Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Verlorene Illusionen - Оноре де Бальзак страница 25

Verlorene Illusionen - Оноре де Бальзак

Скачать книгу

der undankbarsten aller Sprachen unsere Bilder entreißen wollen. Wenn es das Ziel der Poesie ist, die Ideen bis zu dem Punkt herauszuarbeiten, wo jedermann sie sehen und empfinden kann, dann muss der Dichter unaufhörlich die Leiter der menschlichen Begabungen auf und ab steigen, um ihnen allen Genüge zu tun; er muss die Logik und das Gefühl, zwei feindliche Gewalten, unter den lebhaftesten Farben verbergen; er muss eine ganze Welt von Gedanken in ein Wort einschließen, ganze Philosophien in ein Bild zusammenziehen; kurz, seine Verse sind Samenkörner, deren Blüten in den Herzen aufsprießen müssen, indem sie dort die Furchen aufsuchen, die die persönlichen Erlebnisse und Gefühle gegraben haben. Muss man nicht alles empfunden haben, um alles wiedergeben zu können? Und heißt nicht lebhaft empfinden so viel wie leiden? Darum entstehen die Dichtungen erst nach mühsamen Reisen in den weiten Gebieten des Gedankens und der Gesellschaft. Sind es nicht unsterbliche Mühen, denen wir Gestalten verdanken, deren Leben ein wirklicheres geworden ist als das von Menschen, die wahrhaft gelebt haben. Gestalten wie die Clarissa von Richardson, die Kamilla von Chénier, die Delia des Tibull, die Angelika des Ariost, die Francesca des Dante, die Alceste von Molière, der Figaro von Beaumarchais, die Rebekka von Walter Scott, der Don Quijote von Cervantes?«

      »Und was werden Sie uns so schaffen?« fragte Châtelet.

      »Solche Schöpfungen vorher ankündigen,« antwortete Lucien, »hieße das nicht, sich ein Patent als Genie ausstellen? Und überdies, diese himmlischen Schöpfungen verlangen eine lange Erfahrung in der Welt, ein Studium der Leidenschaften und der menschlichen Interessen, die mir noch fehlen müssen; aber ich fange an«, sagte er bitter und warf einen Rächerblick auf den Kreis. »Der Geist trägt sein Kind lange bei sich, bis...«

      »Sie werden eine schwere Niederkunft haben«, unterbrach ihn Herr du Hautoy.

      »Ihre treffliche Mutter kann Ihnen beistehen«, sagte der Bischof.

      Dieses so geschickt vorbereitete Wort, diese Rache, auf die man gewartet hatte, ließ in allen Augen einen Strahl der Freude aufleuchten. Auf alle Lippen kam ein Lächeln der aristokratischen Genugtuung, das durch die Albernheit Herrn von Bargetons, der nachträglich zu lachen anfing, verstärkt wurde.

      »Monseigneur, Sie sprechen in diesem Augenblick ein wenig zu geistlich für uns, die Damen hier verstehen Sie nicht«, sagte Frau von Bargeton und ließ durch dieses einzige Wort das Lächeln verschwinden; alle blickten sie erstaunt an. »Ein Dichter, der alle seine Eingebungen in der Bibel findet, hat in der Kirche eine wahre Mutter. Herr von Rubempré, sprechen Sie uns Ihren ›Johannes auf Patmos‹ oder ›Das Festmahl des Balthasar‹; Monseigneur wird da sehen, dass Rom noch immer die Magna Parens des Vlrgil ist.«

      Die Frauen tauschten ein Lächeln aus, als sie Naïs diese zwei lateinischen Worte aussprechen hörten.

      Im Beginn des Lebens können die stolzesten und tapfersten Charaktere der Entmutigung nicht immer entgehen. Dieser Streich hatte Lucien zuerst wie in die Tiefe untergetaucht; aber er stieß mit dem Fuß auf den Grund, kam wieder nach oben und schwor sich, über diese Welt Herr zu werden. Wie der Stier, der von tausend Pfeilen getroffen ist, erhob er sich wütend und gehorchte der Stimme seiner Louise, um »Johannes auf Patmos« zu deklamieren; aber die meisten Spieltische hatten ihre Spieler angezogen, die in ihr gewohntes Geleise zurückfielen, in dem sie ein Vergnügen fanden, das die Poesie ihnen nicht gegeben hatte. Dann wäre auch die Rache ihrer gereizten Eigenliebe keine völlige gewesen, wenn man nicht dieser heimischen Poesie negative Missachtung bezeigt und von Lucien und Frau von Bargeton abgefallen wäre. Jeder schien etwas anderes zu tun zu haben: einer musste mit dem Präfekten über eine Kreisstraße sprechen, eine andere begann davon zu reden, man könnte in die Unterhaltung des Abends Abwechslung bringen und ein wenig Musik machen. Die vornehme Gesellschaft von Angoulême, die sich auf dem Gebiet der Poesie schlecht bewandert fühlte, war besonders neugierig, die Meinung der Rastignac und der Pimentel über Lucien zu erfahren, und mehrere Personen begaben sich zu ihnen. Der große Einfluss, den diese beiden Familien im Departement ausübten, wurde in großen Augenblicken immer anerkannt; jeder beneidete sie und jeder machte ihnen den Hof, denn alle sahen sie voraus, dass sie ihre Protektion einmal nötig haben könnten.

