Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie - Nina Hoffmann страница 9
Wie wechselnd Schicksal und Laune des Dichters zu jener Zeit waren, davon giebt uns die Erzählung Dr. Riesenkampfs ein drastisches Bild. Zur Zeit der grossen Fasten im Jahre 1842 sei plötzlich ein Geldzufluss bei Dostojewsky sichtbar geworden. Er besuchte die Konzerte Liszts, der eben angekommen war, sowie die des Sängers Rubini und eines berühmten Klarinettisten. Nach Ostern traf ihn Riesenkampf in einer Aufführung von Puschkins „Ruslan und Ludmila“. Im Mai aber schloss er sich abermals ein und versagte sich jedes Vergnügen, um sich zur letzten Prüfung vorzubereiten. Zu gleicher Zeit hatte sich Riesenkampf zur medizinischen Prüfung vorbereitet, erkrankte infolge zu grosser Anstrengung und hütete noch am 30. Juni das Bett. Da erscheint plötzlich Dostojewsky an seinem Lager, bis zur Unkenntlichkeit verändert; strahlend, gesund aussehend, mit sich und dem Schicksal zufrieden, denn er hatte eben die Prüfung sehr gut bestanden, war als Lieutenant aus der Anstalt entlassen; hatte überdies vom Vormund eine so grosse Geldsumme erhalten, dass er imstande war, seine Schulden zu bezahlen. Zudem hatte er einen längeren Urlaub bekommen, den er benutzen wollte, um seinen Bruder, welcher sich inzwischen verheiratet hatte, in Reval zu besuchen, was er am folgenden Morgen zu unternehmen gedachte. Nun zerrt er den Freund aus dem Bette, kleidet ihn an, setzt ihn auf einen Wagen und führt ihn in eines der ersten Restaurants am Newsky Prospekt. Hier verlangt er ein gesondertes Zimmer mit einem Flügel, bestellt ein lukullisches Mahl mit kostbaren Weinen und nötigt den kranken Freund, mit ihm zu essen und zu trinken. Diese zwingende Heiterkeit wirkte wohlthätig auf den Kranken; er ass und trank, musizierte und — wurde gesund. Am anderen Morgen begleitete er den Freund zum Dampfer!
In Reval scheint Dostojewsky durch Herrnhutersche Unduldsamkeit einen sehr üblen Eindruck empfangen zu haben, der ihn Zeit seines Lebens gegen die Deutschen, denen er höhere Kultur zugeschrieben hatte, verstimmt liess.
Der Bruder Michael hatte indessen mit Hilfe seiner Frau Theodor mit neuer Wäsche und Kleidern ausgestattet und bat nun Riesenkampf, welcher auch nach Reval gekommen war, er möge, da er sich in Petersburg niederlasse, gemeinschaftlich mit dem Bruder wohnen, damit er, der niemals etwas über den Stand seiner Habe wisse, sich an dessen deutscher Ordnungsliebe ein Beispiel nehme. Als Riesenkampf im September 1843 nach Petersburg zurückkam, erfüllte er diesen Wunsch. Er fand Theodor ohne eine Kopeke, von Milch und Brot, und das sogar auf Kredit, lebend. „Theodor Michailowitsch,“ schliesst er den Bericht, „gehört zu jenen Personen, neben denen zu leben allen wohl wird, die aber selbst immer in Not sind.“ Man bestahl ihn unbarmherzig, allein bei seiner Vertrauensseligkeit und Güte wollte er den Dingen weder auf den Grund gehen noch seine Diener samt Anhang beschuldigen, die sich seine Harmlosigkeit zu nutze machten. Ja, sogar das Zusammenleben mit dem Arzte war ein neuer Anlass zu vergrösserten Auslagen. „Jeden armen Teufel nämlich, der um ärztlichen Rat zum Doktor kam, nahm er wie einen teuren Gast auf,“ erzählt Orest Miller. — Darüber zurecht gewiesen, antwortete er entschuldigend: „Da ich mich daran mache, die Lebensweise armer Leute zu beschreiben, so bin ich froh, dass ich Gelegenheit habe, das Proletariat der Hauptstadt näher kennen zu lernen.“ Bei Abschluss der Monatsrechnungen fand sich, dass eine ganze Herde von Menschen ihren Vorteil aus Dostojewskys Sorglosigkeit gezogen hatte; nicht nur Bäcker und Krämer, sondern auch Schneider und Schuster reichten unerhörte Rechnungen ein. Dazu war die Wäsche und Garderobe, die bei jedem Geldzufluss immer wieder neu hergestellt wurde, immer ganz zusammengeschmolzen. Seine äusserste Not dauerte um diese Zeit zwei Monate. Da plötzlich fand ihn der Doktor eines Tages laut, selbstbewusst und stolz im grossen Saale auf und ab gehen — er hatte aus Moskau 1000 Rubel erhalten. „Am anderen Morgen aber,“ erzählt Dr. Riesenkampf, „kam er wieder in seiner gewöhnlichen stillen, sanften Weise in mein Schlafzimmer und bat mich, ihm 5 Rubel zu leihen.“ Der grösste Teil des Geldes war zur Tilgung von Schulden aufgegangen, und das, was übrig blieb, hatte er zum Teil im Billardspiel verloren; die letzten 50 Rubel waren ihm von einem Fremden, den er zu sich gerufen und in seinem Zimmer allein gelassen hatte, gestohlen worden.
