Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer

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Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer

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Bewegungsfähigkeit ja auch nicht so, dass wir nicht mehr auf allen Vieren krabbeln können, wenn wir gehen gelernt haben. Die Ökonomie organischer Entwicklung sieht immer so aus, wie es der Denkmalspfleger gegen den Architekten durchzusetzen sucht: Es wird möglichst viel des bereits Vorhandenen erhalten; nur ganz selten wird ein System zerstört und aufgelöst, um ein anderes an seine Stelle zu setzen, viel öfter wird das vorhandene System erweitert, ergänzt, durch neue Funktionen bereichert, in welche die bisherigen harmonisch integriert werden.

      So sind in Familien und Gruppen in der Regel Zweier- und Dreierbeziehungen parallel möglich. Vater und Mutter haben ihre Ehe; das Kind hat eine Vaterbeziehung und eine Mutterbeziehung. Oft gibt es regelrechte Arbeitsteilungen – der Vater ist die Autorität in Schulfragen, die Mutter ist zuständig, wenn es Probleme mit den Freundinnen oder Freunden gibt.

      Alle Dreiecksbeziehungen sind gefährdet, sich in rivalisierende Zweierbeziehungen auflösen. So soll während Scheidungsauseinandersetzungen das Kind plötzlich entscheiden, ob ihm die Mutterbeziehung „wichtiger“ ist als die Vaterbeziehung.

      Das Hinzukommen eines Dritten in eine Zweierbeziehung ist so etwas wie eine Reifeprüfung. Das gilt vor allem für die Geburt eines Kindes, die gerade die modernen, hoch individualisierten Paare auf eine harte Probe stellt.

      Sie belastet fast immer die Fähigkeiten eines Paares, den gewohnten Austausch an Zärtlichkeit, Lust und Bestätigung aufrechtzuerhalten. Das Kind schreit Bedürfnisse unabweisbar hinaus, auf deren Befriedigung ein Erwachsener stumm zu warten pflegt und die er nicht einmal sich selbst eingesteht. Es liegt wie ein Magnet im Zimmer, der an sich reißt, was bisher zwischen den Erwachsenen hin und her floss.

      In jeder Liebesbeziehung begegnet der Mensch paradoxen Situationen, die der Mathematik des Rechts spotten. Die eigene Eifersucht ist quälend und schreit nach Rücksicht; die Eifersucht des anderen ist lästig und sollte verschwinden. Ich will gerne meinen Partner immer haben, wenn ich ihn brauche – aber weshalb belästigt er mich schon wieder mit seinen Ansprüchen? Ich bin schüchtern und ängstlich, ich würde so gerne erobert und verführt werden – wieso kapiert meine Partnerin nicht, was sie da tun müsste, andere Frauen erraten doch auch die Wünsche der Männer! Ich hätte gern einen Mann, der weiß was er will, und nicht einen Flunsch zieht, wenn ich nicht wieder die Initiative ergreife …

      Die Ursachen solcher Widersprüche liegen in dem instabilen Gemisch, aus dem die Liebe der Erwachsenen gemacht ist. Ihre Elemente sind unter anderem die Bindung des Kindes an die Eltern, die Lustquellen der Erotik und eine soziale Norm, die versucht, eine Kultur funktionsfähig zu erhalten und widersprüchliche Interessen auszugleichen. Aus diesen Elementen schafft die Liebe eine Synthese, wie ein Maler aus Pigmenten, Öl und Leinwand ein Bild, ein Kunstwerk eigener, unwiederholbarer Art erschafft.

      Die kindlichen Ansprüche an den idealisierten, den absolut vertrauenswürdigen Partner, der es verdient, dass zu ihm aufgeschaut wird (der Mann, derʼs wert ist, die Frau mit Klasse …) sind dabei viel schwerer zu erkennen und zu berücksichtigen als die sexuellen Wünsche. Sie haben auch eine schlechtere Presse, sie werden nicht als das gehandelt, was sie sind – Emotionen, Affekte, Leidenschaften, Irrationales, sondern als Normen, als Verhalten, das sich entweder gehört oder ungehörig ist. Aber die winzigen Kleinigkeiten, aus denen wütende Beziehungskämpfe erwachsen, verraten die hochgespannte Idealisierung einer Beziehung, die wie ein Luftballon bereits durch den winzigsten Defekt ihre Form verlieren kann.

      Ein hilfreicher Begriff ist hier die „Grundstörung“, ein von Michael Balint geprägter Ausdruck. Wenn Menschen während ihrer eigenen, frühen Kindheit nicht ausreichend „gespiegelt“, d. h. einfühlend wahrgenommen wurden, bleiben sie in einer für ihre Umwelt rätselhaften Weise unberechenbar. Sie können „normal“ wirken, solange sie in einer Beziehung leben, die ihr brüchiges Selbstgefühl festigt. Diese Stabilität ist aber sehr brüchig, sie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn sich das stabilisierende Selbstobjekt verändert oder ein Dritter – unter Umständen sogar das bewusst ersehnte eigene Kind – die Bühne betritt.

