Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer

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Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer

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in denen schnell die Doppelgesichtigkeit der Macht deutlich wurde: Um Gerechtigkeit zu sichern und den Besitz der eigenen Gruppe nach außen zu verteidigen, mussten große, straff organisierte Gruppen von Kämpfern gebildet werden, die – anders als die Krieger der Jägerkulturen – unabhängig von Lust und Laune in die Schlacht zogen.2

      Solche Kriegerheere entwickeln eine Eigendynamik, sie wollen nicht nur verteidigen, sondern sie müssen auch erobern, um Land für die Versorgung der verdienten Kämpfer zu gewinnen. Das Sprichwort vom Angriff, der die beste Verteidigung sei, ist ein Erbe dieser Epoche, die auch Feudalzeit genannt wird, weil in ihr der Feudalherr, der Besitzer eines im Kampf erworbenen Rittergutes die bestimmende Gestalt war.

      Die Institution der Hierarchie ist bis heute ein zentrales Element im Aufbau der Gesellschaft. Sie kann ihre militärischen Ursprünge nicht verleugnen. Da die Wehrhaftigkeit überlebenswichtig war, um nicht der Gier eines Nachbarn zu erliegen, wurden (und werden bis heute) in militärischen Hierarchien, die für die soziale Ordnung seit dem Neolithikum beispielgebend sind, auch krasse, oft rücksichtslose und brutale Mittel eingesetzt, um den Soldaten bei der Stange zu halten – einer Stange, die eine geschliffene Spitze trug und die wichtigste Waffe der frühen Kriegerkulturen war: die Lanze.

      Die ersten Hierarchien spiegeln die Notwendigkeit, sich im Kampf zu organisieren. Die Möglichkeit, Überschüsse an Nahrung zu erzeugen und damit größere Menschengruppen längere Zeit beieinander zu halten, erzwang auch geordnete, große Gruppen, um diese Vorräte zu verteidigen. Jäger und Sammler können solche Kriege nicht führen; es gibt bei ihnen wenig zu erbeuten und macht dort wenig Sinn, Sklaven zu halten.

      Die kulturelle Evolution spiegelt die biologische: Erfolgreiches setzt sich durch und verdrängt jene, die der Konkurrenz nicht standhalten können. Keine unorganisierte Gruppe von Jägern und Sammlern kann auf Dauer einer disziplinierten und hierarchisch aufgebauten Truppe widerstehen, die den Kampf wie ein Handwerk gelernt hat und einheitlich mit durchdachten und erprobten Menschentötungswerkzeugen ausgerüstet ist. Möglich ist allenfalls ein Guerillakrieg, der aber nur dann geführt werden kann, wenn der militärisch überlegene Feind bereit ist, die Frauen und Kinder der Guerillakämpfer zu schonen. Das haben die frühen Krieger der Feudalzeit meist nicht getan.

      Die Hierarchie enthält immer eine Befehlskette und Rollenvorschriften, wie mit dem jeweils Vorgesetzten umzugehen ist. Seit dem Beginn der geschriebenen Geschichte gab es die Führer einer überschaubaren Gruppe (Unteroffiziere), einer größeren Kampfeinheit (Centurio, Lagerkommandant, Leutnant), einer großen Kampfeinheit (Tribun, Oberst) und den Oberbefehlshaber (General). Jeder höhere Rang hatte Befehlsgewalt über jeden niedrigeren, musste diese aber so ausüben, dass er die Autorität der Unteranführer schützte, die schließlich ihre Leute persönlich kannten und am besten mit ihnen umgehen konnten.

      Sobald eine Organisation so groß ist, dass nicht mehr jeder jeden persönlich kennt, wird es in einer Hierarchie notwendig, den Rang des Einzelnen zu symbolisieren. Wappen, Helmbüsche, Schilder und Rangabzeichen entstanden in Zeiten, in denen die Mehrzahl der Menschen noch nicht lesen konnte.

      Wie zählebig Traditionen gerade in hierarchischen Systemen sind, lässt sich auch im Fortbestehen solcher analphabetischer Geltungszeichen erkennen. Immer noch ist ein Dreisternegeneral in der amerikanischen Armee ranghöher als ein General mit zwei Sternen, tragen Kardinäle in der katholischen Kirche andere Farben als einfache Bischöfe oder der Papst. Oft wurde genau geregelt, in welcher Form der jeweils Ranghöhere gegrüßt und anderweitig mit Ehrerbietung versorgt werden muss. (So ist es bis heute ein militärisches Ritual, dass der Rangniedere in Anwesenheit des Ranghöheren Haltung annimmt und strammsteht, bis er aufgefordert wird, bequem zu stehen).

