Die Lilie im Tal. Оноре де Бальзак
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»Der junge Herr ...«, sagte die Comtesse. »Nun, und, meine Liebe?« antwortete er und wandte sich um, mit der herrischen Schroffheit, die besagte, wie sehr er absoluter Herr im Hause sein wollte und wie wenig er es dann war. »Der junge Herr ist von Tours zu Fuß gekommen. Monsieur de Chessel wusste nichts davon und hat ihm die Umgegend von Frapesle gezeigt.« – »Sie haben eine Unvorsichtigkeit begangen«, sagte er zu mir, »obwohl in Ihrem Alter ...« Und er schüttelte zum Zeichen des Bedauerns den Kopf.
Die Unterhaltung wurde wieder aufgenommen. Ich merkte alsbald, wie empfindlich er in seiner Königstreue war und wie vieler Schonung es bedurfte, um nicht mit ihm zusammenzugeraten. Der Diener, der schnell in seine Livree gefahren war, meldete das Diner. Monsieur de Chessel führte Madame de Mortsauf zu Tisch, und der Comte nahm mich lachend beim Arm, um ins Esszimmer zu gehen, das in der Anordnung der Räume des Erdgeschosses das Gegenstück zum Wohnzimmer bildete.
Mit weißen, in der Touraine gebrannten Kacheln ausgelegt und bis zur Brusthöhe getäfelt, hatte das Esszimmer eine gefirnisste Tapete, die von Blumen- und Fruchtgirlanden umrankte Felder darstellte. Die Fenster hatten Perkalvorhänge mit roten Borten. Die Möbel waren alte Wertstücke aus der Werkstatt André Beuls, und die mit Handstickereien aufgemachten Stühle waren aus geschnitzter Eiche. Der gedeckte Tisch war reich, aber prunklos: alte Erbstücke von Silberzeug in verschiedenem Stil, Meißener Porzellan, das damals noch nicht wieder Mode geworden war; achteckige Karaffen, Messer mit Achatgriffen, und unter den Flaschen Untersätze aus Chinalack; Blumen in gefirnissten Töpfen mit vergoldeten Zacken. Mir gefiel dieser Altväterhausrat. Ich fand die altmodische Tapete mit den Blumengirlanden wundervoll. Die Freudigkeit, die mich ganz erfüllte, ließ mich die unübersteigbaren Schwierigkeiten nicht sehen, die das eng umgrenzte Leben in der Einsamkeit und auf dem Lande zwischen der Comtesse und mir aufgerichtet hatte. Ich war nahe bei ihr, zu ihrer Rechten, ich goss ihr ein, ja ich hatte das unverhoffte Glück, ihr Kleid zu streifen, ich aß von ihrem Brote. Nach drei Stunden hatten sich unsere Lebenspfade verschlungen. Überdies verband uns noch jener schreckliche Kuss wie ein Geheimnis, dessen sich ein jeder schämte. Ich legte eine großartige Feigheit an den Tag und nahm mir vor, dem Comte zu gefallen, der auch willig auf alle meine Avancen einging. Ich hätte den Hund gestreichelt, hätte jedem Wunsch der Kinder mit Freuden willfahrt, hätte ihnen Reifen und Klicker gebracht, ich hätte sie auf mir herumreiten lassen; fast zürnte ich ihnen, dass sie sich meiner noch nicht wie ihres Eigentums bemächtigt hatten ... Die Liebe hat ihre Eingebungen wie das Genie, und ich hatte die unklare Ahnung, dass Gewalttätigkeiten, mürrisches Wesen und feindliche Gesinnung meine Hoffnungen zerstören würden. Das Mahl verfloss für mich in eitel Herzenswonnen. Wenn ich mich so bei ihr sah, konnte ich weder an ihre kalte Zurückhaltung denken noch an die Gleichgültigkeit, die sich hinter der Höflichkeit des Comte verbarg. Die Liebe kennt, wie das Leben, eine Pubertät, während deren sie sich selbst genügt. Ich gab einige ungeschickte Antworten, die dem geheimen Tumult der Leidenschaft in mir entsprangen, die aber niemand deuten konnte, selbst sie nicht, die ja von Liebe nichts wusste. Die übrige Zeit verstrich wie im Traume. Dieser schöne Traum verflog, als ich beim Mondlicht an dem schönen, duftschweren Abend die Indre überschritt, umringt von Nebelgebilden, die Wiesen, Ufer und Hügel umstrichen. Ich hörte den lauten Ton, die eintönig melancholische Note, die ein Laubfrosch – seinen wissenschaftlichen Namen weiß ich nicht – bei gleichmäßiger Witterung ertönen lässt und den ich seit jenem feierlichen Tage nie ohne tiefes Entzücken höre. Ich erkannte etwas später, hier wie sonstwo, die marmorne Gefühllosigkeit, an der bisher meine Gefühle sich zerrieben hatten; ich fragte mich, ob das immer so bliebe, ich glaubte unter einem verhängnisvollen Einfluss zu stehen. Die düstern Ereignisse der Vergangenheit schlugen sich mit den Freuden, die ich nur aus mir selbst geschöpft hatte. Kurz vor Frapesle blickte ich hinüber nach Clochegourde und sah auf dem Fluss ein Boot liegen, das man in der Touraine ›toue‹ nennt. Es war an einer Esche befestigt und wurde vom Wasser gewiegt. Es gehörte Monsieur de Mortsauf, der es zum Fischen benutzte.