      »Wie finden Sie unsern Dichter und seine Poesie?« fragte Jacques die Marquise, bei der er oft zur Jagd gewesen war.

      »Aber für Provinzverse sind sie nicht schlecht,« sagte sie lächelnd; »überdies kann ein so schöner Dichter nichts schlecht machen.«

      Jeder fand dieses Urteil entzückend und wiederholte es, wobei sie mehr Bosheit hineinlegten, als die Marquise beabsichtigt hatte. Châtelet wurde nunmehr gebeten, Herrn von Bartas zu begleiten, der die große Arie des Figaro verhunzte. Nachdem die Musik einmal hereingelassen worden war, musste man sich die Ritterromanze von Châtelet vorsingen lassen, die Chateaubriand in der Kaiserzeit verfasst hatte. Dann kamen die Stücke zu vier Händen, die auf Verlangen der Frau von Brossard, welche nachher das Talent ihrer lieben Kamilla in den Augen des Herrn von Séverac leuchten lassen wollte, von jungen Mädchen vorgetragen wurden.

      Frau von Bargeton war über die Geringschätzung verletzt, die die ganze Gesellschaft ihrem Dichter gegenüber zum Ausdruck brachte, und setzte Verachtung gegen Verachtung: sie ging, solange man musizierte, in ihr Boudoir. Ihr folgte der Bischof, den sein Generalvikar über die tiefe Ironie seines unfreiwilligen Witzes aufgeklärt hatte und der sie wieder gutmachen wollte. Fräulein von Rastignac schlich sich ohne Wissen ihrer Mutter, von der Poesie angezogen, ebenfalls in das Boudoir. Louise konnte, als sie sich auf das Kanapee setzte, zu dem sie Lucien geführt hatte, ohne gehört oder gesehen zu werden, ihm ins Ohr flüstern: »Süßer Freund, sie haben dich nicht begriffen! Aber ›dein Lied ist süß, es klingt mir noch im Ohr‹.«

      Lucien war von dieser Schmeichelei getröstet und vergaß für einen Augenblick seine Schmerzen.

      »Es gibt keinen billigen Ruhm«, so sprach Frau von Bargeton, die seine Hand ergriff und sie drückte, ihm zu. »Leiden Sie, leiden Sie, mein Freund, Sie werden groß werden, Ihre Schmerzen sind der Preis Ihrer Unsterblichkeit. Ich wollte, ich hätte die Mühen eines Kampfes zu überstehen. Gott behüte Sie vor einem schlaffen und kampflosen Leben, wo die Schwingen des Adlers nicht Raum genug finden! Ich beneide Sie um Ihre Leiden, denn Sie leben wenigstens! Sie werden Ihre Kräfte zur Geltung bringen. Sie erhoffen den Sieg: Ihr Kampf wird glorreich sein. Wenn Sie in dem herrlichen Reich angelangt sind, wo die großen Geister thronen, dann erinnern Sie sich der Armen, die vom Schicksal enterbt sind, deren Geist unter dem Druck moralischer Stickluft vernichtet wird und die zugrunde gehen mit dem beständigen Wissen um das Leben, ohne dass sie doch hätten leben können, die scharfe, durchdringende Augen gehabt und doch nichts gesehen haben, einen feinen Geruchssinn und doch keinen Duft empfunden haben als von verpesteten Blüten. Besingen Sie alsdann in Ihrer Dichtung die Pflanze, die inmitten eines Waldes vertrocknet, erstickt von Lianen, von wuchernden Schmarotzerpflanzen, ohne dass die Sonne sie gekost hätte, die stirbt, ohne geblüht zu haben! Wäre das nicht ein Gedicht von grausiger Melancholie, ein ganz und gar phantastischer Stoff? Was für ein himmlisches Bild, die Zeichnung eines jungen Mädchens, das unter dem Himmel Asiens geboren wurde, oder der Tochter der Wüste, die in irgendein kaltes Land des Okzidents verpflanzt wurde und nach ihrer geliebten Sonne ruft, die an Schmerzen stirbt, die niemand begreift, und in gleicher Weise von der Kälte und von der Liebe vernichtet wird! Das wäre der Typus so gar manchen Menschendaseins.«

      »Sie würden dann die Seele beschreiben, die sich des Himmels erinnert«, sagte der Bischof. »Übrigens muss dieses Gedicht früher einmal gemacht worden sein, ich habe mit Freude ein Fragment davon im Hohenliede gefunden.«

      »Das müssen Sie machen«, sagte Laura von Rastignac und brachte mit diesen Worten einen naiven Glauben an Luciens Genie zum Ausdruck.

      »Es fehlt Frankreich ein großes religiöses Gedicht«, sagte der Bischof. »Glauben Sie mir, auf den Mann von Talent, der für die Religion arbeitet, warten Ruhm und Reichtum.«

Скачать книгу