Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer
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1Nach diesem Prinzip wird jeder Mitarbeiter in einer Hierarchie so lange befördert, bis er die Stelle seiner maximalen Inkompetenz erreicht hat; dann steigt er nicht weiter auf.
Teil I
Biologische und psychologische Grundlagen
Wolfgang Schmidbauer
Zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit
Zu den Widersprüchen des menschlichen Erlebens gehört, dass wir uns zwar als Einzelne erleben, aber gleichzeitig ohne ein Gegenüber nicht lebensfähig sind. Wie radikal das gilt, zeigt das grausame Experiment des Staufer-Kaisers Friedrich II, der herausfinden wollte, ob die menschliche „Ursprache“ die Sprache der Bibel, die der Römer, die der Araber oder aber eine ganz unbekannt Sprache sei. Aus diesem Grund ließ er Waisenkinder von Ammen aufziehen, denen strikt verboten wurde, die kleinen Wesen anzusprechen, sich mit ihnen durch irgendein Wort, ja selbst eine Geste zu verständigen. Der Chronist berichtet, dass die Ursprache niemals entdeckt wurden, weil alle diese Säuglinge starben.
In unseren „modernen“ wissenschaftlichen Formulierungen würden wir das so ausdrücken: Das menschliche Gehirn benötigt zu seiner Entwicklung spezifische Außenreize, wie sie von Artgenossen erzeugt werden können. Nur wenn das wachsende Gehirn ausreichend mit solchen Reizen versorgt wird, kann es sich gesund entwickeln.
Wer kleine Kinder beobachtet, erkennt deutlich, wie sehr sie die periodische Annäherung an einen einfühlenden, auf sie bezogenen Erwachsenen (das „Objekt“) benötigen. Das kindliche System entwickelt sich optimal, wenn es sich in Krisensituationen an ein erwachsenes System annähern und mit ihm kommunizieren kann. Unter diesen Bedingungen werden die inneren Reize in dem kindlichen System nicht so bedrohlich, dass sozusagen Notmechanismen entwickelt werden müssen, um sie unter Kontrolle zu bringen.
Weder Nesthocker noch Nestflüchter
Biologisch ist der Mensch weder Nesthocker noch Nestflüchter, sondern ein Kontaktwesen; die Fähigkeit zur Kontaktaufnahme ist beim Säugling am weitesten entwickelt, und sein Angewiesensein auf Versorgung parallel zur relativ hohen Ausreifung des kindlichen Organismus (wenn wir ihn mit typischen „Nesthockern“ vergleichen) scheint das eindrucksvollste Merkmal der Primaten.
Für den kindlichen Organismus geht es anfänglich sehr schnell um Leben oder Tod. Das Ich ist noch wenig entwickelt; es kann sehr viele Reize nicht einordnen. Der herzzerreißenden Not, die wir aus dem Schreien des Säuglings herauszuhören meinen, entspricht mit hoher Wahrscheinlichkeit eine entsprechende innere Bedrohung. Das kleine Kind kann die eigenen Affekte, die eigenen Reaktionen von Wut, Angst, Trauer, Schmerz nicht einordnen und nicht bewältigen, wenn es nicht von jemandem begleitet und getröstet wird.
Vielleicht haben die Menschen unter weniger differenzierten gesellschaftlichen Umständen die Verinnerlichung eines solchen Systems nicht so sehr gebraucht. Wer als Jäger und Sammlerin in der Steppe lebt und jeden Tag nach Essen, Wasser und Schutz vor Raubtieren suchen muss, ist längst nicht so darauf angewiesen, emotionale Reize zu verarbeiten und zwischen unterschiedlichen Erlebnis- und Reaktionsformen zu wählen. Er muss und darf immer sofort mit einer körperlichen Aktion reagieren, durch die seine affektiven Spannungen abgebaut werden. Wo es auch im Alltag schnell um Leben oder Tod geht, ist nicht mehr psychisch auffällig, wer einen Streit mit dem Ehepartner, eine Kränkung beim Warten in einer Schlange oder einen abweisenden Gesichtsausdruck der Kollegin als eine Frage um Leben oder Tod auffasst und inszeniert.
Das „ältere Menschtum“ in der Hysterie
Freud sagte über die Hysterie, dass sich hier „älteres Menschtum“ darstelle. Ergänzend lässt sich über Menschen mit narzisstischen Störungen sagen, dass sie in ihrem Leben sehr oft daran scheitern, dass ihre psychische Organisation einer modernen Gesellschaft mit ihren Brechungen des unmittelbaren emotionalen Auslebens durch Vernunft, Disziplin, Höflichkeit, Ironie und Humor nicht standhalten kann. Manchmal helfen ihnen Drogen zu einer funktionierenden Fassade. Doch ist dieser Gewinn an Stabilität teuer erkauft.
Normalerweise schreitet das seelische System von einfacheren zu komplexeren Formen fort. Wenn die komplexeren Formen nicht zustandekommen, kann die Psyche ihre Tätigkeit nicht einfach einstellen. In diesem Fall würden Betroffene in ein Koma fallen und sterben. Eine Lösung des Problems unserer hohen seelischen Organisationsmöglichkeiten und entsprechend zahlreichen Störungsrisiken ist die Regression. Das seelische System funktioniert wieder primitiver, als es seinem Alter angemessen ist. Der Betroffene regrediert ganz oder teilweise, d. h. es gibt sein optimales Funktionieren auf, weil die damit verbundenen gesteigerten Anforderungen an die Reizverarbeitung nicht geleistet werden können.
Eine Form der Regression ist z. B. die Klage über schlechte Versorgung durch Vorgesetzte, Ehepartner oder Freunde. Das seelische System stellt seine Tätigkeit partiell ein, versinkt in einem komatösen Zustand und bejammert die damit verknüpften Ausfälle an Entwicklung und Befriedigung. „Immer muss ich meine Freunde anrufen, meine eigene Frau redet ja nicht mit mir!“ „Wenn mich mein Mann lieben würde, hätte er doch nicht verlangt, dass ich meinen Beruf aufgebe.“
Die seelische Stabilität des Erwachsenen hängt damit zusammen, dass er seine Antriebe, die Umwelt neugierig zu erforschen und sie seinen Bedürfnissen entsprechend zu verändern, dank eines ausreichenden Reizschutzes durch ein hinreichend einfühlendes Objekt entwickeln konnte. Sie erfordert aber weiterhin, dass er eine Fantasie von Austausch verinnerlicht hat, durch den der Reizschutz eine stabile soziale Qualität gewinnt: Der Erwachsene ist von einem Netz von Freunden, Bekannten, Kollegen umgeben, die es ihm ermöglichen, in Krisen seines Selbstgefühls Hilfe zu finden, indem er anderen in deren Krisen Hilfe gibt.
Die Lösung der als Ödipuskomplex beschriebenen Situation findet nicht durch Identifizierung mit einem Elternteil statt, sondern durch Verinnerlichung einer Situation in einer Gruppe aus mindestens zwei Personen (den Eltern der Kleinfamilie), die sich konstruktiv austauschen. In der gelingenden Entwicklung fördert der Reizschutz durch den Austausch die Produktion von Triebwünschen und Neugieraktivität; diese wiederum fördern