Krieg und Frieden. Лев Толстой
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Das schon vorher verbreitete Gerücht über eine Niederlage der Österreicher und über die Kapitulation ihrer ganzen Armee bei Ulm erwies sich als richtig. Eine halbe Stunde darauf wurden schon nach verschiedenen Richtungen Adjutanten mit Befehlen abgeschickt, aus denen hervorging, daß nun auch die russischen Truppen, die sich bis dahin untätig verhalten hatten, bald mit dem Feind zusammenstoßen sollten.
Fürst Andrei war einer der wenigen Stabsoffiziere, die ihr Hauptinteresse dem Gesamtgang der kriegerischen Operationen widmeten. Nachdem er Mack gesehen und die Einzelheiten seiner Katastrophe erfahren hatte, begriff er, daß der Feldzug schon zur Hälfte verloren war, erkannte die schwierige Lage der russischen Truppen in ihrem ganzen Umfang und stellte sich lebhaft vor, was dem Heer bevorstand und welche Rolle er selbst beim Heer werde zu spielen haben. Unwillkürlich empfand er ein Gefühl freudiger Aufregung bei dem Gedanken an die Beschämung, die dem allzu selbstbewußten Österreich zuteil geworden war, und bei der Aussicht, daß es ihm vielleicht in einer Woche beschieden sein werde, einen Zusammenstoß zwischen Russen und Franzosen, den ersten seit Suworow, mit anzusehen und selbst daran teilzunehmen. Aber er fürchtete das Genie Bonapartes, das sich vielleicht als stärker erweisen würde als alle Tapferkeit der russischen Truppen, und doch brachte er es auch wieder nicht übers Herz, seinem Helden eine schmähliche Niederlage zu wünschen.
Durch diese Gedanken in aufgeregte und gereizte Stimmung versetzt, wollte Fürst Andrei nach seinem Zimmer gehen, um an seinen Vater zu schreiben, dem er täglich einen Brief sandte. Auf dem Korridor traf er mit seinem Stubenkameraden Neswizki und dem Possenreißer Scherkow zusammen; wie immer, lachten die beiden über irgend etwas.
»Warum bist du denn so verdrießlich?« fragte Neswizki, als er bemerkte, wie blaß das Gesicht des Fürsten Andrei war und wie seine Augen funkelten.
»Zum Vergnügtsein haben wir keinen Anlaß«, erwiderte Bolkonski.
In demselben Augenblick, wo Fürst Andrei mit Neswizki und Scherkow zusammengetroffen war, kamen ihnen vom andern Ende des Korridors her zwei österreichische Generale entgegen: der General Strauch, der in Kutusows Hauptquartier stationiert war, um die Verpflegung der russischen Armee zu überwachen, und das am vorhergehenden Abend angekommene Mitglied des Hofkriegsrates. Auf dem breiten Korridor war Raum genug, daß die Generale bequem an den drei Offizieren vorbeikommen konnten; aber Scherkow stieß mit der Hand Neswizki zurück und rief wie atemlos:
»Sie kommen ...! Sie kommen ...! Treten Sie an die Seite, Platz! Bitte, Platz!«
Es war den Generalen anzusehen, daß sie auf die lästigen Ehrenbezeigungen gern verzichtet hätten; aber der Spaßmacher Scherkow verzog plötzlich sein Gesicht zu einem einfältigen Lächeln, als ob er sich vor Freude gar nicht halten könne.
»Euer Exzellenz«, sagte er auf deutsch, indem er vortrat und sich an denjenigen General wandte, der ihm der nächste war, »ich habe die Ehre zu gratulieren.«
Er machte eine Verbeugung mit dem Kopf und begann ungeschickt, wie Kinder, die tanzen lernen, abwechselnd mit dem einen und mit dem andern Bein Kratzfüße zu machen.
Der General (es war der Herr vom Hofkriegsrat) sah ihn mit einem strengen Blick an; aber da ihm das einfältige Lächeln echt zu sein schien, glaubte er, dem Redenden Gehör für einen Augenblick nicht verweigern zu sollen. Er kniff die Augen ein wenig zusammen, als sei er bereit zuzuhören.
»Ich habe die Ehre zu gratulieren; General Mack ist eingetroffen, ganz gesund; nur hier hat er ein bißchen was abbekommen«, fügte er mit strahlendem Lächeln hinzu und zeigte dabei auf seinen Kopf.
Der General machte ein finsteres Gesicht, wandte sich ab und ging weiter.
