Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe. Heiko Kleve

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Freiheit, Verantwortung, Selbsthilfe - Heiko Kleve

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Steuerungsregularien für sozialarbeiterische Organisationen nicht die Arbeit an Problemlösungen attraktiv ist, sondern die Ausweitung der Problembearbeitung, wird provokativ für mehr kapitalistische Ökonomie in der Sozialen Arbeit argumentiert. Damit ist gemeint, dass wir die ökonomischen und finanziellen Anreizstrukturen ernst nehmen sollten, um zu schauen, nach welchen Regeln die Sozialwirtschaft finanziert werden sollte, damit sich tatsächlich Lösungsdynamiken und nicht Problemverfestigungen in den professionellen Hilfebeziehungen (auch über entsprechende Anreize) entfalten können. Diese Anreize sollten jedoch nicht auf die Nutzerinnen und Nutzer bezogen sein, sondern auf die Interaktionen und Organisationen der Sozialen Arbeit.

      Im sechsten Kapitel setze ich meine im fünften Kapitel referierten Thesen der fundamentalen und streitbaren Kritik von Markus Eckl aus. Der Sozialpädagoge und Soziologie Eckl durchleuchtet meine liberalen Anschauungen, seziert sie mit einem feinen Gespür für Probleme in der Argumentation und für eine vielleicht immer noch nicht komplex genug gedachte wirtschaftliche Dynamik, in der freilich auch die Soziale Arbeit steht. Bei diesem kritischen Dialog wird bestenfalls deutlich, was Möglichkeiten und Grenzen einer liberal konzipierten Sozialen Arbeit sind und an welchen Stellen der kritische Diskurs weiter und tiefer gehen muss.

      Abschließend wird mit dem siebten Kapitel ein basaler Rahmen für alle liberalen Bestrebungen vorgeführt, nämlich Karl Poppers Position einer offenen Gesellschaft. Die offene Gesellschaft ist das umfassende Sozialsystem (post)moderner Liberalität, das es angesichts aller rechten, linken und fundamentalistisch geprägten Feinde der Freiheit, der individuellen und sozialen Selbstbestimmung zu verteidigen gilt. Da der Begriff der »offenen Gesellschaft« häufig als Worthülse in Sonntagsreden verwendet wird, verschaffe ich einen tieferen Einblick in diese Gesellschaftauffassung. So werden die Bestimmungsmerkmale offener im Gegensatz zu denen geschlossener Gesellschaften skizziert. Zudem wird die soziologische Systemtheorie herangezogen, damit auch Poppers Konzept aus der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einigen Fragen konfrontiert wird, die sich der Liberalismus heute zu stellen hat.

       1Zwischen Marxismus und Neoliberalismus – Für einen komplexen Liberalismus

       1.1Ausgangspunkte

      Es gibt zwei sozialphilosophische Anschauungen zum Charakter der modernen Gesellschaft, die als äußerst gegensätzlich gelten, die aber dennoch in einem Punkt einig sind, nämlich darin, dass die Ökonomie die bestimmende gesellschaftliche Kraft sei. Diese Anschauungen sollen hier vereinfachend als »Marxismus« und »Neoliberalismus« bezeichnet werden – vereinfachend ist dies deshalb, weil es weder den Marxismus noch den Neoliberalismus gibt. Beide Begriffe zirkulieren für eine Vielzahl von Gesellschaftsbeschreibungen, die entweder als Kritik der herrschenden ökonomischen Verhältnisse daherkommen (»Marxismus«) oder die eine weitere Ausweitung der ökonomischen Strukturlogiken des Kapitalismus einfordern (»Neoliberalismus«). Beide Perspektiven vereint jedoch die These, dass es in der Gesellschaft vor allem um wirtschaftliche Verhältnisse geht, dass vorrangig die Ökonomie das Leben der Menschen bestimme.

      Diese These mag schnell einleuchten, wenn wir bedenken, was wir sozial wären, hätten wir kein Geld zur Verfügung. Geld ist nun einmal das zentrale Medium der Wirtschaft. Über Geld sind wir inkludiert in den wirtschaftlichen Kreislauf des Sozialen – ohne Geld bleiben wir exkludiert. Der Marxismus und der Neoliberalismus würden wohl noch weiter gehen und sagen, dass wir ohne Geld nicht nur von der Wirtschaft exkludiert blieben, sondern von der Gesellschaft schlechthin. Genau diese Anschauung wird hier infrage gestellt: dass die Gesellschaft auf Wirtschaft reduziert werden kann. Dass dies mitnichten der Fall ist, wird insbesondere auf der Basis der soziologischen Systemtheorie gezeigt, die in Anlehnung an Armin Nassehi (2015) als Sozialphilosophie eines »komplexen Liberalismus« vorgeführt wird (siehe zur Herkunft dieses Begriffs Herzog 2013).

