Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann

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Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie - Nina Hoffmann

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      Das alles dachte ich, ich erinnere mich des Augenblicks in seiner ganzen Klarheit, und niemals habe ich ihn später vergessen können; das war der hinreissendste Moment meines ganzen Lebens.

      Mit dieser Erzählung „Arme Leute“, sagt N. Strachow, „hat Dostojewsky einen neuen Ton in die russische Litteratur gebracht. Die Situation und die Figur des armen Helden, welche eine gewisse Ähnlichkeit mit der Hauptfigur aus Gogols „Mantel“ hat, weist Züge rührender Schönheit und Herzenseinfalt auf, während Gogol nur das Factum, das Erniedrigende und Lächerliche desselben darstellt“. Dass Dostojewsky mit vollem Bewusstsein diesen grossen Schritt gethan und diesen echt russischen Zug von Teilnahme und Liebe zu den Unbegabten und Erniedrigten in die Litteratur gebracht hat, beweist die Stelle, wo Makar Djewuschkin (der Held), dem das geliebte Mädchen Bücher leiht und einmal Gogols „Mantel“ zu lesen anrät, diese Erzählung als ein böswilliges Pasquill auf alle Armen aufnimmt, „die man ja jetzt auf der Strasse erkennen kann“, und sich in seiner Verzweiflung zum ersten Male im Leben — einen Rausch antrinkt. Es ist dies Dostojewskys schärfste Kritik Gogols, den er im übrigen unendlich bewundert und den er sich infolge ähnlicher Anlage zum Humor eine Zeit lang äusserlich zum Muster nimmt. — Wir mussten länger bei dieser Erzählung verweilen, weil sie eigentlich schon das „Leitmotiv“ der litterarischen Thätigkeit von Dostojewskys ganzem Leben anstimmt. Im Gegensatze zu anderen Dichtern, welche in ihren Erstlingswerken höchst unoriginal sind und erst später zu sich selbst kommen, setzt Dostojewsky kräftig und zielbewusst mit dem Ton an, der durch alle seine Werke geht, den er in der Seele hört, und um deswillen allein er schreibt. Seine Biographen und Arbeitsgenossen nennen vier Anlässe oder Anläufe des Dichters, welche seine vier, nach ihrer Grundidee bedeutendsten Werke hervorgerufen haben, gleichsam grosse Etappen auf seiner Dichterlaufbahn. N. N. Strachow, des Dichters Freund und Mitarbeiter, sagt in seinem Nachruf: „In seiner litterarischen Thätigkeit hat Dostojewsky eine Lebenskraft und Energie gezeigt, wie kein Zweiter. Er hatte Perioden der Erschlaffung, gleichsam des Verfalles — dann aber hat er sich immer wieder höher aufgeschwungen als je zuvor und sich immer wieder von einer neuen Seite gezeigt. Man kann vier solche neue Krafterhöhungen bei ihm nachweisen: 1. „Arme Leute“, 2. „Das Totenhaus“, 3. „Schuld und Sühne“ und endlich 4. „Das Tagebuch eines Schriftstellers“.

      Uns scheint diese Einteilung eine ziemlich äusserliche zu sein. Die vier Grundideen, welche sich in diesen vier Werken äussern, sind durchaus einheitlich und nur verschiedene Äusserungen des in „Arme Leute“ angeschlagenen Themas. Hat man aber dieses Grundthema herausempfunden, so wird man, nämlich seiner Wirkung nach aussen nach, finden, dass zwei andere Werke es noch kräftiger, eindringlicher, zwingender durchführen. Diese Werke sind: „Der Idiot“ und „Die Brüder Karamasow“. Wir werden bei der Besprechung jedes einzelnen eingehender darauf zurückkommen. Gleichwohl wird der aufmerksame Leser von Dostojewskys Werken in Bezug auf seine litterarische Entwickelung zwei Epochen seiner schriftstellerischen Thätigkeit unterscheiden. Die erste Phase, welche gleich nach dem herrlich sicheren Ansetzen des Lebensthemas in „Arme Leute“ beginnt, hat etwas Tastendes, sowohl was die Wahl der Stoffe, als was die Wahl der Form anlangt. Unmittelbar nach dem Erfolge der „Armen Leute“, die indessen noch nicht im Druck erschienen waren, da Njekrássow die Sammlung, in welcher der Roman untergebracht werden sollte, erst 1846 herauszugeben dachte — also im Jahre 1845 macht sich Dostojewsky daran, den „Doppelgänger“, den er schon lange mit sich herumgetragen und von dem er sich anfangs viel versprochen hatte, auf Papier zu bringen. Durch das Auf und Ab seiner eigenen Verhältnisse gequält, schreibt er, wahrscheinlich nach seinem Besuch in Reval, an seinen Bruder:

      .... „Wie traurig war es mir zu Mute, als ich nach Petersburg hineinfuhr ...... Wenn mein Leben in diesem Augenblicke abgerissen wäre, so wäre ich, scheint mir, mit Freuden gestorben .... Mein Diener hat sich zu Hause nicht gezeigt, der Hausmeister gab mir den verwaisten Schlüssel meines 600 Rubel-Quartiers, dessen Zins ich schuldig bin ... Gregorowitsch und Njekrássow sind nicht in Petersburg .... Sie werden kaum bis zum 15. September da sein ... Wie schade, dass man arbeiten muss, um zu leben. Meine Arbeit verträgt keinen Zwang ... Ich bin jetzt selbst der wahrhaftige Goljadkin, mit dem ich mich übrigens gleich morgen beschäftigen werde. Goljadkin, der abscheuliche Schuft, will durchaus nicht vorwärts, will durchaus vor der Hälfte November seine Carriere nicht vollenden“ ....

