Coffin Corner. Amel Karboul
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Müssen sich die deutschen Unternehmen umbauen, um zukunftsfähig zu werden, zum Beispiel für dieses Best-Case-Szenario?
Ja, sicher. Und das kann anstrengend sein. Wir haben einen größeren deutschen Mittelständler beraten, der sich stärker internationalisieren wollte und damit Schwierigkeiten hatte. Mit den Führungskräften waren wir mit den Mittelständlern bei John Deere, ein großer Landwirtschaftsmaschinen-Hersteller, der seine Internationalisierung sehr gut hingekriegt hat. Die Antwort der John-Deere-Leute war glasklar: Wir haben alles probiert, es gibt nur einen Weg der funktioniert. Stellt internationale Leute ein, auch im Vorstand. Der deutsche Mittelständler hatte einen Holländer im Vorstand, nicht gerade ein Culture Clash. Der Holländer wäre fast wieder rausgeflogen, weil er kulturell so angeeckt ist. Vielleicht sind die simpelsten Veränderungen manchmal die schwierigsten und die wirkungsvollsten. Ich selbst war nach dem Studium bei einem großen deutschen Konzern im internationalen Trainee-Programm. Der Konzern hat viel Geld ausgegeben, um junge Professionals mit anderem kulturellen Hintergrund in sein Unternehmen zu holen. Aber am Ende wurde keiner der Asiaten und Afrikaner übernommen, und das lag sicher nicht daran, dass sie nicht gut gewesen wären. Solche mentalen Blockaden können am Ende sehr teuer werden. Man muss die Leute nicht nur einstellen, man muss sich auch für sie öffnen. Und man muss wahrscheinlich auch eine kritische Masse einstellen. Drei oder vier Leute verändern keine Kultur. Deshalb ist es eine gute Nachricht für Deutschland, dass jetzt eine Million Flüchtlinge aus Syrien und anderen Ländern hier leben wollen. Das ist super, eine riesige Chance.
KAPITEL 1
OPTIMIEREN, OPTIMIEREN, OPTIMIEREN – COFFIN CORNER
Dort, wo ich aufgewachsen bin, konnte ich morgens nie sicher sein, ob wir mittags noch Strom haben, oder ob auch abends noch Wasser aus der Leitung fließt. Beides fiel immer wieder einfach aus. Ohne Vorwarnung. Aber gut, das war eine Kleinigkeit.
Mehrmals im Monat stand ich früh auf, machte mich fertig, kämpfte mich zu Fuß durch den Verkehr, kam zur Schule und dort fiel dann der Strom aus. Ich hatte noch Glück, ich wohnte direkt in der Stadt. Andere Klassenkameraden kamen aus Vororten oder vom Land. Und um sich nicht zu verspäten, nahmen sie das sicherste aller Verkehrsmittel: Sie kamen zu Fuß. Auch wenn das Stunden dauerte. Verspätungen wären kein Problem gewesen. Ob der Bus überhaupt kam, war eine Frage des Glücks. Und hing davon ab, ob unterwegs ein Reifen platzte oder nicht, ob noch genügend Sprit im Tank war oder nicht, ob der Fahrer spontan bei Freunden anhielt oder nicht …
Morgen? Wenn Gott will, werden wir morgen Schule haben. Dass heute nicht mehr gelten muss, was gestern noch vehement behauptet wurde, war im Tunesien meiner Kindheit das Normalste von der Welt. In allen Lebensbereichen.
Es kommt immer anders, als du denkst. Und wenn die Ausnahme der Regelfall ist, dann ist das ja auch gar nicht schlimm. Mit dieser Haltung bin ich aufgewachsen, und diese Haltung bestimmt bis heute mein Denken und Handeln. Deshalb bin ich mir ziemlich sicher: Ich gehe mit Unsicherheit anders um als Sie.
Wer in Mitteleuropa oder Nordamerika oder Japan aufgewachsen ist, also in einem sogenannten Industrieland, hat mit größter Wahrscheinlichkeit die Erfahrung gemacht, dass der Alltag nach bestimmten, ja eigentlich nach den immer gleichen Regeln funktioniert. Das wenige Unvorhergesehene, die Ausnahme von der Regel, die Überraschung, ist dann allerdings ein Großereignis und bringt alles durcheinander.