       Die Zweierbeziehung als Brückenschlag

      Noch in einem anderen Punkt unterscheidet sich die Zweierbeziehung von allen anderen: Sie ist die wichtigste Brücke zwischen Kulturen. Die Mutter nährt das Kind nicht nur mit Milch, sondern mit ebenso lebenswichtigen kulturellen Symbolen: sie vermittelt ihm die „richtigen“ Gesten, Worte, Redeformen, Haltungen zumindest so weit, dass sich das Kind notdürftig orientieren und sich weitere kulturelle Formen aneignen kann.

      Diese Brückenfunktion erbt die sexuelle Beziehung: Wenn Texte wie Die weiße Massai zu Bestsellern werden, zeigt das die ungebrochene Faszination der Vertiefung in das Fremde, der Aneignung des Fremden, die nur in einer Zweierbeziehung möglich ist. Die Zweierbeziehung vermischt zwei Personen; daher auch das Misstrauen aller Kolonisatoren und Missionare gegen das going native, gegen die sexuellen Kontakte zwischen verschiedenen Kulturen, Religionen, Schichten, in denen sich die klaren Orientierungen beider auflösen.

      Die Mischung wird im Faschismus und Nationalsozialismus dämonisiert. Wider alles genetische Wissen heißt es, dass sich im „Halbblut“ die schlechten Eigenschaften beider Rassen zusammentun, obwohl ganze Kontinente vorwiegend von solchen Mischungen besiedelt sind und die Dynamik der modernen Gesellschaft von einer ebenso von Intoleranz wie vom Ringen um Toleranz geprägten Mischkultur – jener der USA – vorangetrieben wird.

      Es ist gut möglich, dass diese Bedeutung der Zweierbeziehung eine neurologische Entsprechung hat. Das menschliche Gehirn funktioniert durch das Zusammenspiel zweier Hirnhälften, die unterschiedliche Aufgaben haben: In der einen werden schnell und vorläufig Bilder erzeugt und ganzheitliche Handlungsmöglichkeiten entworfen; in der anderen werden dann diese Entwürfe kritisch geprüft und mit analytischen Wahrnehmungen verknüpft. Ähnlich kommt es in Zweierbeziehungen zu Entwicklungen, in denen eine Seite die andere prägt, verändert und sich zu ihr in eine dialektische Spannung setzt. Heinrich von Kleist hat beschrieben, wie er durch seine eigene Verschwendung und Gleichgültigkeit gegenüber Geld die eigene Schwester, eine an sich großzügige Frau, durch einige Monate gemeinsamen Wirtschaftens in einen Geizhals verwandelte.

      Das Sozialverhalten der urtümlichsten Kulturen gleicht dem der gruppenlebenden Primaten in vielen Einzelheiten – kleine Gruppen mit intensivem sozialen Austausch. Es unterscheidet sich von den Menschenaffen in drei Details: Werkzeugherstellung, Sprache und die Paarbindung.

      Das Sexualleben der Menschenaffen ist vorwiegend promiskuös; bei Gorillas und Schimpansen paaren sich die Weibchen im Östrus mit allen ranghohen und mit einigen rangniedrigen Männchen. Bindungen von vergleichbarer Intensität sind bei den Primaten nur die zwischen der Mutter und ihren Kindern. Es gibt keine Väter in unserem Sinn; die dominanten Männer spielen diese Rolle für alle weiblichen Tiere und alle Kinder. Man könnte nun annehmen, dass die Ehe entstanden ist, als der Mensch Viehhaltung und Ackerbau entdeckte und es daher notwendig wurde, rechtmäßige Erben für diese Besitztümer zu finden. Aber diese Hypothese ist falsch; es gibt auch in den Jäger- und Sammlerkulturen die Institution der Zweierbeziehung, des festen Partners einer Frau und der Elternschaft von Mann und Frau.

      Im Anschluss an Vernon Reynolds vermute ich, dass die Paarbindung bereits in der frühen Altsteinzeit entstand, als Protohominiden die offene Savanne besiedelten und unsere Vorfahren von Pflanzenessern zu Jägern wurden. Die Jagd wurde eine Tätigkeit der Männer, während die Frauen mit den Kindern an einem Lagerplatz blieben, in dessen Umgebung sie Pflanzen suchten. Diese verglichen mit den Primatengruppen sehr viel höhere Mobilität hätte die Gefahr mit sich gebracht, dass die Männer überhaupt nicht mehr zurückgekehrt wären. Solange die sexuelle Erregung ausschließlich über den Geruch gesteuert wurde, galt „aus der Nase, aus dem Sinn!“ Die gesteigerte, nicht an den Östrus gebundene, sondern in erster Linie durch optische Reize („Liebe

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