      Am 16. November 1845 schreibt Dostojewsky: „Überall unglaubliche Ehrerbietung, überall eine schreckliche Neugierde in Bezug auf mich: Fürst Odojewsky bittet mich, ihn mit meinem Besuch zu beglücken, und Graf Sologub reisst sich in Verzweiflung die Haare aus; Panajew hat ihm gesagt, dass ein Talent da ist, welches sie alle in den Staub tritt“. Weiter schreibt er: „Dieser Tage war ich ohne einen Groschen; Njekrássow hat indessen „Zuboskala“, einen prächtigen humoristischen Almanach, ins Leben gerufen, dessen Vorrede ich geschrieben habe. Diese Vorrede hat Lärm gemacht ... Dieser Tage, als ich kein Geld hatte, ging ich zu Njekrássow, und als ich so bei ihm sass, kam mir die Idee eines Romans in neun Briefen. Nach Hause gekommen, schrieb ich diesen Roman in einer Nacht; er wird in der ersten Nummer der Zuboskala gedruckt werden. Du wirst schon selbst sehen, ob dies schlechter ist, als Gogol“. Weiter schreibt er: „Ich denke, ich werde Geld bekommen; Goljadkin wird vortrefflich — er wird mein chef d’oeuvre sein“. Als Nachschrift heisst es: „Belinsky schützt mich vor den Unternehmern“. Eine zweite Nachschrift lautet: „Ich habe meinen Brief überlesen und finde mich erstens ungrammatikalisch und zweitens einen Prahler“. Eine letzte Nachschrift sagt: „Die Minnuschkas, Claruschkas und Mariannen etc. sind unglaublich schöner geworden, kosten aber schrecklich viel Geld. Neulich waren Turgenjew und Belinsky da und haben mich über mein unordentliches Leben ausgescholten“. In einem Briefe vom 1. Februar 1846 teilt Dostojewsky seinem Bruder mit, dass er endlich am 28. des vorhergegangenen Monates „seinen Schuft Goljadkin“ vollendet habe. Dann weiter: „Für Goljadkin habe ich rund 600 Silberrubel bekommen; ausserdem erhielt ich noch einen Haufen Geld, so dass ich nach meinem Abschied von Dir schon 3000 ausgegeben habe. Ich lebe eben sehr unordentlich und das ist die ganze Geschichte. Ich bin ausgezogen und habe zwei sehr schön möblierte Zimmer bei Vermietern genommen. Ich lebe sehr gut“. (Folgt die Adresse, zufällig dasselbe Haus, in dem er starb.) Zum Schluss schreibt er: „Ich bin nervenkrank und fürchte ein Nervenfieber; regelmässig leben kann ich nicht, so sehr bin ich unordentlich“.

      Zwei Monate später, am 1. April, schreibt er:

      „In meinem Leben giebt es jeden Tag soviel Neues, so vieles, das für mich gut und angenehm ist, soviel Unangenehmes und Widerwärtiges auch, dass ich selbst nicht Zeit habe, darüber nachzudenken. Erstens bin ich sehr beschäftigt, Ideen eine Unzahl, und schreibe unaufhörlich. Denke nicht, ich sei auf Rosen gebettet, Unsinn. Erstens habe ich gerade 4500 Rubel verbraucht seit der Zeit, da wir uns trennten, und habe um 4000 Papierrubel von meiner Ware voraus verkauft; ... aber das ist nichts, mein Ruhm hat seinen Höhepunkt erreicht. Innerhalb zweier Monate wurde 35 mal in verschiedenen Werken von mir gesprochen ... aber was widrig und quälend ist, ist das: die Meinen, die Unsern, alle sind mit meinem Goljadkin unzufrieden. Der erste Eindruck war massloses Entzücken, Reden, Lärm, Auseinandersetzungen, dann Kritik: Alle, das heisst die Unsern und das ganze Publikum, haben gefunden, dass Goljadkin so langweilig und fade, so in die Länge gezogen ist, dass es unmöglich ist, ihn zu lesen.“ Weiter sagt er zu seinem eigenen Troste: „Alle sind zornig über diese Längen, und alle lesen es doch über Hals und Kopf und lesen es wieder über Hals und Kopf.“ Noch weiter sagt er: „Ich habe ein schreckliches Laster: eine unbegrenzte Eigenliebe und Ehrliebe ... mir ist jetzt Goljadkin widerwärtig; vieles darin ist in Hast und Ermüdung geschrieben. Die erste Hälfte ist besser als die letzte; auf glänzend geschriebene Seiten folgt ein abscheulicher Schund, dass es einem die Seele umdreht und man nicht weiter lesen will. Das ist es, was mir in der ersten Zeit zur Hölle wurde, und ich bin aus Kummer krank geworden.“

      Man sieht aus diesen überschwänglichen Mitteilungen, wie sehr der erste Erfolg dem 24jährigen Dichter zu Kopf gestiegen war und seine Selbstkritik geschädigt hatte, da er den Roman in neun Briefen „eine Perle, nicht schlechter als Gogol“ und den Doppelgänger sein chef d’oeuvre nennt. Bald jedoch, und das wieder

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