Coffin Corner. Amel Karboul

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Coffin Corner - Amel Karboul Midas Sachbuch

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Prozessoptimierungen – alles für die Katz. Eine echte Chance hat nur, wer die Scheuklappen wahrnimmt, die sein Blickfeld verengen. Nur wer sie wahrnimmt, kann sie abnehmen. Nur wer nach links und rechts sieht, kann die Flughöhe erkennen. Ikarus wäre nicht abgestürzt, wenn er nur ein wenig mehr Abstand zur Sonne gehalten hätte.

      Ich will nicht, dass gute Unternehmen in die Coffin Cornerfliegen! Mir geht es darum, dass durch Railway-Denken geprägte Unternehmen ein wenig Granatapfel-Denken lernen.

      Fliegen Sie also ein Stückchen tiefer! Reizen Sie die Optimierung nicht vollständig bis zum letzten Zentimeter aus, planen Sie nicht jedes Detail, sondern vielleicht nur die wichtigen Eckpunkte und entscheiden Sie über die Feinheiten dann, wenn sie anstehen. Gehen Sie runter aus der Coffin Corner in Bereiche, wo Sie noch Spielraum haben, um auf Unerwartetes zu reagieren.

      Das neue Ziel im 21. Jahrhundert kann nicht mehr maximale Effizienz sein. Bitte denken Sie um! Das neue Ziel, das ich Ihnen vorschlagen möchte, heißt: ausreichende Dynamikrobustheit.

      Das Railway-Denken hat seinen Sinn. Es war lange Zeit der Schlüssel zum Erfolg. Aber in der komplexen Welt des 21. Jahrhunderts reicht es nicht mehr. Es wird Zeit für mehr Flexibilität. Auf den ersten Blick mag das Granatapfel-Denken vielleicht für Sie skurril oder unrealistisch wirken. Doch es passt in unsere Gegenwart, deren Widersprüche wir nicht auflösen, sondern nur aushalten und im besten Falle für uns nutzen können. Es ist die Methode der Erfolgreichen unserer Zeit.

      KAPITEL 2

       JOHN WAYNE ALS CEO

      »I won’t be wronged. I won’t be insulted. I won’t be laid a hand on. I don’t do these things to other people, and I require the same from them.«

      Der Reiter mit dem eisenharten Gesicht hat sein Pferd zum Stehen gebracht. Er schiebt seinen Hut nach oben und blinzelt in die tief stehende Sonne. An seiner Weste blitzt ein Sheriffstern.

      Ein Mann. Eine Mission. Es folgt der Showdown.

      Alles ist ruhig. Der Sheriff steigt vom Pferd und gibt dem Tier einen gönnerhaften Klaps auf den Hals. Dann zückt er das Gewehr. Es gibt etwas zu erledigen, dort drüben in der Schlucht. Der Schurke kann nirgendwo anders sein. Mit langsamen, vorsichtigen Schritten nähert er sich dem Eingang zu der Schlucht. Seine Stiefel knirschen im groben Sand.

      Ein lautes Geräusch! Er zuckt zusammen. Duckt sich. Irgendwo über ihm … Ach, nur ein paar Tauben, die ihn bemerkt haben und mit klatschenden Flügeln das Weite suchen. Er geht weiter, das Gewehr mit beiden Händen im Griff, bereit, es hochzureißen und den tödlichen Schuss abzufeuern.

      »Ich weiß, dass du hier bist«, knurrt er. »Komm raus, du Hund!«

      Nichts rührt sich. Der Sheriff blickt sich um. Der Bösewicht muss ganz in der Nähe sein. Da taucht vor ihm ein Schatten auf, ein Körper stürzt sich auf ihn, die beiden gehen zu Boden. Der Sheriff ist als erster wieder auf den Füßen, er reißt seinen Gegner mit einer Faust am Kragen in die Höhe.

      »Du willst kämpfen? Dann kämpfe wie ein Mann!«

      Der andere wirft ihm eine Hand voll Staub in die Augen, der Sheriff taumelt zurück, ein Schuss löst sich.

      Der Angreifer stöhnt.

      »Aaah, Sheriff!«

      Die Staubwolke legt sich, der Sheriff wischt sich blinzelnd die Augen frei.

