Der Tod in der Salzwiese. Sibyl Quinke
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Читать онлайн книгу Der Tod in der Salzwiese - Sibyl Quinke страница 6
»Ach so! Da landet die … äh … wo? Ich weiß es gar nicht so genau, das kommt bei uns nicht vor.«
»Mann, Kollege, ich denke, es ist ernst. Wollen Sie nicht nachhören, wo der Notruf eingegangen ist?«
Knurrig drehte sich der örtliche Kollege um. Hatte er sich doch schon auf das Mittagessen gefreut, seine Angetraute hatte ihm heute sein Lieblingsgericht, Sauerbraten mit Rosinen und Klößen versprochen, und das stand wahrscheinlich schon auf dem Tisch, und jetzt diese Störung. Er war sich nicht sicher, ob dieser Bresniak echt war oder nur flunkerte. Aber er wollte keine Unsicherheit zeigen.
Die Leichen, von denen er auf Juist wusste, die gab es nur bei Beerdigungen, und die waren immer die Folge eines natürlichen Todes gewesen. Wenn es nun wirklich ein Kapitalverbrechen gegeben haben sollte – es wäre zu peinlich, wenn er nicht reagiert haben sollte. Da waren ihm doch Meldungen über Ruhestörungen oder Raufereien zwischen ein paar Hitzköpfen, die er meist persönlich kannte, lieber. Da konnte er ein Machtwort sprechen und dann war wieder alles in Ordnung. Seine Insel war strafrechtlich betrachtet ein Eiland. Da gab es keine Verbrecher, und so brauchte er den Kontakt zum Festland so gut wie gar nicht. Er konnte sich nicht erinnern, wann er dieses das letzte Mal gesucht hatte. Das war wahrscheinlich während der letzten Fortbildung, und die war auch schon eine Weile her. Wo musste er jetzt anrufen? Er begann zu schwitzen. Er wollte sich nicht die Blöße geben, dass er nicht umfänglich Bescheid wusste. In Aurich? Wo war die Nummer? – Er wählte selbst die 112, da musste er richtig ankommen.
»Rettungsstation Wittmund. Ihren Namen und Adresse bitte«, meldete sich sofort die Zentrale.
Bresniak lauschte dem Gespräch, das sich zwischen dem Festland und der Insel entspann. Offensichtlich war die Meldung von Lilli irgendwo im Orbit gelandet. Keiner schien irgendetwas zu wissen. Die totale Verwirrung. Hoffentlich löste sich alles in Wohlgefallen auf. Doch die Nachricht von Lilli, warum sollte er daran zweifeln? Aber wie sollte sich eine Ermittlung vernünftig gestalten, wenn die eine Hand nicht wusste, was die andere tat oder wusste?
»Bei uns soll es eine Leiche geben. Warum teilt ihr uns das nicht mit? Oder nehmt ihr uns nicht ernst?« Der Polizeikommissar reagierte genervt. Es konnte nicht sein, dass er als Vertreter der Staatsgewalt hier auf der Insel ignoriert wurde. Was dachten die sich eigentlich auf dem Festland? So nicht! Was bildeten die sich ein. Da musste er auf den Putz hauen. Wenn etwas auf der Insel passierte, dann war er schließlich einzubinden!
»Verdammt, bei euch ist das? Und wir machen hier eine Salzwiese nach der anderen scheckig. Warum habt ihr das nicht korrekt gemeldet? Ihr wisst doch, welche Angaben wir brauchen. Ihr müsst uns das Leben nicht schwerer machen als unbedingt notwendig.«
»Gemeldet? Ihr seid gut. Ein Jogger hat mich gerade informiert und gefragt, warum wir nichts unternehmen. Vielleicht solltet ihr trommeln, dann erfahren wir eher, was los ist.«
»Ja, ist jetzt was los oder nicht? Das müsst ihr vor Ort eruieren! Vorher schicken wir keinen zu euch rüber.«
»Habt ihr mich nicht richtig verstanden? Woher soll ich wissen, dass ich nachschauen soll, wenn ihr euch in Schweigen hüllt …«
So ging es hin und her. Keiner wollte an den Toten in der Salzwiese glauben und sich im Zweifel der Lächerlichkeit preisgeben. Für den Fall des Falles wollte auch keiner dafür verantwortlich sein und wegen Inaktivität angeprangert werden, wenn es dennoch etwas Ernstes sein sollte. Bresniak wollte der ineffektiven Unterhaltung nicht länger folgen. Er rief Lilli an.
