Was der Tag mir zuträgt. Peter Altenberg

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Was der Tag mir zuträgt - Peter Altenberg Literatur (Leinen)

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zwischen ihrem Wert und ihrem Geld;

      und was er uns zu seinem Tod vermachte,

      sind Tränen, die er übers Leben lachte.

      Er schaut uns an. Noch auf dem Katafalk

      ist es der Blick von dem gerührten Schalk.

      Dies Auge sah den Herzen auf den Grund

      und fühlte Schmerz und Liebe mit dem Hund.

      Es sah empor zum Tier, zur Magd, zum Kind.

      Ihm waren alle Sterne wohlgesinnt.

      Vergebens bot er euch das Leben an.

      Er gab das Wort. Ihr glaubt nur den Roman.

      Ihr seid Papier; er war ein Element,

      dess Zorn und Güte keine Grenzen kennt.

      Er konnte toben; ihr jedoch seid stumm.

      Ein Narr verließ die Welt, und sie bleibt dumm.

      Wie wurde mir in seiner Nähe warm.

      Ein Bettler ging von uns. Wie sind wir arm!

      KARL KRAUS

      Wie ich es sehe

      Neun und elf

      Margueritta stand nahe bei ihm.

      Sie lehnte sich an ihn.

      Sie nahm seine Hand in ihre kleinen Hände und hielt sie fest. Manches Mal drückte sie sie sanft an ihre Brust.

      Und doch war sie erst elf Jahre alt.

      "Margueritta ist die Menschenfreundin", sagte die Mutter zu dem jungen Manne, "Rositta ist anders – –. Sie liebt die Einsamkeit, die Natur und die Tiere. Jetzt hat sie ihr Herz einem gelben Dachshund geschenkt, Herrn von Bergmann. Sie hatte das Glück, ihm gestern vorgestellt zu werden. Sie hat heute die Taschen voll Würfelzucker für ihn – – –, aber es ist eine unglückliche Liebe."

      "Wieso unglücklich – –?!", sagte das Kind, "ich liebe ihn ja! Ich denke immer an ihn – –. Das macht mich doch glücklich?!"

      Rositta war neun Jahre alt, zart und bleich.

      Margueritta sagte: "O, Rositta ist übertrieben –!"

      "Wieso?!", fragte die Schwester und erbleichte –.

      "Ja, du bist übertrieben – –! Sie will Sennin werden am Patscherkofl und Zither lernen!"

      Rositta: "Der Wirt in Igls hat so schön Zither gespielt und gesungen! Und er hat gar nicht gewusst, dass er schön singt – –! Er ist dagesessen und hat gesungen – – –."

      Margueritta: "Rosie hat eine Altstimme und dichtet sich selber die Lieder. In der Früh singt sie manchmal: ,O, meine Berge, meine Berge – –!' Aber über­trieben ist sie doch – – –!"

      Die Mutter sagte: "Das ist doch kein Lied: ,O meine Berge – –!?'"

      Rosie sah ihre Schwester an. Sie war erstaunt, ver­legen.

      Margit sagte: "O ja, das ist ein Lied – –! Mama, das verstehst du nicht, das verstehen nur wir. Ein Lied ist es, nicht wahr, Herr – – –?!"

      Der junge Mann sagte: "Ja!"

      Er dachte: "Es ist eine tönende Menschenseele – – ein Lied!"

      Er blickte in die Welt zweier Kinderseelen. Margueritta war die rosige Morgenröte – – man konnte es nicht anders sagen.

      Aber die andere, die Sennin am Patscherkofl, die bleiche zarte, die Zither lernen wollte und die mit einer Altstimme sang: "O meine Berge, meine Berge" – –?!

      Es wurde Abend.

      Er saß zwischen den beiden Kindern auf einer Bank an der Esplanade.

      Margueritta legte ihr blondes Köpfchen auf seinen Schoß und schlief ein – –.

      Rosie saß da und blickte auf den See hinaus – –.

      Beide weißen süßen Kinderseelen waren ihm zuge­flogen.

      Aber wirklich liebte ihn nur Margueritta und wirklich liebte er nur sie.

      Was ist das "wirklich"?!

      über der anderen schwebte das Schicksal. In ihr sang es: "O, meine Berge – – –". Und doch küsste sie ihn so sanft und sagte: "Du, Herr Albert – – –"

      Aber den Herrn von Bergmann mit dem gelben Fellchen und den krummen Beinchen und den riesigen Ohren – – – den liebte sie "wirklich"!

      Wenn er vorüberwatschelte, hatte sie eine tiefe Sehnsucht – – –. Sie stand da mit ihren verschmähten Zuckerstückchen und warf sie ins Wasser – –

      Der junge Mann fühlte die Tiefe.

      Die Mutter sagte einfach: "Rositta ist schwer zu behandeln. Ich sehe darauf, dass sie viel schläft. Ich möchte Aufregungen von ihr ferne halten – – –."

      Auch das Mutterherz fühlte das "schwebende Schicksal".

      Der junge Mann behandelte beide gleich. Beide küsste er, mit beiden ging er Hand in Hand über die Esplanade, mit beiden ruderte er in den Abendstunden langsam auf und ab – – –. Beiden schenkte er zum Abschied, im Herbst, zwei goldene Kuhglöckchen als Brosche, mit dem eingeätzten Worte "See-Ufer".

      Rositta sang am nächsten Morgen in der Stadt mit ihrer Altstimme: "O meine Berge, meine Berge –!"

      Es war doch ein Lied – – ein Lied!

      Margueritta hörte zu und dachte: "Du Dichterin, du Sängerin – – –!"

      Dann sagte sie einfach: "Rosie, du bist übertrieben – – –!"

      Der Saal ist viereckig, schneeweiß, überhaupt wie eine riesige Pappendeckelschachtel. Die durchschei­nenden Kugeln aus dickem welligem Glase machen aus dem Bogenlicht im Inneren goldgrüne und weißgrüne Flecken, die wie glänzendes Wasser schimmern oder Öl, wie Milch im Mondschein.

      Rechts neben ihm saß sein goldblondes Schwester­chen, in Samt maron purée und einer Bluse aus gleichfarbiger Seide. Sie hatte zu Hause gebadet, sich ge­tummelt, häusliche Unannehmlichkeiten gehabt, suchte nun etwas, das entlastete, entfernte, blickte in die riesige Pappendeckelschachtel mit den goldgrünen glänzenden Flecken – – –.

      "Man bleibt also der, der man ist, überall – –?!", fühlte sie.

      Die Instrumente sagten: "Husch aus dem Bade –!" "Marie, bitte, oh Marie."

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