Tägliches Befremden. Reingard Dirscherl

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Tägliches Befremden - Reingard Dirscherl Themen

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      geschichten & begegnungen

      Reingard Dirscherl

      Tägliches Befremden

      Erzählungen

      kurz & bündig verlag | Frankfurt a. M. | Basel

      Dialog der Füße

      «Ach», stöhnte der linke Fuß und wandte sich seinem Partner zu, «mir tut alles weh. In meinen Knochen herrscht Auf­-

      ruhr.»

      Da antwortete der rechte Fuß. «Du bist zu empfindlich. Aber ich habe es auch gehört, wie sie von oben herab über uns gesprochen hat. Klumpfuß und deformiert, das waren ihre Worte. Ich kann mit euch nicht gehen!»

      «Hast du eine Ahnung, warum sie uns so behandelt?», fragte der Linke. «Wir sind doch schön, wir beide. Ich mit meinem Halux, und du mit deinem hohen Rist.»

      «Wir wölben uns wie Brücken von einem Ufer zum anderen, und wir halten stand. Aber sie will lieber fliegen.»

      «Weißt du noch damals, als sie nicht landen konnte? Da war sie wirklich am Ar…»

      «Sch, sprich nicht so», sagte der Rechte zum Linken, «aber ich erinnere mich, sie hatte uns völlig vergessen.»

      «Später hat sie sich ein Fahrrad zugelegt. Was für ein königliches Blau! Kurz darauf hat sie aber doch festgestellt, dass sie ohne uns nicht konnte. Abwärts ging’s immer, aber aufwärts? Wie sollte sie ohne uns in die Pedale treten?»

      «Und wie auf eigenen Beinen stehen, wenn sie Grund­legendes einfach ignorierte?»

      «Wir haben sie durch die Stadt getragen, ihr ganzes Gewicht auf uns geladen.»

      «Um ehrlich zu sein», meinte der rechte Fuß leicht zerknirscht, «ich habe dabei etwas mehr auf mich genommen.»

      «Ja, ja», murrte der linke zurück, «du warst schon immer der Stärkere.»

      «… und die treibende Kraft. Was erwartete sie eigentlich von uns? Dass wir Flügel wären? Füße sind doch für die Erde da, nicht für den Himmel. Meinst du, sie wird das je verstehen?»

      «Wer weiß …?», antwortete der andere, während sein kleiner Zeh ein Zwinkern mit dem Hühnerauge nicht unterdrücken konnte.

      Der Weg durchs Nadelöhr

      BALASUBRAMANIAM. Zuerst sah ich seinen Namen. Er kam mir bei der Begrüßung spielend über die Lippen. «Grüezi Herr Balasubramaniam», sagte ich – wie es sich hier gehört – und dachte dabei, dass andere auf dem Migrationsamt über diesen Namen gestolpert wären. Ich nicht, denn eine Frau Balasubramaniam hatte bei mir einst einen Deutschkurs besucht. Immer noch sind mir die vielsilbigen tamilischen Namen geläufig. In dieser Klasse hatte ich zum ersten Mal eine Sprache gehört, die wie rhythmisches Trommeln klang und mich in meiner Fantasie in dampfende Regenwälder versetzen konnte.

      Nun stand ich ihrem Sohn gegenüber und hätte ihn beinahe mit vanakam (tamilisch für Guten Tag) begrüßt. «Sie könne do aane sitze», sagte er in astreinem Basler Dialekt und wies auf den Stuhl. Ich glaubte die leicht hervorquellenden Augen seiner Mutter zu erkennen.

      «Sie brauchen einen Staatsbürgerschaftsnachweis, Pass, Wohnnachweis, eine neue Geburtsurkunde und die Steuerbescheinigung», erklärte er und übergab mir das gelbe Blatt, auf dem er zuvor alles angekreuzt hatte. «Ihr Mann ist kein Schweizer?», fragte er. Ich nickte. «Auch wenn er sich nicht einbürgern möchte, benötigen wir noch die Geburtsurkunde Ihres Mannes, eine reine Formalität», gab er mir zu verstehen. Das haben Formalitäten so an sich, dass sie rein scheinen, dachte ich, ohne etwas zu entgegnen.

