Im Bauch des Wals. Annemarie Bauer

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Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer

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wissen, dass wir darauf nicht verzichten können, aber es schränkt unsere Bewegungsmöglichkeiten ein und kann zu erheblichen Schmerzen und Behinderungen führen. Hierarchien sind schwerfällig, sie entwickeln sich nur sehr langsam und vergeuden auf ihren „Dienstwegen“ viel Energie.

      Ein sehr wesentlicher Schritt in der Entwicklung einer Hierarchie ist der zum Gesetz, zur Verfassung, zu einem für alle – auch für den Mann oder die Frau an der Spitze – verbindlichen Regelwerk. Historisch wird er durch den Schritt von der absoluten Monarchie zur konstitutionellen Herrschaft und später zum demokratisch legitimierten Staat markiert.

      Damit verwandelt sich die absolute Autorität in eine gesetzlich legitimierte, wird jeder Vorgesetzte im Prinzip überprüfbar, hat jeder Mitarbeiter jederzeit die Möglichkeit, das Gesetz gegen tyrannische Willkür oder einen Amtsmissbrauch anzurufen. Durch die Möglichkeiten, Entscheidungen im Konfliktfall einer nächsthöheren Instanz vorzulegen, wird die Hierarchie zu einem wichtigen Organ des Rechtsstaates.

      In den europäisch beeinflussten Zivilisationen, die in einer globalisierten Welt die meisten Staaten beeinflussen, lässt sich der militärische Ursprung hierarchischer Strukturen noch an vielen Orten erkennen. Seine wichtigste Quelle ist wohl das römische Heer. Entsprechende (oft verleugnete) militärische Qualitäten findet man bei genauer Betrachtung auch in vielen Organisationen, die sich selbst andere Formen zuschreiben, beispielsweise die staatlichen Verwaltungen, die Krankenhäuser, die Kirchen, die Versicherungen und Banken.

      Der Ursprung des Wortes Hierarchie verrät viel über die zwangsläufig mit dieser Institution verknüpften Probleme. Hieros heißt im Griechischen heilig, archein herrschen: Die Hierarchie ist eine sakrale, nicht hinterfragbare Machtleiter. Daher passt sie nicht unverändert in eine moderne Gesellschaft, in der nicht mehr das Dogma, sondern der rationale Diskurs und das Forschungsergebnis die Entwicklung bestimmen.

      Zur klassischen Hierarchie gehört die Identität von Dienst- und Fachaufsicht. Der Soldat beginnt als Rekrut; bewährt er sich, trägt er – wie es im absolutistischen Frankreich hieß – den Marschallstab im Tornister, kann er bis in das höchste Kommando aufsteigen. Also versteht er auch, einmal Marschall geworden, das Kriegshandwerk durch und durch, er weiß, was er befiehlt, er bewegt sich nur in einer Welt von Soldaten.

      Aber in einer wissenschaftlich und technisch bestimmten Welt ist das nicht mehr möglich. In ihr gibt es Experten, und sie wären keine Experten, wenn sie nicht mehr wüssten als die Nicht-Experten. Wenn nun ein Nichtfachmann Dienstvorgesetzter eines Fachmanns ist, kann er nicht mehr unbeschränkt kommandieren. Er muss sich, wo das Fachwissen seine Einsicht übersteigt, dem Experten fügen, nicht umgekehrt, sonst wird die Organisation Schaden leiden.

      Viel von der Unübersichtlichkeit, die oft und zurecht in der modernen Welt beklagt wird, rührt aus diesem Problem. Das weiß jeder, der einerseits – weil er zahlt – die Macht über einen Experten hat, andrerseits aber – weil er weniger weiß als dieser – dem Experten ausgeliefert ist. Hier wird auch verständlich, dass Teamwork, vernetztes Denken, offene Kommunikation keine Schlagworte sind, sondern notwendige Veränderungen, die mit dem Auseinandergehen von Macht und Wissen zu tun haben. Wo offen kommuniziert wird und verschiedene Fachleute ihr Wissen optimal einbringen können, werden die besten Entscheidungen getroffen, werden Fehler vermieden, wird Energie optimal genützt. Solange ein Vorgesetzter alle Macht und Geltung beansprucht, kann das nicht geschehen.

      In unseren heutigen, rechtsstaatlich funktionierenden Einrichtungen gibt es keine absolute Macht mehr. Führungskräfte sind den Zielen der Organisation verpflichtet und den Gesetzen unterworfen. An sich sollte der einfache Mitarbeiter, der einen wichtigen Verbesserungsvorschlag entdeckt, ebensoviel Einfluss haben wie das Direktorium, weil die meiste Macht dem gehört, der die Ziele der Organisation am besten vertritt.

