Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак

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Verlorene Illusionen - Оноре де Бальзак

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Verbrechens angeklagt und überführt, sich mit dem Pöbel eingelassen zu haben, wäre Louise gezwungen gewesen, die Stadt zu verlassen, wo ihre Kaste sie geflohen hätte, wie man im Mittelalter einen Aussätzigen floh. Die Horde der hohen Aristokratie und sogar die Geistlichkeit würden Naïs gegen jeden verteidigt haben, wenn sie einen Fehltritt begangen hätte, aber das Verbrechen, schlechte Gesellschaft bei sich zu sehen, wäre ihr nie verziehen worden; denn wenn man die Fehler der Machthaber entschuldigt, so verdammt man sie nach ihrer Abdankung. Und David zu empfangen, wäre dasselbe gewesen wie abdanken. Wenn Lucien diese Seite der Frage nicht gesehen hatte, so ließ ihn doch sein aristokratischer Instinkt viele andere Schwierigkeiten ahnen, die ihn schreckten. Der Adel der Gefühle verleiht nicht notwendigerweise auch den Adel der Manieren. Racine wirkte wie der adligste Höfling, Corneille aber sah aus wie ein Viehhändler. Descartes hatte das Benehmen eines wohlhabenden holländischen Kaufmanns. Die Besucher von la Brede hielten oft Montesquieu, wenn sie ihn trafen, mit seinem Rechen über der Schulter und der Nachtmütze auf dem Kopf, für einen gewöhnlichen Gärtner. Wenn der feine Weltton nicht eine Gabe hoher Geburt ist, ein Wissen, das mit der Muttermilch eingesogen oder im Blute vererbt ist, stellt er eine Zucht vor, die der Zufall durch eine gewisse Eleganz der Formen, durch eine feine Besonderheit in den Zügen, durch einen gewissen Ton in der Stimme unterstützen muss. All diese wichtigen kleinen Dinge fehlten David, während die Natur seinen Freund damit begabt hatte, Lucien, der von Mutterseite her adliger Abstammung war. Lucien hatte sogar den hochgewölbten Fuß des Franken, während David Séchard die Plattfüße des Kelten und den gebeugten Nacken seines Vaters, des Buchdruckers, hatte. Lucien hörte in den Ohren schon die Spottreden, die auf David niederprasselten, es schien ihm, er sähe das Lächeln, das Frau von Bargeton unterdrückte. Kurz, ohne sich geradezu seines Bruders zu schämen, nahm er sich doch vor, in Zukunft nicht mehr so auf seine erste Regung zu hören und sie erst zu prüfen. Nach der Stunde der Poesie und der Opferwilligkeit, nach einer Lektüre, die den beiden Freunden eben den literarischen Himmel, von einer neuen Sonne beleuchtet, gezeigt hatte, schlug jetzt für Lucien die Stunde der Politik und der Berechnung. Als er in Houmeau angelangt war, bereute er seinen Brief, er wünschte, ihn wieder zurücknehmen zu können, denn ihm kam eine Ahnung von den unerbittlichen Gesetzen der Welt. Er wusste, wie sehr das Glück, das er erlangt hatte, den Ehrgeiz begünstigte, und es kam ihn schwer an, seinen Fuß von der ersten Sprosse der Leiter zurückzuziehen, auf der er zur Größe emporsteigen sollte. Dann erwachten wieder in seiner Erinnerung die Bilder seines einfachen und ruhigen, mit den schönsten Blumen des Empfindens geschmückten Lebens, dieser geniale David, der ihn so edel unterstützt hatte, der ihm, wenn es nottäte, sein Leben opferte, seine Mutter, die in ihrer niedrigen Lage nicht aufhörte, die große Dame zu sein, die von ihm glaubte, er wäre ebenso gut, wie er geistvoll war, seine Schwester, die in ihrem stillen Dulden, ihrer reinen Kindlichkeit und ihrer Unschuld so anmutig war, seine Hoffnungen, die noch kein Sturmwind entblättert hatte, all dessen gedachte er. Er sagte sich jetzt, es wäre schöner, sich mit den Streichen des Erfolges durch die geschlossenen Heerhaufen des aristokratischen oder bürgerlichen Lagers hindurchzuhauen, als durch die Gunst einer Frau ans Ziel zu gelangen. Früher oder später musste sein Geist leuchten und berühmt werden, wie der so vieler Männer, seiner Vorgänger, die mit der Gesellschaft fertig geworden waren, dann würden ihn die Frauen lieben! Das Beispiel Napoleons, das im neunzehnten Jahrhundert durch die Wünsche, die es mittelmäßigen Menschen einflößt, so verhängnisvoll ist, stellte sich vor Lucien hin, und er machte sich seine Berechnungen zum Vorwurf und streute sie in den Wind. So war Lucien beschaffen, er ging mit gleicher Leichtigkeit vom Bösen zum Guten und vom Guten zum Bösen. Statt der Liebe, die der Mann der Wissenschaft seiner stillen Zurückgezogenheit widmen sollte, empfand Lucien seit einem Monat eine Art Schamgefühl, wenn er den Laden sah, an dem in gelben Lettern auf grünem Grund zu lesen war:

       Apotheke von Postel

       Chardon Nachfolger.