»Nun, wie steht's?« fragte mich Monsieur de Chessel, als wir außer Hörweite waren; »ich brauche mich wohl nicht zu erkundigen, ob Sie Ihre schönen Schultern wiedergefunden haben. Ich kann Ihnen zu dem Empfang, den Monsieur de Mortsauf Ihnen bereitet hat, nur Glück wünschen. Weiß Gott, Sie haben sein Herz im Ansprung erobert!«
Dieser Satz, im Zusammenhang mit dem früher erwähnten, flößten mir neuen Mut ein. Ich hatte seit Clochegourde kein Wort mehr gesprochen, und Monsieur de Chessel dachte wohl, mein Schweigen sei lauter Glück.
»Wie meinen Sie das?« entgegnete ich mit einem Anflug von Spott, was aber ebensogut für verhaltene Leidenschaft gelten konnte. »Er hat niemals irgendwen so freundlich empfangen.« – »Ich muss gestehen, dass ich selbst erstaunt bin«, antwortete ich, denn ich fühlte aus seinen letzten Worten eine geheime Unzufriedenheit heraus.
Obwohl ich der aristokratischen Anschauungen zu unkundig war, um Monsieur de Chessel zu verstehen, fiel mir doch der Ton auf, mit dem er sich verraten hatte. Mein Gastgeber war mit dem Namen Durand behaftet und machte sich dadurch lächerlich, dass er den Namen seines Vaters verleugnete, eines großen Fabrikbesitzers, der sich während der Revolution ungeheuer bereichert hatte. Seine Frau war alleinige Erbin der Chessel, eines alten Parlamentariergeschlechts, das unter Heinrich IV. noch bürgerlich war, wie die meisten Pariser Magistratspersonen. Von hochstrebendem Ehrgeiz beseelt, wollte Monsieur de Chessel den ursprünglichen Durand aus der Welt schaffen, um so dem Ziel seiner Träume näherzukommen. Er nannte sich zuerst Durand de Chessel, dann D. de Chessel, schließlich war er nur noch Monsieur de Chessel. Während der Restauration gründete er auf Grund eines Adelsbriefes, den ihm Ludwig XVIII. verlieh, ein Majorat mit dem Grafentitel. Seine Kinder ernteten die Früchte seines Mutes, ohne dessen ganzen Umfang zu kennen. Oft hat der Ausspruch eines spottlustigen Prinzen schwer auf ihm gelastet, der von ihm sagte: »Monsieur de Chessel kehrt den Durand nur selten heraus.« Dieser Satz hat lange Zeit die Touraine entzückt. Emporkömmlinge sind wie die Affen, deren Geschicklichkeit sie besitzen: man sieht sie steigen, man bewundert ihre Gelenkigkeit, solange sie klettern, aber wenn sie zuoberst angelangt sind, gewahrt man nur noch ihre ekle Rückseite! Die Kehrseite meines Gastgebers, das waren all seine kleinlichen Züge, die der Neid noch verstärkte. Die Pairswürde und er waren bisher unvereinbar gewesen. Ansprüche haben und sie durchsetzen, macht die Impertinenz der Kraft aus; aber seinen offen eingestandenen Ansprüchen nicht genügen bedeutet eine beständige Lächerlichkeit, an der kleine Geister sich weiden. Monsieur de Chessel hat nicht den geraden Weg des starken Mannes verfolgt. Zweimal wurde er in die Kammer gewählt, zweimal fiel er bei der Wahl durch. Gestern war er noch Generaldirektor, heute nichts, nicht einmal Präfekt. So hatten Erfolge und Niederlagen seinen Charakter verdorben und ihm die ganze Herbheit machtlosen Ehrgeizes gegeben. Im Grunde war er ein liebenswürdiger Mensch, geistvoll und großer Dinge fähig. Aber vielleicht war ihm der Neid verderblich, der das Leben in der Touraine beherrscht, wo jeder seinen Geist benutzt, um über den andern herzufallen. Das schadete ihm in den hohen gesellschaftlichen Kreisen, wo die schlecht bestehen, denen der Erfolg anderer Grimassen verursacht, wo man nicht gern trotzige Lippen sieht, die mit Komplimenten kargen, aber von bissigen Bemerkungen übersprudeln. Hätte er weniger gewollt, so hätte er vielleicht mehr erreicht; aber zu seinem Unglück war er überlegen genug, immer eine aufrechte Haltung zu wahren. Damals sah er gerade die Morgenröte seiner ehrgeizigen Hoffnungen: königliche Gunst lächelte ihm. Gewiss spielte er gern den großen Herrn, aber für mich war er vollendet. Übrigens gefiel er mir aus einem sehr einfachen Grunde: bei ihm fand ich zum erstenmal Ruhe und Behagen. Das an und für sich vielleicht geringe Interesse, das man mir erwies, schien dem unglücklichen, vernachlässigten Kind das Bild elterlicher Liebe. Die warme Gastfreundschaft stand so sehr im Gegensatz zu der Gleichgültigkeit, die mich bisher gequält hatte, dass ich wie ein Kind dafür dankbar war, ohne Ketten und gewissermaßen gehegt leben zu dürfen. Auch sind die Herren von Frapesle so eng mit dem Anfang meines Glückes verknüpft, dass meine Gedanken sie mit einschließen in