Verlorene Illusionen. Оноре де Бальзак
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»Hier habe ich«, sagte er zu David und zog ein umfangreiches Heft aus der Tasche, »eine Denkschrift, die ich drucken lassen möchte. Möchten Sie kalkulieren, was sie kosten wird.«
»Ich bedaure,« antwortete David; ohne das Heft anzusehen, »wir drucken keine so umfangreichen Manuskripte, Sie müssen sich an die Herren Cointet wenden.«
»Wir haben aber doch eine sehr hübsche Schrift, die sich eignen könnte«, fiel Lucien ein und nahm das Manuskript in die Hand. »Sie müssten die Freundlichkeit haben, morgen wiederzukommen und uns Ihr Werk zur Berechnung der Druckkosten hier zu lassen.«
»Habe ich nicht mit Herrn Lucien Chardon die Ehre?«
»Jawohl«, antwortete der Faktor. »Ich bin glücklich,« sagte der Schriftsteller, »einen jungen Dichter kennen zu lernen, dem eine so schöne Zukunft bevorsteht. Ich bin von Frau von Bargeton geschickt.«
Als Lucien diesen Namen hörte, errötete er und stammelte einige Worte, um seine Dankbarkeit für das Interesse auszudrücken, das ihm Frau von Bargeton entgegenbrachte. David bemerkte das Erröten und die Verlegenheit seines Freundes, den er die Unterhaltung mit dem Landedelmann weiterführen ließ. Der war der Verfasser einer Denkschrift über die Seidenwürmerzucht, der aus Eitelkeit gerne gedruckt sein wollte, um von seinen Kollegen von der Landwirtschaftsgesellschaft gelesen zu werden.
»Wie, Lucien,« rief David aus, als der Herr gegangen war, »solltest du Frau von Bargeton lieben?«
»Wahnsinnig!«
»Aber ihr seid durch die Vorurteile der Gesellschaft mehr voneinander getrennt, als wenn sie in Peking lebte und du in Grönland.«
»Der Wille zweier Liebenden überwindet alles«, sagte Lucien und senkte die Augen. »Du wirst uns vergessen«, erwiderte der schüchterne Liebhaber der schönen Eva. »Vielleicht habe ich dir im Gegenteil meine Geliebte geopfert«, rief Lucien. »Wieso?«
»Trotz meiner Liebe, trotz der verschiedenen Interessen, die es ratsam machen, bei ihr zu verkehren, habe ich ihr gesagt, ich käme nie wieder, wenn nicht ein Mann, dessen Begabung größer ist als meine, dessen Zukunft ruhmvoll sein muss, wenn nicht mein Bruder und Freund, David Séchard, von ihr empfangen wird. Ich muss zu Hause eine Antwort vorfinden; aber wenn die Antwort ablehnend ist, werde ich, obwohl heute Abend alle Adligen eingeladen sind, um mich Gedichte lesen zu hören, keinen Fuß mehr über die Schwelle der Frau von Bargeton setzen.«
David wischte sich über die Augen und drückte die Hand Luciens mit Leidenschaft. Es schlug sechs Uhr.
»Eva wird unruhig werden, – leb wohl!« sagte Lucien plötzlich. Er ging und ließ David in einer Erregung zurück, die man nur in diesem Alter so heftig verspürt, besonders in der Lage, in der sich diese beiden jungen Schwäne befanden, denen das Provinzleben noch nicht die Flügel beschnitten hatte.
»Goldenes Herz!« rief David, indem er Lucien, der die Werkstatt durchschritt, mit den Blicken folgte.
Lucien ging durch die schöne Beaulieu-Promenade, die Nue du Minage und das Peterstor nach Houmeau. Er wählte so zwar den längsten Weg, aber er kam dabei an dem Hause der Frau von Bargeton vorbei. Er fühlte selbst unbewusst ein solches Vergnügen, wenn er unter den Fenstern dieser Frau vorbeiging, dass er seit zwei Monaten nicht mehr durch das Palet-Tor nach Houmeau zurückging.
Als er bei den Bäumen von Beaulieu angelangt war, sann er über den Abstand nach, der Angoulême vom Houmeau trennte. Die Sitten des Landes hatten moralische Schranken errichtet, die viel schwerer zu übersteigen waren als die Stufen, über die Lucien hinabging. Der junge Ehrgeizige, der sich im Hause Bargeton eingeführt hatte und so den Ruhm wie eine fliegende Brücke zwischen die Stadt und die Vorstadt geworfen hatte, befand sich der Entscheidung seiner Geliebten wegen in Unruhe; er glich einem Günstling, der die Ungnade fürchtet, nachdem er versucht hat, sein Machtgebiet auszudehnen. Das wird denen unverständlich vorkommen, die die besondern Sitten in solchen Städten, die in eine Oberstadt und eine Unterstadt eingeteilt sind, noch nicht beobachtet haben; aber um so notwendiger ist es, hier einige Erklärungen über Angoulême zu geben, als sie Frau von Bargeton, eine der wichtigsten Personen dieser Geschichte, verständlich machen werden.