»Gott, wie naiv!« sagte er ärgerlich, als er einige Schritte entfernt war.
Neswizki umarmte laut lachend den Fürsten Andrei; aber dieser, der noch blasser geworden war als vorher, stieß ihn mit zorniger Miene zurück und wandte sich an Scherkow. Die nervöse Gereiztheit, in die er durch den Anblick Macks, durch die Nachricht von dessen Niederlage und durch die Gedanken an das, was der russischen Armee bevorstand, versetzt worden war, suchte einen Ausgang und fand ihn in der Entrüstung über Scherkows unpassenden Scherz.
»Mein Herr«, begann er mit scharfer Stimme, wobei ihm der Unterkiefer leise zitterte, »wenn Sie ein Hanswurst sein wollen, so kann ich Ihnen das nicht verwehren; aber ich sage Ihnen, wenn Sie sich noch einmal unterstehen sollten, in meiner Gegenwart solche albernen Possen zu treiben, so werde ich Sie lehren, wie Sie sich zu benehmen haben.«
Neswizki und Scherkow waren über diese Schroffheit so erstaunt, daß sie Bolkonski schweigend mit weitaufgerissenen Augen ansahen.
»Na aber, ich habe ihnen ja nur gratuliert«, brachte Scherkow heraus.
»Ich scherze nicht mit Ihnen; schweigen Sie!« rief Bolkonski, faßte Neswizki bei der Hand und ging mit ihm von Scherkow weg, der vergebens nach einer Antwort suchte.
»Na, was hast du denn aber eigentlich, Bruder?« sagte Neswizki begütigend.
»Welche Frage!« erwiderte Fürst Andrei und blieb vor Aufregung stehen. »Mach dir das doch nur klar: entweder sind wir Offiziere, die ihrem Kaiser und dem Vaterland dienen und sich über einen Erfolg der gemeinsamen Sache aller freuen, über einen Mißerfolg trauern, oder wir sind weiter nichts als Bediente, die sich um das Wohl und Wehe der Herrschaft nicht kümmern.« Hier ging er zum Französischen über, als ob er dadurch seine Meinung noch besser bekräftigen könne: »Vierzigtausend Mann sind niedergemacht, und die Armee unserer Verbündeten ist vernichtet, und da bringt ihr es fertig zu lachen! Das mag für einen unbedeutenden Burschen passen, wie dieses Subjekt, das du deiner Freundschaft würdigst, aber nicht für dich, nicht für dich.« Er sprach wieder russisch weiter: »Nur freche Buben« (diesen beleidigenden Ausdruck sprach Fürst Andrei mit französischer Klangfärbung, und zwar sehr deutlich, da er bemerkt hatte, daß Scherkow seine Worte noch hören konnte) »können sich in dieser Weise amüsieren.«
Er wartete einen Augenblick, ob der Kornett etwas darauf antworten werde. Aber dieser wendete sich weg und verließ den Korridor.
IV
Das Pawlograder Husarenregiment lag zwei Meilen von Braunau im Quartier; die Eskadron, in welcher Nikolai Rostow als Junker stand, war in dem deutschen Dorf Salzeneck untergebracht. Dem Eskadronchef, Rittmeister Denisow, welcher in der ganzen Kavalleriedivision unter dem Namen Waska1 Denisow bekannt war, war das beste Quartier im Dorf zugeteilt; der Junker Rostow wohnte die ganze Zeit her, seit er das Regiment in Polen eingeholt hatte, mit dem Eskadronchef zusammen.
Am 11. Oktober, an eben dem Tag, an welchem im Hauptquartier alles durch die Nachricht von Macks Niederlage in unruhige Bewegung versetzt worden war, ging im Quartier jener Eskadron das Lagerleben noch in der alten Weise weiter. Denisow, der die ganze Nacht Karten gespielt hatte, war noch nicht nach Hause gekommen, als Rostow am frühen Morgen zu Pferde vom Furagieren zurückkehrte. Rostow ritt an die Stufen vor der Haustür heran, schwang, seinem Pferd einen Stoß versetzend, mit einer jugendlich geschmeidigen Bewegung das Bein herüber, blieb noch einen Augenblick im Steigbügel stehen, als ob er sich noch gar nicht von seinem Pferd trennen möchte, sprang endlich herunter und rief seinen Burschen.
»He, Bondarenko, lieber Freund!« rief er, und der Husar kam nun Hals über Kopf zu dem Pferd gelaufen. »Führ ihn umher, mein Lieber«, sagte