Sie wissen, wovon ich spreche. In Bezug auf die Wirtschaft zum Beispiel spreche ich davon, dass eine ausgereifte, hoch entwickelte Technologie, mit der eigentlich alles »in Ordnung« ist, plötzlich von der Geschichte untergepflügt wird – wie der Röhrenbildschirm, der seit Jahrzehnten in jedem Haushalt, jedem Büro präsent war. Plötzlich kam eine zunächst minderwertige Neuerfindung auf, nämlich der pixelige, kleine, langsame, teure Flachbildschirm. Die Röhre war qualitativ meilenweit überlegen. Keine ernsthafte Konkurrenz. Niemand wollte seinen schönen, bewährten Fernseher gegen so ein, in jeder Hinsicht unterlegenes, Produkt eintauschen. Die Zahlen der Marktforschung konnten das belegen. Nicht jede neue Technologie ist eben automatisch besser als das Bewährte, dachten die Manager stolz. Aber innerhalb von nur wenigen Jahren war die Röhre vom Markt gefegt. Denn die Tatsache, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit des Flachbildschirms viel schneller war als die der technisch ausgereizten Röhre, war aus den Zahlenwerken der Controller nicht ablesbar. Die Röhrenfernseher-Hersteller wussten nicht, dass sie bereits geschlagen waren, als sie noch auf der Siegesstraße fuhren.
Gerade erleben wir, dass Tesla Motors aus Kalifornien, ein Startup eines scheinbar größenwahnsinnigen Dot.com-Miliardärs, innerhalb von nur zehn Jahren zu einem milliardenschweren Unternehmen gewachsen ist, und mit seinen Premium-Elektroautos große Namen wie Porsche, Audi oder BMW ins Schwitzen bringt. Womöglich ergeht es dem Benzinmotor wie der Bildröhre. Wer hätte das gedacht?
Solch unvorhergesehene Ereignisse werfen nicht nur einzelne Unternehmen, sondern auch ganze Branchen aus der Bahn. Dass es in einem japanischen Kernkraftwerk nach einem Tsunami zur Kernschmelze kommt und ein Land wie Deutschland daraufhin quasi über Nacht den Ausstieg aus der Kernenergie beschließt, das hätte sich vor Fukushima kein Energiekonzern träumen lassen.
Im Kleinen wie im Großen gilt: Solche Überraschungen bringen die gewohnte Ordnung durcheinander. Zum Beispiel die Ordnung, wer Marktführer, Platzhirsch und eine sichere Bank ist. Diese plötzlichen, überraschenden Ereignisse werden »disruptiv« genannt, weil sie die bestehende Ordnung »auseinanderreißen«.
Okay. Das alles wissen Sie so gut wie ich. Jetzt kommt aber der entscheidende Punkt: Disruptive Technologiesprünge, überraschende Veränderungen, katastrophale Abweichungen von der Normalität – das ist nur eine bestimmte Sichtweise. Das können Sie nur dann so sehen, wenn Sie überhaupt an die »bestehende Ordnung« glauben – also wenn Sie die Haltung haben, dass die Ordnung normal ist und das disruptive Ereignis die Ausnahme. Sie können es aber auch anders sehen …
Zudem ist die Existenz solcher Überraschungen erst einmal nur ein Phänomen. Zwei Probleme gibt es damit: Erstens sterben dabei tatsächlich Unternehmen, manchmal sogar ganze Branchen. Zweitens häufen sich die Überraschungen zunehmend in unserer Gegenwart.
Auf dem Sprung
In den 1970er-Jahren waren die Weltmärkte weitgehend stabil und berechenbar: Neue Konkurrenten und neue Technologien entwickelten sich nur langsam und Knalleffekte kamen nur alle paar Jahre einmal vor. Die einzelnen Weltmärkte – für Finanzen, für Fachkräfte, für Rohstoffe oder für Produkte entwickelten sich im Vergleich zu heute relativ unabhängig voneinander und relativ langsam und kontinuierlich. Sie können auch sagen: relativ berechenbar. Heutzutage brauche ich nur die Wirtschaftszeitung aufzuschlagen, und ich finde garantiert ein Ereignis, ein Produkt, eine Firma – kurz: irgendetwas, das gerade den Markt umkrempelt. Die Welt dreht sich immer schneller und die Veränderungen werden immer heftiger. Zunehmend kürzer wird auch die Zeit, die eine Erfindung braucht, um sich durchzusetzen