im Rufe, in einer andern sehr stark zu sein, die die Berufsgenossen recht hübsch die Saufographie genannt haben, in einer Kunst also, die der göttliche Verfasser des Pantagruel sehr geschätzt hat, deren Pflege aber dank der Verfolgungen der sogenannten Temperenzgesellschaften von Tag zu Tag mehr zurückgeht. Jérôme Nicolas Séchard, getreu dem Schicksal, das sein Name, der Trockene, ihm bestimmt hatte, war mit einem unauslöschlichen Durst begnadet. Seine Frau hatte seine Leidenschaft für den Saft der Traube, die übrigens den Bären so natürlich ist, dass Chateaubriand sie bei den richtigen Bären Amerikas beobachtet hat, lange Zeit hindurch in den gehörigen Schranken gehalten; aber die Philosophen haben die Bemerkung gemacht, dass die Gewohnheiten der Jugend im Greisenalter mit großer Stärke wiederkehren. Séchard war eine Bestätigung für dieses psychische Gesetz: je älter er wurde, um so mehr liebte er das Trinken. Seine Leidenschaft hinterließ auf seinem Bärengesicht Spuren, die es höchst originell machten: seine Nase hatte den Umfang und die Form eines großen A von riesigen Dimensionen, seine beiden mit unzähligen Aderchen durchzogenen Backen sahen aus wie manche Weinblätter, die voller violetter, purpurner und oft buntgesprenkelter kleiner Buckel sitzen; man konnte an eine ungeheure Trüffel denken, die mit herbstlichem Weinlaub umrankt war. Unter zwei mächtigen Brauen, die wie zwei schneebedeckte Büsche aussahen, hatten seine beiden grauen Augen, in denen die Schlauheit einer Habgier funkelte, die alles, selbst die Vaterliebe in ihm ertötet hatte, ihren Glanz noch in der Trunkenheit bewahrt. Sein kahler Schädel, der noch von grauen, lockigen Haaren umrahmt war, erinnerte an die Franziskanermönche aus den Erzählungen Lafontaines. Er war untersetzt und beleibt, wie es bei diesen alten Lampen, die mehr Öl als Docht verbrauchen, oft der Fall ist; denn die Ausschweifungen in irgendeiner Sache treiben den Körper in die Richtung, die ihm gemäß ist. Die Trunksucht macht ebenso wie das Studieren den Dicken noch dicker und den Magern magerer. Jérôme Nicolas Séchard trug seit dreißig Jahren den bekannten Dreispitz, der sich noch heutzutage in den Städten mancher Provinzen auf dem Kopf des städtischen Tambourmajors findet. Seine Weste und seine Hose waren aus grünlichem Tuch, überdies trug er einen alten braunen Überzieher, buntgewebte baumwollene Strümpfe und Schuhe mit silbernen Schnallen. Diese Tracht, in der der Handwerksmann noch im reichgewordenen Bürger zu erkennen war, entsprach seinen Lastern und Gewohnheiten so gut, war so sehr der Ausdruck seines Lebens, dass es schien, als ob dieser Wackere völlig angekleidet erzeugt worden wäre; man hatte ihn sich ebensowenig ohne seine Kleidungsstücke vorstellen können, wie eine Zwiebel ohne die Häute. Wenn der alte Drucker nicht schon längst wegen seiner blinden Habgier bekannt gewesen wäre, hätte die Art, wie er sein Geschäft übergab, genügt, ihn zu kennzeichnen. Trotz der Kenntnisse, die sein Sohn von der hohen Schule des Didot mitbringen musste, nahm er sich vor, das gute Geschäft mit ihm zu machen, das er schon lange hin und her überlegt hatte. Freilich, wenn der Vater ein gutes Geschäft machte, war es unausbleiblich, dass der Sohn ein schlechtes machte. Aber für den Wackern gab es in Geschäften nicht Sohn und nicht Vater. Hatte er zuerst in David sein einziges Kind gesehen, so erblickte er später in ihm nur noch den gegebenen Käufer, dessen Interessen seinen entgegengesetzt sein mussten: er wollte teuer verkaufen, David musste billig kaufen; sein Sohn war also ein Feind geworden, den es zu besiegen galt. Diese Umwandlung des zärtlichen Gefühls in persönliches Interesse, die bei wohlerzogenen Leuten gewöhnlich langsam, versteckt und heuchlerisch vor sich geht, war bei dem Alten schnell und unverhohlen, und der Bär zeigte, um wieviel stärker die schlaue Saufographie war als die kunstgerechte Typographie. Als sein Sohn anlangte, benahm sich der Ehrenmann ihm gegenüber mit der geschäftlichen Zärtlichkeit, die die Gewandten für ihre Opfer haben: er ging mit ihm um wie ein Liebhaber mit seiner Geliebten; er gab ihm den Arm, er sagte ihm, wo er die Füße hinsetzen musste, um sich nicht mit Schmutz zu bespritzen, er hatte ihm sein Bett wärmen, Feuer anmachen und ein gutes Abendbrot richten lassen. Nachdem er am andern Tag versucht hatte, seinen Sohn während eines üppigen Mahles betrunken zu machen, sagte Jérôme Nicolas Séchard, der stark bezecht war, zu ihm: »Nun zum Geschäft!« Und das war so kurios zwischen zwei Rülpsgeräuschen eingeschoben, dass David ihn bat, das Geschäft bis morgen zu lassen. Der alte Bär verstand es aber zu gut, aus seiner Betrunkenheit Vorteil zu ziehen, als dass er eine so lange vorbereitete Schlacht aufgegeben hätte. »Außerdem«, sagte er, »habe er fünfzig Jahre lang seine Kugel getragen, jetzt wollte er sie keine Stunde länger schleppen. Von morgen an sollte sein Sohn der Pinsel sein.«
