Sprechen über Sex. Karina Kehlet Lins

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Sprechen über Sex - Karina Kehlet Lins

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erhält die Sexualität in der öffentlichen Förderung der Bevölkerungsgesundheit und im Gesundheitswesen nur wenig Aufmerksamkeit. Sie wird meist nur dann beleuchtet, wenn es um Vorbeugungsmaßnahmen oder Dysfunktionen geht; viel seltener gilt das Interesse dem allgemeinen sexuellen Wohlbefinden und einer gesunden Sexualität. Der populärwissenschaftliche Markt, auf dem pseudowissenschaftliche Theorien viel Aufmerksamkeit erhalten, ist dagegen groß (Graugaard, Pedersen og Frisch 2015). Insofern bedarf es einer umfassenderen Sicht auf die Sexualität, da sexuelle Gesundheit mehr ist als nur die Abwesenheit von Krankheit.

      Die WHO beschreibt sexuelle Gesundheit wie folgt:

       »Sie ist ein Zustand des körperlichen, emotionalen, mentalen und sozialen Wohlbefindens in Bezug auf die Sexualität und nicht nur das Fehlen von Krankheit, Funktionsstörungen oder Gebrechen. Sexuelle Gesundheit setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt. Sexuelle Gesundheit lässt sich nur erlangen und erhalten, wenn die sexuellen Rechte aller Menschen geachtet, geschützt und erfüllt werden (WHO 2006).«

      Nicht nur für die meisten Dänen trägt ein gutes Sexualleben wesentlich zur Lebensqualität bei. Dennoch haben viele Fachkräfte im Gesundheitswesen – das gilt auch für Psychologen und Psychotherapeuten – das Gefühl, nicht die nötigen Kompetenzen zu besitzen, um ein Gespräch über Sex einzuleiten. Dies ist jedoch nicht das eigentliche Problem, da Psychologen daran gewöhnt sind, mit anderen Menschen über schwierige Themen zu sprechen. Verstärkend wirkt vielmehr die fehlende Kenntnis darüber, dass den meisten Klienten bereits mit relativ wenigen Maßnahmen geholfen werden kann (Graugaard, Pedersen og Frisch 2015).

      Im Gesundheitswesen kann man Menschen mit sexuell bedingten Problemen überall begegnen, und oft reicht es für eine bessere Befindlichkeit schon aus, dass der Therapeut bereit ist, dem Klienten zuzuhören und sich für seine Sorgen zu interessieren. Viele Therapeuten wissen dies nicht – oder wenn sie es wissen, meinen sie, mehr Übung und Erfahrung zu benötigen, um ihre Methoden, wie beispielsweise das aktive Zuhören, auch bei gefühlsgeleiteten und sexuell aufgeladenen Themen einsetzen zu können. Das Trainieren solcher Gespräche ist vor allem deshalb wichtig, um die eigenen emotionalen und mentalen Barrieren abzubauen. Dies gilt nicht zuletzt dann, wenn die durch den Klienten angesprochene Form der Sexualität sich außerhalb des eigenen Erfahrungsbereichs befindet oder als grenzverletzend empfunden wird. Ist das sexuelle Verhalten nicht gesetzeswidrig, ist es wichtig, sich angesichts der Prioritäten anderer Menschen in Bezug auf die Sexualität tolerant verhalten zu können (Johansen, Thyness og Holm 2001). Dieser Aspekt wird in den Kapiteln 4 und 7 vertieft.

      Die Unterscheidung zwischen Psychotherapie und Sexualtherapie mag bei genauerem Hinsehen willkürlich erscheinen, denn wie sich später herausstellen wird, ist unklar, worin der therapeutische Anteil in einem Gespräch über Sexualität genau besteht und was in der Sexualtherapie, d. h. in der sexologischen Beratung und Behandlung, grundsätzlich anders sein soll als in anderen psychotherapeutischen Richtungen. Insofern ist die Frage naheliegend, warum Psychologen und Psychotherapeuten sexuelle Themen nicht bereits in viel höherem Maße in ihre Behandlungen einbeziehen, als dies derzeit der Fall ist.

