüsterte, indem sie ihr Haupt an des Gatten Schulter schmiegte:
»Wie soll ich es Dir danken, Felix, daß Du so meinen kleinsten, vielleicht thörichten Wunsch erfüllt? Wie soll ich überhaupt je im Leben das wieder gut machen, was Du schon in den wenigen Jahren für mich – für das arme, freundlose Kind – für die Waise gethan? – Ich weiß es nicht – mein ganzes Herz ist nur erfüllt von dem Einen Gefühl des Dankes, der Liebe für Dich, Du guter Mann!«
»Meine Helene – mein liebes Herz!« rief Graf Rottack, sie an sich pressend – »wer von uns ist dem Andern denn mehr zu Dank verpflichtet, Du mir, oder ich Dir? Was anders habe ich gethan, als nur die Liebe erwidert, die Du mir entgegenbrachtest, während Du Dein ganzes Glück, Dein ganzes Leben vertrauensvoll in meine Hände legtest!«
»Mein Felix!«
»Was wäre aus mir geworden,« fuhr der junge Mann fort, sie immer noch in seinem Arm haltend, »wenn Du Dich damals meiner nicht angenommen? In einer Stimmung, die mich der tollsten Streiche fähig machte, wäre ich vielleicht zu Grunde gegangen. Du allein hast mich dem Leben erhalten, und gebe nur Gott, daß ich Dir, armes Herz, auch den Frieden wiedergeben könne, nach dem Du Dich sehnst – daß ich Dir das Einzige verschaffe, was bisher nicht in meinen Kräften stand – die Liebe Deiner Mutter!«
»Und hast Du jetzt nicht den Schritt gethan, der uns ihr näher bringen mußte?« sagte Helene herzlich.
»Ja, mein Schatz,« erwiderte Graf Felix, indem er sie losließ und sich mit der Hand wie verlegen durch die dunkeln Locken fuhr – »aber – ich möchte nicht, daß Du Dich dadurch zu großen Erwartungen hingäbst, und ich – fürchte – wir sind jetzt gerade noch so weit von unserem Ziel entfernt, wie früher.«
»Du hast kein Vertrauen zu ihr...«
»Aufrichtig gesagt, nein,« erwiderte ihr Gatte. »Du weißt, daß die Gräfin Monford, als wir vor fünf Jahren aus Brasilien zurückkehrten, mit ihrem Gatten auf Reisen war und sich drei Jahre lang in Italien, Griechenland und Egypten amüsirte. Dann kehrten sie auf wenige Monate zurück und gingen wieder nach Paris und London, so daß eben kein Halt an sie zu bekommen war. Jetzt endlich haben sie sich seit etwa sechs Monaten hier bei Haßburg auf ihrem alten Stammsitz niedergelassen, und ich war im Stande, die genauesten Erkundigungen über sie einzuziehen.«
»Und was können fremde Menschen über sie sagen?«
»Fremde Menschen wissen genau, wie sie sich fremden Menschen zeigt,« sagte Graf Rottack achselzuckend, »und wir selber müssen vollkommen darauf gefaßt sein, als Fremde von ihr behandelt zu werden.«
»Die eigene Tochter?«
»Liebes Kind, Du vergißt, daß sie Dich nicht öffentlich anerkennen darf, wenn sie sich nicht in den Augen der Welt vollständig compromittiren will. Graf Monford ist dabei nicht allein ein sehr reicher, sondern auch entsetzlich stolzer Herr, der an seinem Stammbaum mit einer Verehrung hängt, als ob ihn Gott der Herr damals dem Altvater Noah mit den ersten Weinreben in den Garten gepflanzt hätte. Einen Flecken darauf, sobald er nur eine Ahnung davon bekäme, würde er für mehr als ein Unglück, er würde ihn für das Verderben seines ganzen Hauses halten, und erhielte er die Gewißheit des Geschehenen, so zerrisse er – glaube mir, ich kenne dergleichen Herren – nachsichts- und erbarmungslos die Bande, die ihn an seine Gattin fesseln. Und seine Gattin weiß das, darauf kannst Du Dich verlassen.«
»Aber das Gefühl muß ja doch in ihr sprechen,« sagte Helene weich und herzlich.
Graf Rottack wollte etwas darauf erwidern, aber bezwang sich. Er hatte die Arme gekreuzt und starrte einen Augenblick sinnend auf die sonnenbeschienenen Hänge hinaus. Endlich wandte er das Antlitz wieder der ängstlich zu ihm aufschauenden Gattin zu und sagte, ihr freundlich in die Augen sehend: »Du weißt, meine Helene, daß ich bis jetzt Alles gethan habe, Deinen Wunsch zu erfüllen, Deinen Plan zu fördern. Es ist Alles geschehen, um uns dem näher zu bringen – die Entfremdung von Deiner Mutter zu heben; so laß uns aber, ehe wir den letzten Schritt dazu thun, auch die Sache vorher ruhig besprechen, damit Dich eine doch mögliche Enttäuschung Deiner Hoffnungen nachher nicht zu unerwartet faßt und erschüttert.«
»So glaubst Du wirklich...«
»Von Glauben kann noch keine Rede sein, mein Herz, aber Du weißt, wie Deine Mutter, nach jenem Fehltritt ihres Lebens, sich von Dir lossagte und von da an eigentlich weiter gar nichts für Dich that, als daß sie jener nach Brasilien gehenden Frau, der sie Dich vollständig überließ – ein Kostgeld für Dich zahlte. Du entdecktest das Geheimniß und verließest jene Frau. Fest aber darfst Du davon überzeugt sein, daß diese Madame Baulen Deiner Mutter die Flucht ihres Kindes nicht angezeigt hat, sondern nach wie vor das Geld für Dich noch regelmäßig fortbezieht. Deine wirkliche Mutter muß Dich also noch immer in Brasilien glauben.«
»Ich