Klienten kennenlernen – Diagnosen dynamisch utilisieren. Krzysztof Klajs
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Das älteste Kind in der Familie lernt es, fürsorglich zu sein, es fällt ihm aber schwer, die Fürsorge anderer anzunehmen. Das jüngste Kind hat normalerweise viel Erfahrung darin, die Zuwendung anderer zu akzeptieren, hat jedoch wenig Gelegenheit zu lernen, wie man anderen Menschen Unterstützung und Fürsorge zuteil werden lässt. Es fällt ihm leichter, um Hilfe zu bitten, als dem älteren Kind. Das mittlere Kind, das sich zwischen dem ältesten und dem jüngsten befindet, gewinnt Erfahrungen in Mediation und Zusammenarbeit mit Personen ähnlichen Alters. Wichtig ist aber auch, wie lange das Kind seine Position in der Familie innehatte. Ist man das älteste Kind in der Familie und das nächste Kind kam erst sieben Jahre später zur Welt, so war man doch viele Jahre in der Position eines Einzelkindes. Wuchs ein Kind als jüngstes von fünf Geschwistern auf und war der einzige Junge unter vier Schwestern, so sind seine Erfahrungen völlig anders als die des jüngeren zweier Brüder.
Herr D. war ein kinderloser, sympathischer Mann mittleren Alters. Er hatte eine freundliche Stimme. Mit seinem leichten Übergewicht und einem rundlichen, rosigen, lächelnden Gesicht sah er aus, wie aus dem Ei gepellt. Seit Jahren besuchte Herr D. täglich seine Mutter, um bei ihr Mittag zu essen. Mit der Therapie begann er, als seine dritte Ehe kurz vor dem Scheitern stand. Seit einigen Monaten lebten die Eheleute getrennt. Nach der Scheidung von seiner zweiten Frau hatte er in einer längeren eheähnlichen Partnerschaft gelebt, die ebenfalls auseinandergebrochen war. Jede Trennung war auf seine Initiative erfolgt. Bei seiner ersten Scheidung war Herr D. überzeugt, einfach an eine schlechte Frau geraten zu sein. Die zweite Frau beschrieb er als nicht reif genug für die Ehe: »Als Freundin war sie gut, aber sie war überhaupt nicht in der Lage, sich um ihren Ehemann und um das Haus zu kümmern, sie wusste nicht, was es bedeutet, Ehefrau zu sein. Mir war klar, dass es in dieser Ehe für mich absolut keine Zukunft gab.« Als dann die nächste wichtige Beziehung kurz vor dem Zerbrechen stand, neigte Herr D., wie bereits in den vorangegangenen Beziehungen, anfangs dazu, seine Frau für das Scheitern verantwortlich zu machen. Bevor er aber erneut die Scheidung einreichte, kam ihm der Gedanke, dass er, wenn es so weiterginge, niemals eine für sich geeignete Person finden und somit allein bleiben würde. Das wollte er absolut nicht. Ein Leben ohne Frau lag außerhalb seines Vorstellungsvermögens. Bei der ersten Sitzung meinte Herr D., der Therapeut solle ihm dabei helfen, seine Partnerinnen besser auszuwählen. »Vielleicht mache ich irgendeinen Fehler, von dem ich nichts weiß, dass ich mich immer in die falschen Frauen verliebe.«
Herr D. war das jüngste von sieben Geschwistern. Er hatte sechs ältere Schwestern. Eine der Schwestern starb bereits im Kindesalter. Seine Eltern wünschten sich verzweifelt einen Sohn, aber es kamen weitere Töchter zur Welt. Als dann endlich ein Sohn geboren wurde, hatte er eine ganz besondere Position. Für seine Mutter war er das geliebte Söhnchen, auch die älteren Schwestern umsorgten ihn. Im Haus lebte außerdem die jüngere kinderlose Schwester der Mutter, die bei der Erziehung der Kinder half. Der Vater verdiente das Geld und war selten zu Hause. Mit seinem Sohn hatte er nur wenig Kontakt. Die besonderen Erfahrungen, die Herr D. aus seiner Herkunftsfamilie mitbrachte, stellten ihn nach Jahren vor eine außergewöhnliche Herausforderung. Umsorgt von mehreren Schwestern, von der Mutter in eine besondere Position gehoben, überzeugt von der eigenen Einzigartigkeit, suchte er unermüdlich nach einer Lebenspartnerin für sich. Keine Frau konnte gut genug sein, um Herrn D. ein Fortdauern seiner königlichen Kindheit zu garantieren.