      Der Name seines Vaters, der so an einer Stelle geschrieben stand, an der alle Wagen vorbeifuhren, tat ihm in den Augen weh. Am Abend, wenn er seine Tür öffnete, die mit einem kleinen, recht geschmacklosen Gitterwerk geziert war, um nach Beaulieu unter die elegantesten jungen Leute der Oberstadt zu gehen und Frau von Bargeton den Arm zu reichen, hatte er das Missverhältnis zwischen dieser Wohnung und seinem Glücke oft bitter beklagt.

      »Frau von Bargeton lieben, sie vielleicht bald besitzen und in diesem Rattennest wohnen!« sagte er sich, als er durch den Hausgang in den kleinen Hof ging, in dem mehrere Bündel gekochter Kräuter an den Mauern aufgehängt waren, in dem der Lehrling die Kochkessel des Laboratoriums scheuerte, in dem Herr Postel, seine Apothekerschürze vorgebunden und eine Retorte in der Hand, ein chemisches Präparat untersuchte, wobei er aber den Laden nicht aus den Augen verlor; denn wenn er sein Präparat noch so aufmerksam ansah, hatte er doch das Ohr bei der Klingel.

      Der Geruch von Kamillen, Pfefferminz und verschiedenen andern destillierten Pflanzen erfüllte den Hof und das bescheidene Gemach, zu dem man auf einer steilen Treppe, die statt des Geländers zwei Stricke hatte, emporstieg. Oben war nur ein Mansardenzimmer, das Lucien bewohnte.

      »Guten Tag! mein Junge«, sagte Herr Postel, der der richtige Typus des Provinzkrämers war, zu ihm. »Was macht unsere liebe Gesundheit? Ich mache ein Experiment über die Melasse, aber dein Vater wäre nötig, um herauszufinden, was ich suche. Das war ein Prachtkerl! Wenn ich sein geheimes Mittel gegen die Gicht wüsste, könnten wir heute alle beide in der Equipage fahren!«

      Es verging keine Woche, in der der Apotheker, der ebenso dumm wie gutmütig war, Lucien nicht einen Dolchstich gab, indem er von der verhängnisvollen Verschwiegenheit zu ihm sprach, die sein Vater über seine Entdeckung bewahrt hatte.

      »Ja, es ist ein großes Unglück«, antwortete Lucien kurz. Er fing an, den früheren Schüler seines Vaters furchtbar ordinär zu finden, den er doch früher oft gepriesen hatte; denn mehr als einmal hatte der wackere Postel die Witwe und die Kinder seines frühern Meisters unterstützt.

      »Was gibts denn?« fragte Herr Postel und stellte seine Retorte auf den Tisch des Laboratoriums. »Ist ein Brief für mich gekommen?«

      »Ja, einer, der wie Balsam duftet! Er ist im Kontor, auf meinem Pult.«

      Der Brief von Frau von Bargeton mitten unter den Apothekerflaschen! Lucien stürzte in den Laden.

      »Eile dich, Lucien, dein Essen wartet seit einer Stunde, es wird kalt werden«, rief eine angenehme Stimme in sanftem Ton durch ein halbgeöffnetes Fenster. Lucien hörte nicht mehr.

      »Ihr Bruder hat den Rappel, Fräulein«, sagte Postel und hob die Nase hoch.

      Dieser Junggeselle, der einige Ähnlichkeit mit einem kleinen Branntweinfässchen hatte, auf das die Phantasie eines Malers ein plumpes, gerötetes und blatternarbiges Gesicht gesetzt hätte, nahm, als er Eva erblickte, eine feierliche und liebliche Miene an, die erkennen ließ, dass er mit der Absicht umging, die Tochter seines Vorgängers zu heiraten, ohne dass er mit dem Zwiespalt fertig werden konnte, den die Liebe und das Interesse in seinem Herzen miteinander ausfochten. Daher sagte er zu Lucien oft lächelnd die Worte, die er auch jetzt zu ihm sagte, als der junge Mann wieder bei ihm vorbeikam: »Sie ist ganz reizend, deine Schwester! Du bist auch nicht übel! Euer Vater hat alles gut gemacht!«

      Eva war groß, brünett, hatte schwarze Haare und blaue Augen. Obwohl sie Proben eines männlichen Charakters zeigte, war sie sanft, zart und hingebend. Ihre Unschuld, ihr kindliches Wesen, ihre ruhige Fügung in ein Leben der Arbeit, ihre Klugheit, die ohne jede Bosheit war, hatten David Séchard bestricken müssen. So war denn auch von ihrem ersten Beisammensein an eine stille, schlichte Liebe zwischen ihnen entstanden, eine deutsche Liebe, ohne leidenschaftliches Wesen und stürmische Erklärungen. Jeder von beiden hatte im geheimen an den andern gedacht, wie wenn ein eifersüchtiger Gatte sie getrennt hätte, für den dieses Gefühl eine Kränkung gewesen wäre. Alle beide verbargen ihr Gefühl vor Lucien, dem sie vielleicht irgendeinen Schaden anzutun fürchteten. David fürchtete sich, er könnte Eva nicht

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