Hier ist es vielleicht am Platze, ein Wort über die Druckerei zu sagen. Sie war an der Stelle gelegen, wo die Rue de Beaulieu auf die Place du Mûrier mündet, und befand sich in diesem Hause seit dem Ende der Regierung Ludwigs XIV. Ebenfalls seit langer Zeit waren die Räume im Innern für die Ausübung dieses Handwerks eingerichtet. Das Erdgeschoß war ein sehr großer Raum, der von der Straße her durch einen alten Fensterverschlag und von einem innern Hof durch ein großes vergittertes Fenster erleuchtet war. Man konnte außerdem durch einen Gang in das Kontor des Meisters gelangen. Aber in der Provinz sind die Vorgänge bei der Buchdruckerei immer ein Gegenstand so lebhafter Neugier, dass die Kunden lieber durch eine Glastür eintraten, die an der Vorderseite von der Straße her zugänglich war, obgleich man dabei einige Stufen hinuntergehen musste, da sich der Fußboden der Werkstatt unter dem Straßenniveau befand. Die erstaunten Neugierigen achteten niemals auf die Unbequemlichkeiten des Zugangs durch die Engpässe dieser Werkstatt. Wenn sie die gebauschten Papierbogen betrachteten, die an Seilen von der Decke herunterhingen, dann drängten sie sich an den reihenweise aufgestellten Setzkästen entlang, oder sie ließen sich von den Eisenstangen, die die Pressen festhielten, die Frisur in Unordnung bringen. Wenn sie den flinken Bewegungen eines Setzers folgten, der seine Lettern aus den hundertzweiundfünfzig kleinen Fächern seines Setzkastens zusammensuchte, sein Manuskript las, seine Zeile in seinem Winkelhaken noch einmal überlas, während er den Durchschuss einfügte, dann gerieten sie in ein Ries aufgeweichten, feuchten, mit Steinen beschwerten Papieres, oder sie blieben mit dem Rock an der Kante einer Bank hängen; alles zum großen Vergnügen der Affen und der Bären. Niemals war jemand ohne Zwischenfall bis zu den beiden großen Käfigen gelangt, die am Ende dieser Höhle lagen und zwei elende, auf den Hof hinaus gelegene Erker bildeten; dort thronten auf der einen Seite der Faktor, auf der andern der Meister. Im Hof waren die Mauern sehr hübsch mit Weinspalieren geziert, die in Anbetracht des Rufs, in dem der Meister stand, eine anmutende Lokalfarbe gaben. Hinten, an die Grenzmauer angebaut, erhob sich ein verfallener Schuppen, wo das Papier befeuchtet und zurechtgeschnitten wurde. Dort befand sich der Ausguss, auf dem vor und nach dem Druck die Formen abgewaschen wurden; es ergoss sich von da ein Gemisch von der Druckerschwärze und den Abwässern der Haushaltung, das ein solches Aussehen hatte, dass die Bauern, die an den Markttagen in die Stadt kamen, glaubten, der Teufel habe sich in dem Hause gewaschen. An diesen Schuppen stieß auf der einen Seite die Küche, auf der andern ein Holzhaufen. Der erste Stock dieses Hauses, über dem nur noch zwei Mansarden waren, enthielt drei Zimmer. Das erste war ebenso lang wie der Hausgang ohne den Raum, den die alte Holztreppe einnahm, und war von der Straße her durch ein kleines rechteckiges Fenster und vom Hof her durch ein rundes Fensterchen erleuchtet; es diente zugleich als Vorzimmer und als Esszimmer. Es war einfach weiß getüncht, und man bemerkte an ihm die zynische Einfachheit des Krämergeizes. Die schmutzige Scheibe wurde niemals gewaschen; das Mobiliar bestand aus drei schlechten Stühlen, einem runden Tisch und einem Büfett, das zwischen zwei Türen stand, von denen die eine in ein Schlafzimmer und die andere in ein Wohnzimmer führte; die Fenster und die Türen waren braun von Schmutz; meist waren sie von Haufen weißen oder bedruckten Papiers versperrt; oft konnte man den Nachtisch, die Flaschen, die Teller vom Mittagessen des Alten auf den Papierballen herumliegen sehen. Das Schlafzimmer, dessen Fenster mit Blei eingefasst war und das vom Hof aus sein Licht empfing, war mit den alten Teppichen behängt, die man in der Provinz am Fronleichnamstag an den Häusern herunterhängen sieht. Es befanden sich darin ein großes, mit Vorhängen drapiertes Säulenbett, auf dem eine Bettdecke aus rotem Rips lag, ferner zwei wurmstichige Polsterstühle, zwei mit einer Stickerei überzogene Nussbaumholzstühle, ein alter Sekretär und auf dem Kamin eine Uhr im Gehäuse. Dieses Zimmer, in dem eine patriarchalische Behaglichkeit zu spüren und das voller brauner Töne war, war von Herrn Rouzeau, dem Vorgänger und frühern Meister Jérôme Nicolas Séchards, eingerichtet worden. Das Wohnzimmer, das die verstorbene Frau Séchard modern eingerichtet hatte, wies ein fürchterliches Getäfel von grellblauer Farbe auf. Die Füllungen waren mit einer Tapete bekleidet, auf der man Szenen aus dem Orient erblickte, die mit Nussfarbe auf weißem Grund gemalt waren. Die Einrichtung