       Autoritäre Strukturen veralten

      In Fortbildungen für Führungskräfte wird heute betont, dass es die zentrale Leitungsaufgabe ist, Mitarbeiter zu motivieren, mit ihnen zu kommunizieren, ihre Anregungen zu beachten. Das ist nicht modisch, sondern logisch. Heute aber arbeiten die meisten größeren Organisationen auf einem so hohen Niveau der spezialisierten Arbeitsteilung, dass die Führung nur dann alle Kompetenzmöglichkeiten erschließt (und so die Wettbewerbsfähigkeit sichert), wenn sie die unterschiedlichen Spezialisten optimal einbindet.

      Das bedeutet, dass an sich jeder Mitarbeiter, der eine gute Idee hat, auch den Anspruch äußern kann, dass sie umgesetzt wird. Wenn seine Vorgesetzten nicht mitspielen, kann er sich beschweren: sie wollen nicht tun, wofür sie (meist gut) bezahlt werden.

      Moderne Professionalität fordert Führung; sie entzieht sich ihr nicht. Wer leitet, wird von einem professionell denkenden Mitarbeiter in Anspruch genommen. Er soll etwas für ihn tun, er soll ihn fördern, ihm zuhören, seine Verbesserungsvorschläge umsetzen helfen. Umgekehrt wird der Vorgesetzte respektiert und der Dialog mit ihm gesucht; es ist nicht so wie in der Sklaverei, wo die Arbeiter sogleich ihr Werkzeug fallen lassen, wenn ihnen der Boss den Rücken kehrt oder dem Aufseher die Peitschenschnur reißt.

      In einer professionellen Zusammenarbeit wird die alte, absolute Autorität durch eine neue, die sogenannte Sachautorität ersetzt. Absolute Autorität ist diktatorisch; der Leiter weiß alles besser und muss nichts begründen. Sachautorität ist begründet; sie hat also einen Inhalt und eine Grenze.

      Seit den Entwicklungen der Neuzeit bestimmen die Individuen nicht mehr durch Geburt, sondern durch Geschick und Leistung ihren Platz in der Gesellschaft. So ist die allseitige Rivalität als Prinzip möglich geworden. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Gegen diesen rufen die Staatstheoretiker der Neuzeit den Leviathan3 auf den Plan, der diese Neigungen zur notfalls auch gewalttätigen Expansion des Einzelnen eingrenzen muss. So wird Führung zu einer doppelten Aufgabe: Wer sie beansprucht, muss einerseits sich selbst verwirklichen, anderseits seinen Platz im sozialen Organismus behaupten. Ohne die erste Qualität bleibt er ein Rädchen im Getriebe; ohne die zweite wird er bestenfalls ein Räuberhauptmann.

       Ehrgeiz und Machtfantasie

      Schrankenloser Ehrgeiz, Selbstüberschätzung und die Neigung, alle Mitmenschen, welche dem eigenen Ego nicht huldigen, für entweder töricht oder neidisch zu halten, sind keine späten Entgleisungen eines ursprünglich guten und bescheidenen Menschenkindes. Im Gegenteil, die Bescheidenheit, die Rücksichtnahme, das Verständnis für andere Positionen als die eigene sind spätere Zutaten, die auf komplizierten Anpassungs- und Einsichtsprozessen beruhen. Als tiefere Schicht bleibt unter ihnen die archaische Grandiosität erhalten. Sie kann, wenn sie unbewusst bleibt und nicht in einer bewussten Auseinandersetzung verarbeitet wird, jederzeit das vernünftige Ich übertölpeln.

      Wenn ein Mensch sich mehr Macht und Einfluss wünscht, als das andere tun, dann kann dieses Motiv verschiedene Wurzeln haben. Eine erste ist die ursprüngliche narzisstische Grandiosität, die unter manchen Familienumständen besser erhalten bleibt als unter anderen. Ein Kind, das Verständnis für seine Machtfantasien erlebt, das in ihnen nicht tief gekränkt, sondern behutsam auf die realen Schranken gegen ihre Verwirklichung hingewiesen wird, kann sein Selbstbewusstsein besser aufrechterhalten als ein zur Bescheidenheit beschämtes oder geprügeltes. Ein von an sich liebevollen, jedoch ängstlichen Eltern zur Bescheidenheit gedrilltes Kind wird Mühe haben, sich später von den Fesseln zu befreien, die seiner Expansion und seinem Selbstbewusstsein angelegt wurden.

       Grandiosität

      Manchmal ist die Grandiosität der kindlichen Allmachtsfantasie

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