       1.2Marxismus

      Marx hat den Anbruch der modernen Gesellschaft besonders präzise wahrgenommen und beschrieben, und zwar als ein Phänomen, das zirkuläre Speziallogiken des Sozialen ausdifferenziert und auf Dauer stellt. Diesbezüglich beschreibt er insbesondere die Wirtschaft als kapitalistische Ökonomie, die sich von den menschlichen Akteuren abhebt und nach einem internen systemischen Expansionsgetriebe läuft: der Vermehrung von Profit, der ständigen Akkumulation von Kapital durch Arbeit. Marx hat den radikalen dynamischen Charakter der kapitalistischen Gesellschaft herausgearbeitet und besonders klar gesehen, dass der Kapitalismus die Gesellschaft in einer nie da gewesenen Weise verändert, alle festen Strukturen auflöst und den permanenten Wandel etabliert (etwa Marx u. Engels 1848).

      Für den Marxismus ist die Ökonomie als materielle Basis der Gesellschaft deren Triebkraft, deren Motor. Marx hat die gesellschaftliche Evolution als einen permanenten Kampf beschrieben, in dem gegensätzliche und unversöhnliche (antagonistische) Kräfte um diese materielle Basis ringen. Im Kapitalismus wird dieser unversöhnliche Konflikt als derjenige zwischen Arbeit(ern) und Kapital(isten) beschrieben, zwischen den Ausgebeuteten und den Eigentümern an Produktionsmitteln. Jene müssen ihre Arbeitskraft zu einem Preis verkaufen, der gerade so hoch ist, dass sie ihre materielle, ihre physisch-biologische Reproduktion sichern können, der aber hinter dem »realen« Wert der Ware zurückbleibt, der durch ihre Arbeit allererst geschaffen wird. Diesen Mehrwert, mithin die Differenz zwischen dem Preis, den Kapitaleigentümer für den Kauf der Arbeitskraft zahlen, und demjenigen Wert, den die Arbeit tatsächlich schafft, streiche der Kapitalist als Profit ein.

      Hier liegt nach marxistischer Perspektive die große Ungerechtigkeit der kapitalistischen Ökonomie und ihrer Soziallogik des permanenten Profitstrebens. Für den radikalen Marxismus kann dieser Antagonismus, diese unversöhnliche Gegensätzlichkeit, nur durch eine revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems aufgelöst werden, durch welche die Arbeiter selbst zu Eigentümern des Kapitals, der Unternehmen, mithin der Produktionsmittel werden. In der marxistischen Geschichtsphilosophie, dem historischen Materialismus, wird diese revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems als eine soziale Gesetzmäßigkeit beschrieben, die sich mit dem Blick auf die gesamte Menschheitsgeschichte erschließen lasse. Demnach ist die menschliche Geschichte seit dem Ausgang der Urgesellschaft eine Geschichte von Klassenkämpfen und revolutionären Umwälzungen von Gesellschaften und der Entstehung neuer sozialer Formationen, die als Sklavenhalterordnung, Feudalismus und Kapitalismus als eine Kette der Klassengesellschaften mit ihren einander gegenüberstehenden Gruppen (Klassen) beschrieben werden. Am revolutionären Ende dieser Geschichte stünden der Sozialismus und insbesondere der Kommunismus als klassenlose Gesellschaft, in der Menschen in freier Assoziation zusammen leben und arbeiten sowie sich die Früchte ihrer Produktion gerecht teilen.

      Heute gilt die Idee der gesetzmäßigen Entwicklung der Gesellschaft, die der historische Materialismus geprägt hat, gemeinhin als eine »große Erzählung« im Sinne der postmodernen Philosophie von Jean-François Lyotard (1979), die ihre Glaubwürdigkeit verloren habe. Allerdings wird mithilfe des Marxismus die ungerechte Verteilung innerhalb der Gesellschaft beklagt (siehe aktuell Piketty 2014), die sich letztlich auf die oben beschriebene Akkumulation des Kapitals zurückführen lasse. Eine Lösung des Problems sei die staatliche Lenkung der Wirtschaft, die sich durch entsprechend hohe Besteuerung der Kapitaleigentümer und ihrer Profite, Regelungen zu Mindestlöhnen, Arbeitnehmerschutzgesetze welcher Art auch immer derart steuern lasse, dass es zu mehr Gleichheit in der Gesellschaft kommen könne.

      Der ausgebaute Wohlfahrtsstaat kann als sozialdemokratische Variante einer Gesellschaft gelten, die die Kritik des Marxismus aufgenommen hat, die jedoch letztlich die kapitalistische Ökonomie nicht

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