Im März 1844 musste Dr. Riesenkampf von Petersburg scheiden und Theodor Michailowitsch zurücklassen, ohne dass sein deutsches Beispiel etwas gefruchtet hätte.
Um diese Zeit herum beschäftigt sich der Dichter, um Geld zu verdienen, mit Übersetzungen. Er übersetzt Eugenie Grandet von Balzac, Schillers Don Carlos und George Sand, wofür er 25 Papierrubel für den Druckbogen erhält. Nun reicht er um Entlassung aus dem Militärdienst ein, „denn“, schreibt er an den Bruder, „ich bin des Dienstes überdrüssig, überdrüssig wie einer Kartoffel“ — — —
In einem Briefe vom 30. September 1844 sagte er: „Ich habe einen Roman geschrieben, im Umfange der Eugenie Grandet; bis zum 14. (der Termin seiner Dienstentlassung) werde ich gewiss schon Antwort darüber haben. Er ist ziemlich originell.“
Den Geldverlegenheiten hofft Theodor Michailowitsch so zu begegnen, dass er auf seinen Gutsanteil verzichtet, wenn man ihm 500 Silberrubel sofort, später abermals 500 in monatlichen Raten sendet. Er ist immer „verloren“, wenn man ihm nicht hilft, ihn nicht rettet, fleht um aller Heiligen willen, der Bruder möge ihm helfen, sonst müsse er ins Gefängnis. „Chlestakow“ (aus Gogols „Revisor“), sagt er, „erklärt sich bereit ins Gefängnis zu gehen, wenn nur in nobler Weise. Wie soll ich aber nobel ins Gefängnis gehen, wenn ich keine Hosen habe?“ Dabei ist der Brief noch immer aus der kostspieligen Wohnung datiert. In der Nachschrift heisst es: „ich bin mit meinem Roman ausserordentlich zufrieden“. Er blickt auf diesen Roman als auf seinen Rettungsanker. Er sieht in ihm den Probierstein seiner dichterischen Kraft, und nun, nachdem er ihn dem Dichter Njekrássow übergeben, welcher damals an der Redaktion des „Zeitgenossen“ teilnahm, kommt für ihn die bedeutende grosse Lebenswende, die er uns 30 Jahre später in seinem Tagebuch eines Schriftstellers folgendermassen erzählt, wobei begreiflicherweise im Gedächtnis des Dichters eine kleine Verschiebung bezüglich des Zeitpunktes stattfindet.
„Es geht manchmal eigentümlich zu mit den Menschen; wir haben einander [hier ist der Dichter und Njekrássow gemeint] nicht oft im Leben gesehen, es hat auch Missverständnisse zwischen uns gegeben — aber etwas hat sich doch mit uns ereignet, eine Begebenheit, die ich niemals habe vergessen können. Und nun, als ich unlängst Njekrássow besuchte, fing er, der Kranke und Erschöpfte, beim ersten Worte an, von diesen Tagen zu sprechen. Damals (es sind nun 30 Jahre her) geschah etwas so jugendliches, frisches, hübsches, eine der Begebenheiten, die für immer im Herzen der Beteiligten fortleben. Wir waren damals etwas über zwanzig Jahre alt. Ich lebte nach meinem Austritt aus dem Ingenieurkorps schon ein Jahr in Petersburg, ohne zu wissen, was ich anfangen würde, voll von dunklen, unbestimmten Zielen. Es war im Mai des Jahres 1845. Anfangs des Winters hatte ich plötzlich meine Erzählung „Arme Leute“ begonnen, ohne vorher je etwas geschrieben zu haben. Als ich diese Erzählung beendet hatte, wusste ich nicht, was ich damit anfangen, wem ich sie übergeben sollte. Litterarische Bekanntschaften hatte ich absolut gar keine, ausser etwa D. W. Grigorowitsch, aber dieser hatte damals selbst ausser einer kleinen Erzählung für eine Sammlung (die Erzählung hiess „Petersburger Leiermänner“) noch nichts geschrieben. Ich glaube, er war damals im Begriff nach seinem Landsitz hinauszufahren; vorläufig wohnte er für einige Zeit bei Njekrássow. Als er einmal zu mir kam, sagte er: „Bringen Sie doch Ihr Manuskript (er hatte es selbst noch nicht gelesen); Njekrássow will zum nächsten Jahr ein Sammelwerk herausgeben, und da will ich ihm das Manuskript zeigen.“ Ich brachte es ihm, sah Njekrássow etwa eine Minute — wir reichten einander die Hand. — Ich schämte mich bei dem Gedanken mit meinem Werke gekommen zu sein und ging so schnell als möglich fort, fast ohne mit Njekrássow ein Wort gesprochen zu haben. Ich dachte wenig an Erfolg und vor dieser „Partei der Vaterländischen Annalen“ (eine Zeitschrift, welche damals von einer Anzahl vortrefflicher und gesinnungstüchtiger Schriftsteller und Kritiker herausgegeben wurde), wie man sie damals nannte, fürchtete ich mich. Belinsky las ich schon seit einigen Jahren mit