Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer

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Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer

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verpflichtet sind, wollen sie oft später nicht mehr wahrhaben, dass sie ihre eigene Organisation nicht richtig eingeschätzt haben und dann die Verantwortung für die Täuschung dem Neuankömmling delegieren. Ein Beispiel: Ein Psychologe wird von der Pflegedienstleiterin einer Klinik konsultiert, um im Haus das Betriebsklima und die Zusammenarbeit mit den Ärzten zu verbessern. Tatsächlich ist Abhilfe angezeigt, denn in dieser Einrichtung steht einer von vier Operationssälen leer, weil es an qualifizierten Pflegenden fehlt. Für die Pflegedienstleiterin steht ein Zusammenhang zum schlechten Arbeitsklima in der Einrichtung fest, und sie will etwas dagegen tun.

      Der Berater nimmt den Auftrag an und entwickelt nach einigen Gesprächen mit der Pflegedienstleitung in den nächsten Wochen ein Konzept, das vorsieht, Pflegende und Ärzte auf gemeinsamen Fortbildungsveranstaltungen anzuleiten, den bisher höchst unbefriedigenden Stil der Kommunikation zu verbessern. Die Pflegedienstleitung nimmt das Konzept entgegen. Jetzt müsse noch auf einer gemeinsamen Sitzung mit dem zuständigen Mann im Ministerium geklärt werden, ob die Maßnahme anlaufen könne.

      Diese Sitzung erweist sich als große Enttäuschung. Der Berater wird von dem Ministerialbeamten unterrichtet, dass der ärztliche Direktor der Klinik keine gemeinsamen Veranstaltungen mit dem Pflegepersonal wünscht. Auf seine verblüffte Frage an die Pflegedirektorin, weshalb sie ihn von dieser Situation nicht schon früher unterrichtet habe, entgegnet diese, sie habe gehofft, der Berater könne ein Konzept zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Krankenschwestern und Ärzten entwerfen, von dem die Ärzte und vor allem der Direktor nichts erfahren müssten. Sie sei sehr enttäuscht gewesen, dass in seinem Entwurf gemeinsame Veranstaltungen gefordert würden, und habe bereits gefürchtet, dass sich diese nicht durchführen ließen.

      Der Berater stellte der Pflegedienstleiterin seine vielstündige Arbeit für das Fortbildungskonzept in Rechnung. Sie erklärte ihm daraufhin telefonisch, sie könne leider den Betrag nicht überweisen, denn es sei keine Maßnahme durchgeführt worden. Für einen Voranschlag könnte in der Klinik ein Berater ebenso wenig bezahlt werden wie ein Fabrikant von Operationstischen.

      Die Balinttätigkeit mit Teamberatern und Supervisoren hat ebenso wie die eigene Arbeit in verschiedenen Institutionen immer wieder gezeigt, wie häufig die Delegation des (un)heimlichen Problems der Institution an den „Fremden“ ist, der sozusagen zu Besuch kommt. Es liegt nahe, dass er in einer christlich geprägten Gesellschaft als Erlöser begrüßt und später als Aufrührer oder Gotteslästerer gekreuzigt wird.

       Das Spiegelphänomen

      In der Arbeit mit institutionsanalytischen Gruppen für Berater sind Spiegelphänomene häufig und oft sehr fesselnd zu untersuchen. Solche Gruppen sind eine Weiterentwicklung der von Michael Balint für Ärzte eingeführten professionellen Reflexion unter der Leitung eines Psychoanalytikers. Von einem Spiegelphänomen sprechen wir, wenn sich in emotionalen Reaktionen und diese begleitenden Fantasien des Beraters während seiner Arbeit mit der Gruppe etwas wiederholt, was in der Situation aufgetreten ist, die die Gruppe untersucht. Dabei kann die Gruppe sowohl die Rolle des Beraters spiegeln, wie die Rolle des Teams, der Institution oder der Einzelperson, die beraten wurde.

      Auf dem Weg in die Institution wird der Berater auf den verschiedenen Ebenen und Szenen seiner Kontakte in einer Weise traumatisiert und deformiert, welche die Geschichte der Institution wiederholt. Dieser Vorgang lässt sich mit der Kontaktaufnahme eines frei schwimmenden Urtierchens mit einer festsitzenden Kolonie vergleichen. Freud verglich den menschlichen Narzissmus (das Selbstgefühl) mit einer Amöbe, welche durch ihre Vorstülpungen (Pseudopodien) Objekte mit Libido „besetzen“ kann und im Zurückziehen dieser Pseudopodien die narzisstische Energie wieder dem Ich zuführt.

      Im Versuch, Kontakt mit der Organisation von seinesgleichen herzustellen, wird die Oberfläche des Urtierchens in einer gewissen Weise verformt. Manche Tentakel werden beschädigt oder zurückgezogen, andere entwickeln sich besonders gut.