In diesem Beispiel lassen sich die dominierenden Trancephänomene gut erkennen: Altersregression und Halluzination. Die negative Halluzination – im Leben von Herrn D. gab es keine männlichen Personen – und die positive Halluzination – in der Wahrnehmung von Herrn D. bestand die Welt ausschließlich aus Frauen. Um die gewünschten Veränderungen zu erreichen, wurde eine Therapiestrategie entwickelt, die Zeitprogression und eine Auflösung der Bereiche der Halluzination zum Ziel hatte. Genauere Informationen dazu, wie man Trancephänomene verstehen und in der Therapie nutzen kann, finden sich im nächsten Kapitel.
2.7Das bevorzugte Wertesystem
Das bevorzugte Wertesystem wird in beschreibender Form dargestellt. Diese Kategorie bezieht sich auf die zentralen Werte, nach denen sich eine Person (eine Familie) im Leben richtet, die sie respektiert, mit denen sie sich identifiziert und die sie als ihre ganz eigenen Werte betrachtet. Das bevorzugte Wertesystem beeinflusst Emotionen und steuert Entscheidungen. Für die einen ist das Gefühl von Sicherheit ein grundlegender Wert, für andere wiederum das Gefühl von Freiheit oder ein interessantes und erfülltes Leben. Auch die persönliche Entwicklung, Autonomie, Beliebtheit, Akzeptanz durch das Umfeld oder Selbstakzeptanz, das Wohl der Familie oder das Pflegen von Freundschaften können Werte darstellen. Darüber hinaus existieren gesellschaftliche, geistige, religiöse oder materielle Werte. Manche Werte wirken sich positiv auf die Gesundheit (auch auf die psychische Gesundheit) aus, andere wiederum eher nicht.
Das bevorzugte Wertesystem zu bestimmen ist einerseits hilfreich, um den Klienten (die Familie) zu verstehen, und andererseits auch für die Durchführung einer Behandlung. In manchen Fällen ist das Wertesystem in sich stimmig. In anderen Fällen spiegelt es die innere Gebrochenheit (oder, wie wir es im Bereich der Trancephänomene beschreiben, die dissoziierte Struktur) einer Person wider. Das Wertesystem bestimmt den Rahmen, innerhalb dessen sich die Person bewegt, sowie die Richtung, in die sie strebt. Außerdem ist das Wertesystem eng mit Elementen der Motivation verbunden, da eine Person mehr für ihre Gesundheit und für das Funktionieren der Familie tun wird, wenn sich ihre Aktivitäten auf ihr vertraute Werte stützen. Oft fällt es zerstrittenen Eltern leichter, auf dem Gebiet der Kindererziehung zusammenzuarbeiten, wenn der Therapeut Werte findet und sich später auf diese beruft, die von beiden Konfliktparteien gemeinsam getragen werden. Solch ein Wert kann beispielsweise sein, dass beide Eltern ihrem Kind eine gute Zukunft ermöglichen möchten.
Oft arbeitet der Therapeut mit Klienten zusammen, deren Wertesystem sich von seinem eigenen stark unterscheidet. Das kann sich schwierig gestalten. So beispielsweise, wenn ein Paar davon überzeugt ist, die Beständigkeit einer Beziehung, wie problematisch diese auch sein mag, sei ein grundlegender Wert, während der Therapeut selbst bereits zum dritten Mal verheiratet ist und sich in seiner jetzigen Beziehung glücklicher fühlt als in den vorherigen Partnerschaften. Ein Therapeut, der seit Jahren regelmäßig an Weiterbildungen teilnimmt und für den die berufliche Entwicklung einen vorderen Platz im Wertesystem einnimmt, sollte trotzdem die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass sich der Klient nach einem völlig anderen Wertesystem richtet, in dem etwa familiäre Werte besonders wichtig sind. Von Bedeutung ist auch, dass sich der Therapeut seines eigenen Wertesystems bewusst ist, was ihm dabei hilft, Werte zu akzeptieren, die von den eigenen abweichen.
2.8Die Metapher im Erleben des Klienten und des Therapeuten
Eine Metapher ist ein symbolischer Bezug oder eine Parallele, wobei ein bestimmtes Thema eingesetzt wird, um ein anderes zu erläutern. Metaphern umfassen Anekdoten, Analogien, Erzählungen, Wortspiele, Rätsel, Scherze oder idiomatische Wendungen (Hayley Klein 2010).
Metaphern,