Die Lilie im Tal. Оноре де Бальзак

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Die Lilie im Tal - Оноре де Бальзак

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Blicke zu tauschen, meine Tränen flossen oft, wenn sie die ihren zurückhielt. Die Comtesse und ich, wir maßen uns im Leid. Wie viele Entdeckungen machte ich doch während jener ersten vierzig Tage voll wirklicher Schmerzen und unausgesprochener Freuden, voll Hoffnungen, die bald in den Grund gebohrt wurden, bald obenauf schwammen!

      Eines Abends fand ich sie in Andacht versunken vor einem Sonnenuntergang, der die Gipfel in wollüstiges Rot tauchte, während er das Tal wie ein Lager im Dämmer ließ, so dass es unmöglich war, nicht die Klänge des ewigen Liedes der Lieder herauszuhören, mit dem die Natur ihre Geschöpfe zur Liebe lädt.

      Fand das junge Mädchen seine entschwundenen Illusionen wieder? Schmerzte die Frau ein heimlicher Vergleich? Ich glaubte, in ihrer Haltung eine gewisse Abspannung zu bemerken, die den ersten Geständnissen dienlich schien, und sagte: »Es gibt im Leben so schwere Tage!« – »Sie haben in meiner Seele gelesen«, sagte sie; »aber wie war es möglich?« – »Es gibt zwischen uns so viele Berührungspunkte«, antwortete ich. »Gehören wir nicht zu der kleinen Zahl bevorzugter Wesen, die für Leid und Freude doppelt empfänglich, deren Gemütssaiten alle aufeinander abgestimmt sind und durch ihre gleichen Schwingungen große, volle Töne hervorrufen und deren Nervenleben im Einklang mit dem Urgrund aller Dinge steht?... Wenn solche Menschen in einem Konzert von Missklängen leben, leiden sie furchtbar, wie anderseits ihre Freude bis zur Verzückung sich steigert, wenn sie Gedanken, Empfindungen oder Wesen begegnen, die ihnen innerlich verwandt sind. Aber es ist für uns ein dritter Zustand möglich, dessen Leiden nur den Seelen bekannt sind, die an derselben Krankheit leiden und bei denen sich brüderliches Verstehen findet. Wir können guten wie schlimmen Eindrücken verschlossen sein. Eine Orgel, reich an klangvollen Registern, spielt in der Leere unsers Herzens, braust in gegenstandsloser Leidenschaft, bringt Töne hervor, ohne sie zu Melodien zu formen, und wirft ihre Klänge hinaus in lautlose Stille. Das ist der furchtbare Widerstreit in einer Seele, die sich gegen die Nutzlosigkeit des Nichts aufbäumt. Das sind die aufreibenden Spiele, in denen unsere Kraft sich vergeudet, wie das Blut aus einer unbekannten Wunde sickert. Ströme von Empfindungen werden vergossen, das führt zu furchtbarer Entkräftung, zu namenloser Schwermut, für die der Beichtstuhl kein Gehör hat. Habe ich nicht unsere gemeinsamen Leiden geschildert?« Sie erbebte, und ohne den Blick vom Abendrot zu wenden, antwortete sie: »Woher wissen Sie das alles? Sie sind so jung. Waren Sie denn einmal ein Weib?« – »Ach«, antwortete ich ihr mit Rührung in der Stimme, »meine Kindheit war nur eine lange Krankheit.« – »Ich höre Madeleine husten«, sagte sie und stürzte davon.

      Die Comtesse sah meine Bemühungen um sie, ohne daran Anstoß zu nehmen, und das aus zwei Gründen. Zunächst war sie rein wie ein Kind, und ihre Gedanken gerieten nie auf Abwege. Außerdem zerstreute ich den Comte. Ich war für diesen Löwen ohne Krallen und Mähne eine willkommene Beute. Schließlich fand ich einen Grund, häufig zu kommen, der allen einleuchtete: Ich konnte nicht Tricktrack spielen; Monsieur de Mortsauf schlug mir vor, es mir beizubringen, und ich ging darauf ein. Im Augenblick, da wir diese Abmachung trafen, konnte die Comtesse nicht umhin, mir einen mitleidsvollen Blick zuzuwerfen, der besagen sollte: ›Aber Sie stürzen sich ja in den Rachen des Wolfes!‹... Nach drei Tagen wusste ich, wozu ich mich verpflichtet hatte. Meine unermüdliche Geduld, diese Frucht meiner Kindheit, reifte in jener Zeit der Prüfung. Es war für den Comte ein wahres Glück, sich in grausamen Spötteleien zu ergehen, wenn ich die Grundsätze und Regeln, die er mir auseinandergesetzt hatte, nicht in die Tat umsetzte. Wenn ich nachdachte, klagte er über die Langeweile, die ein langsames Spiel verursachte; wenn ich schnell spielte, ärgerte er sich, weil er sich beeilen musste; wenn ich zu viele Points zeichnete, zog er daraus Nutzen und warf mir vor; dass ich zu eilig sei. Es war die reinste Schulmeistertyrannei, eine Herrschaft mit der Rute, wovon ich Ihnen nur eine Vorstellung geben kann, wenn ich mich mit Epiktet vergleiche, der in das Joch eines ungezogenen Kindes geraten war. Wenn wir um Geld spielten, verursachten ihm seine ständigen Gewinne eine unvornehme, kleinliche Freude. Ein Wort von seiner Frau war mir Trost für alles und führte ihn schnell zu Höflichkeit und Anstand zurück. Bald fiel ich in den Feuerofen eines ungeahnten Martyriums: ich büßte all mein Geld ein. Obwohl der Comte immer zwischen seiner Frau und mir stand, bis zu dem Augenblick, wo ich sie – oft spät abends – verließ, hatte ich doch immer die Hoffnung, eine Gelegenheit zu finden, mich in ihr Herz einzuschleichen. Um jedoch diese Stunde zu verdienen, auf die ich mit der peinvollen Geduld des Jägers lauerte, musste ich jene aufregenden Spiele fortsetzen, die meine Seele zerrieben und all mein Geld wegschwemmten. Wie oft waren wir schweigend beieinander gewesen, vertieft in den Anblick einer eigenartigen Beleuchtung der Wolken am grauen Himmel, der dunstigen Hügel oder des zitternden Mondlichts, das über die Steine im Bach huschte! Wir sagten weiter nichts als: »Die Nacht ist schön.« – »Die Nacht ist ein Weib, Madame.« – »Welcher Friede!« – »Ja, hier kann man nicht ganz unglücklich sein.«