      Mit dieser Veränderung seiner narzisstischen Struktur (seines unbewussten Selbst) kommt der Berater in die institutionsanalytische Gruppe. Diese reagiert auf seine Verformungen.

      Dabei verfügt sie über zwei grundlegende Modi: die Identifizierung mit der narzisstischen Veränderung, die der Berater durch den Kontakt mit den Klienten erhalten hat, oder aber die Identifizierung mit der Institution, die diesen Berater berührt hat. Die erste Identifizierung ist die mit dem Positiv (also der geprägten Form), die zweite die mit dem Negativ (der prägenden Form). Oft treten beide typischen Identifizierungen gleichzeitig in einer Gruppe auf und werden dort diskutiert; es kann auch sein, dass die Gruppe ihrerseits sich organisiert hat und die einzelnen Mitglieder in einer spezifischen Weise von der Kontaktaufnahme mit ihr während ihrer Fallvorstellung beeinflusst werden.

      Die Auseinandersetzung dieser „Parteien“ spiegelt die Auseinandersetzung, die in der Beratungssituation – oft unbemerkt – abgelaufen ist. Dieses Modell schließt sich an Theoriebildungen der sogenannten Chaos-Forschung an, in der viele Belege dafür gesammelt wurden, dass sich große, bisher unmöglich voraussagbare Abläufe wie z. B. das Wetter am besten dadurch erklären lassen, dass sich kleinste Ursachen in der Interaktion mit anderen Ursachen durch Rückkopplungsprozesse derart potenzieren, dass – um es in einem Bild zu sagen – der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auszulösen vermag.

      In der Chaos-Theorie gibt es viele Informationen, die sich auf Spiegelerscheinungen beziehen. Beim Übergang eines Systems (etwa fließenden Wassers) in den Zustand der Unregelmäßigkeit hat schon Leonardo da Vinci in seinen zahllosen Zeichnungen von Wasser- und Luftwirbeln herausgefunden, dass Wasser zunächst geordnet ein Hindernis umfließt, aber bei schnellerer Strömungsgeschwindigkeit und höherem Druck „chaotisch“ wird. Sein Zusammenhang reißt ab, Wirbel, die in immer kleinere Wirbel zerfallen, machen jede Voraussage der Gesamtbewegung unmöglich. Für das Spiegelphänomen fesselnd ist dabei die Beobachtung, dass sich in diesem Zustand der Turbulenz kleinste Unregelmäßigkeiten der Fließgeschwindigkeit in den größten Veränderungen wiederholen. Das System ist auf allen Ebenen instabil; kleine Instabilitäten wiederholen die großen, große die kleinen.

      Im 19. Jahrhundert entdeckte der britische Physiker Osborn Reynolds, dass es eine mathematisch definierbare Grenze gibt, an der ein System in Turbulenz übergeht, d. h. unvorhersagbar wird. Die Reynoldszahl lässt sich aus einigen Kenngrößen (Rohrdurchmesser, Zähigkeit einer Flüssigkeit und Fließgeschwindigkeit) errechnen; sie sagt das Einsetzen der Turbulenz zuverlässig für ganz unterschiedliche Rohrdurchmesser und Flüssigkeiten voraus.

      Auch hier entsprechen sich die Veränderungen im Großen und die im Kleinen. Wissenschaftler können die Turbulenzen in einer Biegung des Amazonas an einem Modell aufzeigen, das auf einer Tischplatte Platz hat. Eine Weiterentwicklung dieser frühen Modelle, die zur eigentlichen Chaostheorie führte, sind die Beobachtungen über Fraktale, die von Benoit Mandelbrot entdeckt und aus der Welt der Mathematik in viele Bereich der Biologie importiert wurden.

      Die relativ einfache Gleichung, die zu den bizarren, teilweise sehr schönen „Mandelbrotfiguren“ führt, ist von Astronomen, Wirtschaftswissenschaftlern, Biologen, Geologen und vielen anderen Spezialisten in ihren Arbeitsgebieten eingesetzt worden, um Entwicklungen zu beschreiben. So kann man fraktale Bäume zeichnen, die wirklichen idealtypisch gleichen und deren Gestalt sich im menschlichen Bronchial- und Adernsystem wiederholt; die Faltung des Gehirns von Säugetieren spiegelt dieselben Strukturprinzipien wie eine Küstenlinie oder ein Reifkristall.

      Der menschliche Körper ist ein selbstähnliches System, genauer: eine Fülle solcher Systeme, die miteinander (wie Bronchienbaum und Gefäßnetz) verknüpft sind. Dieses „Netz“ setzt sich als soziales Netzwerk nach außen fort; in der Psychologie bestimmt es nach den Arbeiten von Montague Ullman auch unsere Träume, in denen ebenfalls bestimmte Grundprobleme in großen dramatischen Abläufen ebenso wie

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