      Auch heute werden in den meisten Büros die Angestellten anders sitzen und sprechen, wenn ein Vorgesetzter anwesend ist, und die Größe des Büros, die Marke der Armbanduhr, des Anzugs und des Dienstwagens, signalisiert, wer Vorrang beansprucht.

       Psychologische Aspekte der Hierarchie

      Seit es Hierarchien gibt, wird auch diskutiert, ob sie durch Furcht oder durch Liebe funktionieren sollen. Die so viel schönere Vorstellung vom Gehorsam aus Liebe wurde schon früh durch das angeblich realistischere Prinzip der Macht durch Angst infrage gestellt. „Mögen sie mich hassen, solange sie mich fürchten“ soll der römische Kaiser Caligula gesagt haben.

      Macchiavelli, einer der ersten Autoren, die versucht haben, den Fragen der Macht systematisch und rational nachzugehen, widmet in seinen Untersuchungen zur Dynamik der guten Regierung (Der Fürst) dieser Frage ebenfalls viel Aufmerksamkeit. Er kommt zu dem bis heute in der Praxis der meisten hierarchischen Systeme gültigen Antwort, dass es weder um Liebe noch um Furcht gehe, sondern um Respekt. Um geachtet zu werden, müsse der Fürst notfalls auch auf die Liebe seiner Untertanen verzichten. Werde er in seiner Funktion jedoch auch geliebt, sei das umso angenehmer. Es dürfe ihn jedoch keinesfalls dazu verführen, sich durch Verzicht auf seine Vorrechte beliebt machen zu wollen.

      Jedes Glied in einer hierarchischen Kette kann in zwei Richtungen versagen: durch Anbiederung und durch Machtmissbrauch. Häufig treten beide Entgleisungen, die doch eigentlich unterschiedlich gerichtet erscheinen, tatsächlich bei denselben Personen auf. Ein Chef, der mit seiner Truppe Brüderschaft trinkt und sexuelle Verhältnisse pflegt, ist oft auch der, der seine Macht missbraucht, um Fehler zu vertuschen oder Privilegien einzuheimsen, die der Organisation schaden, die ihn eingesetzt hat.

      In beiden Fällen ist aber nicht allein der Funktionsträger verantwortlich. Auch seine Vorgesetzten und seine Untergebenen haben versagt, haben sich zu Komplizen machen lassen, ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt. Wenn sich ein hierarchisches System als korrupt erweist, ist es sinnlos, die Akteure auf den niedrigen Rangstufen allein anzuklagen. Das Sprichwort „Der Fisch stinkt vom Kopf her“ bringt das auf eine anschauliche Formel.

       Die übersprungene Stufe

      In allen Hierarchien entwickeln sich informelle Strukturen, die die gültige Rangordnung konterkarieren. Ein typisches Phänomen sind die geheimen Bündnisse zwischen Befehlsebenen, die keinen unmittelbaren Kontakt haben. In einer Heeresdivision, die von einem General geleitet wird, gibt es mehrere Regimenter, die von Obersten kommandiert werden; diese haben ihre Hauptmänner unter sich, welche eine Kompanie befehligen und Unteroffiziere führen, die über den einfachen Soldaten stehen. An sich sollte keine Hierarchieebene eine Stufe überspringen, d. h. der General kommuniziert nicht mit den Hauptleuten, sondern mit deren Obersten. Wenn ein Hauptmann eine Beschwerde hat, muss er zu seinem Oberst gehen. Vielfach sind solche „Dienstwege“ genau geregelt, sodass es untersagt ist, eine Stufe zu überspringen, sich z. B. als Unteroffizier ohne Wissen des Hauptmanns gleich beim Oberst zu beschweren.

      Gegen diese Vorschriften wirkt aber eine informelle Dynamik, die darauf beruht, dass die „nahen“ Stufen immer in einem stärkeren Spannungsverhältnis stehen als die „entfernten“, weil sie weit mehr Grund haben, zu rivalisieren. Der Oberst wird von seinen fähigen Hauptleuten am ehesten kritisiert; der alternde General muss fürchten, dass einer seiner ehrgeizigen Obersten scharf auf seinen Rang ist. In dieser Situation ist es ihm nicht unangenehm, von einem der Hauptmänner seines Rivalen zu erfahren, dass dieser Oberst bei der Truppe nicht beliebt ist.

      Jede Hierarchiestufe wird von den ihr nächsten Stufen am meisten bedrückt und fühlt sich im Kontakt mit der übersprungenen Stufe entspannter. Mit dieser Stufe sind freilich nur informelle Bündnisse möglich; die Kontakte müssen oft verschleiert werden.

       Vorteile und Schattenseiten der Hierarchie

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