Angoulême ist eine alte Stadt, die auf dem Gipfel eines zuckerhutförmigen Felsens erbaut ist, der sich über die Ebene erhebt, in der die Charente dahinfließt. Dieser Felsen grenzt gegen das Périgord an eine lange Hügelkette, die er auf der Straße von Paris nach Bordeaux plötzlich abschließt, indem er eine Art Vorgebirge bildet, das von drei malerischen Tälern durchzogen wird. Welche Bedeutung diese Stadt in der Zeit der Religionskriege besaß, wird von seinen Wällen, seinen Toren und von den Resten einer Feste bezeugt, die sich auf der Kuppe des Felsens erhebt. Seine Lage machte Angoulême ehemals zu einem strategischen Punkt, der den Katholiken und den Kalvinisten in gleicher Weise wertvoll war; aber seine frühere Stärke ist der Grund zu seiner jetzigen Schwäche; seine Wälle und der Felsen, der zu steil abfällt, haben Angoulême verhindert, sich nach der Charente zu auszudehnen, und haben es so zum schlimmsten Stillstande verdammt. Um die Zeit herum, wo diese Geschichte sich zutrug, versuchte die Regierung, die Stadt gegen das Périgord hin zur Ausdehnung zu bringen, indem sie der Hügelkette entlang das Präfekturgebäude, eine Marineschule und militärische Gebäude errichtete und Straßen anlegte. Aber der Handel war in anderer Richtung vorausgegangen. Seit langer Zeit war der Flecken Houmeau wie ein Champignonbeet am Fuße des Felsens und an den Ufern des Flusses angewachsen, an dem die große Straße von Paris nach Bordeaux entlangzieht. Alle Welt kennt die Berühmtheit der Papiermühlen von Angoulême, die sich seit drei Jahrhunderten notwendigerweise an der Charente und ihren Nebenflüssen angesiedelt hatten, wo sie Wasserfälle fanden. Der Staat hatte in Ruelle seine wichtigste Marinegeschützgießerei errichtet. Das Speditionsgeschäft, die Post, die Herbergen, die Stellmachereien, die Fuhrgeschäfte, alle Industrien, die von der Landstraße und vom Flusse leben, gruppierten sich unterhalb von Angoulême, um die Schwierigkeiten zu vermeiden, die die steilen Zugangsstraßen bereiteten. Natürlich blieben die Gerbereien, die Wäschereien und alle Geschäfte, die Wasser brauchten, bei der Charente; ferner waren die Branntweinlager, die Niederlagen aller möglichen Rohstoffe, die auf dem Flusse hergebracht wurden, endlich der ganze Durchgangsverkehr an den Ufern der Charente. Die Vorstadt Houmeau wurde also eine reiche Industriestadt, ein zweites Angoulême, auf das die Oberstadt, in der die Regierung, der Bischofssitz, die Gerichte und die Aristokratie verblieben waren, eifersüchtig war. So war Houmeau trotz seiner tätigen und wachsenden Macht nur ein Anhängsel von Angoulême. Oben der Adel und die Behörden, unten der Handel und das Geld: zwei soziale Zonen, die einander allenthalben und ständig feindlich gegenüberstehen; auch ist es schwierig, zu sagen, welche von den beiden Städten die Nebenbuhlerin am meisten hasste. Die Restauration hatte seit neun Jahren diesen Stand der Dinge, der unter dem Kaiserreich ziemlich besänftigt gewesen war, verschlimmert. Die meisten Häuser des obern Angoulême sind entweder von Adelsfamilien oder von Patrizierfamilien bewohnt, die von ihren Einkünften leben und eine Art autochthone Nation bilden, in die Fremde nie zugelassen werden. Kaum wird eine Familie, die aus einer Nachbarprovinz gekommen ist, wenn sie zweihundert Jahre da gewohnt hat, etwa nach einer Verbindung mit einer der eingeborenen Familien, aufgenommen; diese Eingeborenen betrachten sie, als ob sie erst gestern ins Land gekommen wären. Die Präfekten, die Obersteuereinnehmer, die Verwaltungen, die einander seit vierzig Jahren gefolgt sind, haben versucht, diese alten Familien, die wie argwöhnische Raben auf ihrem Felsen hocken, zu humanisieren: die Familien haben ihre Feste und ihre Gastmähler angenommen, aber sie bei sich zu empfangen, haben sie hartnäckig abgelehnt. Diese Häuser, deren Glieder boshaft, klatschsüchtig, eifersüchtig und geizig sind, verheiraten