      Mein Weg zum Schweizer Pass begann bei Herrn Balasubramaniam und dauerte präzise zwei Jahre, wie er mir vorausgesagt hatte. Ich kenne kein Land, in dem die Behörden den Zeitraum derart großzügig berechnen, dass die Ereignisse dann auch wirklich pünktlich stattfinden. In dieser Beziehung war und bin ich schon lange Schweizerin und ertrage es nicht, wenn etwas nicht so funktioniert, wie es angekündigt wird. Möge es so lange dauern, wie es will. Gut Ding will

      eben.

      Mit einer erleichterten Einbürgerung war nicht zu rechnen. Ich musste mich genauso anstellen wie alle anderen Passgänger auch. Nach einem halben Jahrhundert in der Schweiz habe ich auch das gelernt.

      In Wien, wo ich zur Welt gekommen bin, waren die Prinzipien etwas lascher und der Orient etwas näher gewesen. In meinem Elternhaus hatte sich eine Filiale der Julius-­Meinl-Kette einquartiert. Über dem Geschäft prangte ein Mohren­kopf mit rotem Fez, und es roch sieben Jahre nach Kaffee und Kolonialwaren, bevor sich meine Eltern in die Schweiz aufmachten. Die Landung war nicht gerade sanft gewesen, obwohl im neuen Land vieles reibungsloser verlief. Ich stolperte an Stoppschildern und Verbotstafeln, die über Zugehörigkeit und Ausschluss bestimmten, vorbei ins Erwachsenenalter. Bei mir hieß es dann eben: «Halt d’ Schnuure, du Sauschwob!»

      «Wer will schon einen Platz unter solchen Menschen?», tröstete ich mich. Sie verbieten dir den Mund, machen ihn zur Schnuure und können dabei einen Schwaben nicht mal von

      einer Wienerin unterscheiden. Ich wurde Ethnologin und verlegte meinen Arbeitsort genau dorthin, wo die Schweiz endete und das Ausland begann. In den Unterrichtsräumen der Deutschkurse betrieb ich meine Studien des Fremden, dem ich oft näher kam als dem Nahen.

      Manchmal war das Nahe abstoßend. Das Nahe waren die rot-schwarzen Plakate einer sogenannten Volkspartei, auf denen ausländische Männer als unrasierte, Sonnenbrillen tragende Mafiosi, die Frauen hingegen als von Kopf bis Fuß schwarz verhüllte Gestalten dargestellt waren. Ein Teil der Schweiz fühlte sich bedroht. Ich habe weder eine Vorliebe für Tschadors, noch hege ich im Namen einer falsch verstandenen Toleranz Sympathien für Zwänge, die andere als religiöse Freiheiten definieren. Es traf mich jedoch, dass eine hier lebende Ausländerin – sämtlicher Individualität enthoben – zu einem gesichtslosen Sack mit Gucklöchern gemacht wurde. Dem Menschen die Persönlichkeit zu stehlen, ist ein Merkmal von Pauschalisierungen.

      Manchmal war das Nahe einfach lästig. Besonders wenn ich es wagte, die Mentalität oder die Politik in Frage zu stellen. Reflexartig rollte sich die Inländerin zusammen, stellte ihre Stacheln auf und verlegte den Komparativ in den Nachbarstaat. «In Österreich ist es auch nicht besser», hieß es dann. Ich fragte nicht nach hier oder dort, links oder rechts, entweder oder. Meine Kriterien bestanden aus sowohl als auch. Ausgrenz­erfahrungen verleiten zum Überschreiten binärer Systeme.

      Als Ausländerin, die ich war, plapperte ich die Mundart wie die Einheimischen und das hier verpönte Hochdeutsche sogar etwas eloquenter, aber etwas durfte ich nicht: Kritik üben. Im Land der Meinungsfreiheit sorgten die Bürger selbst dafür, dass man keine Gesinnungspolizei brauchte. «Wenn es dir nicht passt, kannst du ja gehen», lautete es nach vielen Jahren immer noch – direkt ausgesprochen oder nicht. Nein, ich bleibe. Ich bin schon lange angekommen und möchte als Wienerin mit Weltstadthorizont nach fast 50 Jahren gleichberechtigt mit Helvetias Töchtern durch die Straßen gehen. Ich werde mich einbürgern lassen.

      Ich möchte Ihnen nicht vorenthalten, dass ich zuvor bei meinem Heimatstaat Österreich triftige Gründe nachweisen musste, um die Staatsbürgerschaft behalten zu können. Man riet mir, nicht an Emotionen zu appellieren. Also ließ ich die Sprache von Mutter und Vater, Joseph Roth, Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek, das Schloss Schönbrunn samt Kaiserschmarrn und Zentralfriedhof

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