      Danach ging sie zu ihrem Stickrahmen zurück. Endlich fühlte ich, wie in ihrem Innern ein Gefühl der Zuneigung sich festsetzte und Wurzeln schlug. Ohne Geld war es vorbei mit den Spielabenden. Ich hatte meiner Mutter geschrieben, sie möge mir Geld schicken; sie schalt mich und gab mir so wenig, dass es keine acht Tage reichte. An wen sollte ich mich wenden? Es handelte sich um mein Leben. So fand ich in meinem ersten großen Glück die Leiden wieder, die mir überall zugesetzt hatten. Aber in Paris, in der Schule, im Internat war ich ihnen durch wohlüberlegte Enthaltsamkeit aus dem Wege gegangen. Mein Unglück war nur negativ gewesen; in Frapesle wurde es wirklich. Damals überkam mich die Lust zum Stehlen. Ich lernte jene Gedankenverbrechen kennen, jene furchtbaren Versuchungen, die die Seele durchwühlen und die wir niederkämpfen müssen, wenn wir nicht unsere Selbstachtung verlieren wollen. Die Erinnerung an die grausamen Erwägungen und Seelenängste, denen mich die Sparwut meiner Mutter auslieferte, hat mir immer der Jugend gegenüber die fromme Nachsicht derer eingegeben, die, ohne gefallen zu sein, bis an den Rand des Abgrundes gelangt sind, wie um dessen ganze Tiefe zu ermessen. Zwar festigte sich mein mit Angstschweiß getränktes Ehrgefühl in jenen Augenblicken, wo das Leben vor uns gähnt und uns das harte Geröll auf seinem Grunde sehen lässt; und doch – jedesmal, wenn die menschliche Gerechtigkeit ihr Racheschwert über dem Haupt eines Menschen zückt, sage ich mir: ›Das Strafrecht ist von Leuten verfasst, die das Unglück nicht gekannt haben.‹ In dieser äußersten Notlage entdeckte ich in der Bibliothek Monsieur de Chessels eine Abhandlung über das Tricktrackspiel und studierte sie. Zudem hatte mein Gastgeber die Güte, mir einige Stunden zu geben. Unter seiner freundlicheren Führung machte ich Fortschritte und lernte die Regeln, die ich auswendig wusste, anwenden. In wenigen Tagen war ich so weit, dass ich meinen Meister bezwang. Aber wenn ich gewann, wurde seine Laune abscheulich; seine Augen glitzerten wie Tigeraugen, sein Gesicht verzerrte sich, seine Augenbrauen zuckten, wie ich nie jemandes Augenbrauen habe zucken sehen. Seine Klagen waren die eines verwöhnten Kindes. Manchmal warf er die Würfel fort, geriet in Wut, stampfte, biss in seinen Würfelbecher und überhäufte mich mit Beleidigungen. Diese heftigen Ausbrüche fanden bald ein Ende. Bald beherrschte ich das Spiel so vollkommen, dass ich die Schlacht ganz nach meinem Willen lenkte. Ich richtete es so ein, dass wir am Ende des Spieles ungefähr gleichstanden, indem ich ihn am Anfang gewinnen ließ und am Ende dann das Gleichgewicht wieder herstellte. Der Untergang der Welt hätte den Comte weniger überrascht als die schnell erworbene Überlegenheit seines Schülers. Aber er erkannte sie niemals an. Der immer gleiche Ausgang unsers Spieles war für ihn eine neue Veranlassung, sich und andere zu quälen.

      »Entschieden wird mein armer Kopf müde«, sagte er. »Sie gewinnen immer gegen Ende des Spieles, weil meine Kräfte dann erschöpft sind.«

      Die Comtesse, die das Spiel kannte, durchschaute meine Kunstgriffe gleich beim ersten Mal und erriet in ihnen große Beweise von Zuneigung. Diese Einzelheiten können nur von denen richtig eingeschätzt werden, die die furchtbaren Schwierigkeiten des Tricktracks kennen. Was sagte diese Kleinigkeit doch alles! Aber die Liebe stellt, gleich dem Gott Bossuets, über die glänzendsten Siege das Glas Wasser, das dem Armen gereicht wird, und die heldenhafte Anstrengung des Soldaten, der einen unbeachteten Tod stirbt. Die Comtesse warf mir einen jener dankerfüllten Blicke zu, die ein junges Herz fröhlich bewegen. Sie gönnte mir den Blick, den sie sonst nur ihren Kindern schenkte. Seit diesem glückseligen Abend sah sie mich beim Sprechen immer an. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, in welcher

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