      »… Sheriff! Du hast mich erwischt. Ich sterbe . Hilf mir …«

      Als der Sheriff wieder etwas sehen kann, wirft er dem blutenden Kerl am Boden einen verächtlichen Blick zu.

      »Hilf dir selber, du erbärmliche Kreatur.«

      Er wendet sich ab und verlässt die Schlucht. Als er den Ausgang fast erreicht hat, will sich sein Gegner von hinten auf ihn stürzen – er war keineswegs tödlich getroffen, sondern offensichtlich nur leicht verwundet. Blitzschnell dreht der Sheriff sich um und gibt einen weiteren Schuss ab.

      Den finalen Schuss.

      Uplifting music, der Job ist getan. Die Gerechtigkeit hat gesiegt. Der härtere Mann ist noch auf den Beinen, der andere liegt tot im Staub.

      Der Sheriff reitet in den Sonnenuntergang.

      Abspann.

       Leadership happens on the top

      John Wayne – das ist der Schauspieler des 20. Jahrhunderts, der für mich den Typus des einsamen Helden am eindrücklichsten verkörpert hat. What a man!

      Ein solcher Mann ist eine Führungsfigur. Er steht immer im Feuer, es gibt immer einen Kampf zu bestehen. Und das heißt: Es gibt immer einen finsteren Gegner, der besiegt werden muss. Und warum besiegt der Held den Schurken immer? Weil er härter ist, weil er zäher ist, weil er der bessere Mann ist. Auch wenn er mal einen Kratzer abbekommt oder eine Faust an den Kinnwinkel: Er ist unverwundbar. Sein Wille ist stärker, er bleibt immer aufrecht, hält immer durch, egal wie schwer die Prüfung ist. Und wenn es eine Entscheidung zu treffen gilt, wenn es hart auf hart kommt, wird er eiskalt. Emotionen? Spielen keine Rolle, denn die würden ihn nur behindern. Und noch etwas: Ein John-Wayne-Held ist immer einsam. Vor allem dann, wenn es ums Ganze geht. Entscheidungen macht er mit sich selbst aus. Denn am Ende ist es ja doch er, der durchs Feuer gehen muss.

      Wenn Sie einen solchen Helden treffen wollen – von der Sorte, wie sie von John Wayne, Clint Eastwood, Al Pacino, Russell Crowe, Gerard Butler oder Kiefer Sutherland in Hollywood-Filmen verkörpert werden –, wenn Sie so einen nicht nur im Kino, sondern im realen Leben treffen wollen, dann benötigen Sie einfach nur Zugang zu den Chefetagen großer Unternehmen oder internationaler Konzerne. Dort bestreiten sie noch heute ihre Entscheidungskämpfe, besiegen ihre Gegner, treffen einsam und eiskalt ihre Entscheidungen und geben den Mitarbeitern unter sich gönnerhaft einen Klaps.

      Irgendwie hat es dieser Heldentypus aus dem letzten Jahrhundert geschafft, noch immer im Sattel zu bleiben.

      Das was ihn dort hält, ist die starre hierarchische Pyramidenorganisation, in der jedem Chef eine Gruppe von Untergebenen zugeordnet ist, von denen jeder wiederum Chef einer weiteren Gruppe von Untergebenen ist – über mehrere Ebenen hinweg bis nach unten an die Basis der Pyramide. Dort arbeiten die Geringsten. Die einfachen Sachbearbeiter, Verkäufer, Sekretärinnen und Servicekräfte.

      Bezeichnenderweise sind es in der Pyramidenorganisation genau diese Menschen, also die ganz »unten«, die den meisten Kundenkontakt haben und die sich jeden Tag höchstpersönlich im Markt bewegen und mit der Welt da draußen kommunizieren. Je weiter oben einer in der Hierarchie sitzt, desto weniger hat er mit der Außenwelt zu tun.

      Dafür steigt seine Macht und die ihm entgegengebrachte Wertschätzung.

      Das Pyramidion, also die Spitze, die obersten Steine, waren bei der größten Pyramide der Welt, dem vor rund 4.600 Jahren in Gizeh errichteten Grabmal des Pharaos Cheops die wertvollsten Steine. Während die Basis mit billigem Kalkstein ausgeführt war, wurde an der Spitze

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