      Im Rückspiegel

      Bis weit in die 1960er-Jahre wurden sexuelle Probleme überwiegend in Einzeltherapien mit psychoanalytischem Ansatz behandelt. Freud war noch immer der wichtigste Bezugspunkt. Erst dem Ende der 1960er-Jahre entwickelten verhaltenstherapeutischen Ansatz gelang es, diesen zunehmend zu ersetzen (Møhl 2017a). Die bekannteste und bahnbrechende Studie in der Sexualwissenschaft stellt wahrscheinlich William Masters’ und Virginia Johnsons Veröffentlichung Human Sexual Response von 1966 (dt. Die sexuelle Reaktion [1967]) dar. Nach vielen Jahren der Forschung beschreiben die Autoren einen sexuellen Reaktionszyklus des Menschen, der aus vier Phasen besteht: Erregungsphase, Plateauphase, Orgasmus und Rückbildungsphase. Dieser sexuelle Reaktionszyklus wurde als das normale, ungestörte und gesunde Muster menschlicher Sexualität verstanden, und sexuelle Schwierigkeiten wurden Problemen während einer dieser Phasen zugeschrieben (Clement 2004). Masters’ und Johnsons Arbeit brachte die Sexualtherapie in Schwung, und das nachfolgende, 1970 erschienene Buch, dt. Impotenz und Anorgasmie. Zur Therapie funktioneller Sexualstörungen (1973), bildet auch heute noch die Grundlage dafür, wie viele Therapeuten sexuelle Probleme behandeln.

      Masters’ und Johnsons Standpunkte haben jedoch seither in Fachkreisen Kritik erfahren, und die Behandlungsformen innerhalb der Sexualtherapie sind nuancierter geworden. Beispielsweise wurde der verhaltenstherapeutische Ansatz, für den Masters und Johnson bekannt sind, in eine psychodynamische Theorie integriert, um ein umfassenderes Verständnis der komplexen Problemstellungen zu ermöglichen, die die Klienten mitbringen (Møhl 2017a). Dennoch wurden Masters und Johnson auch von vielen in ihren Ansichten unterstützt. Sie haben den Mythos von der Unterscheidung zwischen »unreifen« klitoralen Orgasmen und »reifen« vaginalen Orgasmen bei Frauen demontiert, der ein Überbleibsel aus der viktorianischen Ära und nicht zuletzt eine Folge von Freuds Einstellung zur Sexualität von Frauen darstellte. Auch die Überzeugung, dass Männer und Frauen sexuell sehr unterschiedlich seien, wurde entkräftet. Dennoch ist Masters‘ und Johnsons Einfluss in der Sexualtherapielandschaft auch weiter nachhaltig spürbar. So orientieren sich die Diagnosen von heute nach wie vor an dem von ihnen beschriebenen sexuellen Reaktionszyklus ebenso wie die Auflistung der sexuellen Dysfunktionen, die in der Fachliteratur beschrieben werden.

      Sexuelle Dysfunktionen umfassen verschiedene Formen der fehlenden Fähigkeit, gewünschte sexuelle Handlungen auszuführen, und können in verschiedenen Phasen auftreten:

      Lustphase: geringe/fehlende Lust oder erhöhte Lust

      Erregungsphase: mangelnde Lubrikation, Erektionsstörung / erektile Dysfunktion

      Plateauphase: vorzeitiger Samenerguss / Ejaculatio praecox

      Orgasmus: fehlender Orgasmus, verzögerter/ausbleibender Samenerguss und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr

      (Scheidenkrampf/Vaginismus, Dyspareunie)

      (Leiblum 2007)

      Der Begriff »Sexualtherapie« an sich wurde sogar oft mit der 1970 erfolgten Veröffentlichung der englischsprachigen Originalausgabe von Impotenz und Anorgasmie. Zur Therapie funktioneller Sexualstörungen (Masters a. Johnson 1973) verknüpft, was leider dazu führte, dass die Sexualwissenschaft zunehmend als eigene Schule betrachtet wurde, und dies, obwohl Masters und Johnson geradezu betont hatten, dass die Sexualität in einem engen Zusammenhang mit anderen Lebensbereichen des Klienten zu betrachten sei. Die Autoren beurteilten die strenge Unterscheidung zwischen Sex und anderen Bereichen des menschlichen Daseins als eine unreflektierte Angewohnheit und waren zugleich der Ansicht, dass eine statistische Zusammenfassung der sexuellen Erfahrungen des Klienten nutzlos sei. Eine derart eingeschränkte Sichtweise löse die sexuellen Funktionen aus ihrem Zusammenhang. Um dem entgegenzuwirken und auch relationale Faktoren zu berücksichtigen, sei zum Beispiel in einer Partnerschaft die Einbeziehung des Partners in die Therapie sinnvoll.

      Die Sexualwissenschaft – mehr als die Summe der einzelnen Teile

      Diese Umstände haben dazu geführt, dass die Sexologie sich zu einem Spezialgebiet entwickelt hat, obgleich der Titel »Sexualtherapeut« nicht geschützt ist und es in der Sexualtherapie keine grundlegend anderen Methoden gibt als in anderen psychotherapeutischen Schulen. Die meisten

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