»Mann, Charly, nichts passiert. Beinahe hätten wir zwei Leichen. Der Jens, unser Salzwiesenführer, ist wieder zu sich gekommen. Den bringen wir wieder ins Trockene. Der braucht auch frische Klamotten, damit der sich nicht erkältet und sich auch noch den Tod holt. Die anderen haben keine Lust mehr zu warten und wollen gehen. Vielleicht spinne ich ja. Kannst du nicht kommen und dir das anschauen? Ich traue mich nicht mehr, die 112 noch einmal anzurufen, aber trauen tue ich dem Ganzen auch nicht. Bitte Charly … sonst träume ich für den Rest unseres Urlaubes nur noch von Wasserleichen.«
»Lilli, ganz ruhig. Die anderen können gehen. Niemand zwingt sie, dazubleiben. Wahrscheinlich können die sowieso keinen Beitrag zur Aufklärung bringen, nur euer Führer und du, bitte bleibt vor Ort, und ich komme, so schnell ich kann.«
Und an den Polizeikommissar gerichtet: »Darf ich mir Ihr Fahrrad ausleihen? Ich fahre zur Salzwiese und schaue mir das einmal an. Ich berichte Ihnen dann.«
»Sie sind wirklich Kommissar? Oder …«
»Ausweis habe ich keinen dabei, aber Sie können meine Dienststelle in Wuppertal anrufen und sich vergewissern.«
Bresniak griff nach dem Fahrrad, und Polizeikommissar Weine – inzwischen hatte er sich auch namentlich vorgestellt – war froh, dass er die Verantwortung für dieses Intermezzo, und für ein solches hielt er diese Aktion noch immer, abgeben konnte. Er beendete das Gespräch mit Wittmund, nicht ohne sich darüber auszulassen, wie mies er diese Zusammenarbeit fand, in der er, der Verantwortliche vor Ort, außen vor gelassen wurde.
Weine rief direkt die Wuppertaler Nummer, die er von Bresniak erhalten hatte, an. Noch während er den Hörer am Ohr hielt, nickte er ihm zu und signalisierte, dass er sich am Fahrrad bedienen könne.
Bevor Bresniak sich auf den Drahtesel schwang, hatte er die Handynummer des Polizeikommissars abgespeichert.
»Ich bleibe in der Dienststelle, falls die aus Deutschland anrufen.« Aber das hörte der Wuppertaler nicht mehr, sondern war davongeradelt.
Bresniak trat in die Pedale und stellte verwundert fest, dass es gar nicht so einfach war, zügig voranzukommen, wenn ihm der Wind so heftig ins Gesicht blies. Er hatte keine Zweifel, dass sich in den Salzwiesen etwas Ernstes ereignet hatte. Willi würde nicht ohne Anlass die 112 anrufen und schließlich ihn benachrichtigen. Doch warum hatte die Behörde nicht reagiert? Selbst wenn die Angaben von Lilli zu ungenau waren, dann hätte nachgefragt werden müssen. Es ist die Aufgabe der Polizei, solchen Meldungen nachzugehen. Der Kollege auf der Dienststelle hätte genauer nachfragen müssen. Aber solche Gedanken waren müßig. Es war festzustellen, was die Meldung von Lilli nun wirklich beinhaltete. Auch der Kollege vor Ort schien froh zu sein, dass er kollegiale Unterstützung von ihm erhielt.
Der Weg war nicht weit, sodass Bresniak schon bald seine Lilli würde ausmachen können. So würde sich dieser merkwürdige Sachverhalt bald aufklären – dachte Bresniak.
Kapitel 5
Es gab nur eine Richtung: Westen. Es dauerte nicht lange, und er hatte Lilli mitten in der Salzwiese ausgemacht. Sie mit ihrem Adlerblick hatte ihn auch bald erkannt, obwohl sie ihn nicht auf einem Fahrrad vermutete. Schwieriger wurde der Weg in das salzige Habitat hinein. Das Fahrrad stellte er am Deichdurchbruch ab. Nicht alle Exkursionsteilnehmer waren schon gegangen. Eine Gruppe von fünf Touristen hatte es sich in der Sonne gemütlich gemacht und diskutierte. War es jetzt wirklich ein Arm? Dann würden sie echt etwas versäumen, wenn sie jetzt gingen. Außerdem war das Wetter angenehm. Die Sonne streichelte sanft ihren Teint, dabei ein Wind, der es nicht zu heiß werden ließ. Die Salzwiesenbesucher trieb nichts; so konnten sie miteinander fachsimpeln. Bresniak grüßte kurz.
»Sind Sie von der Polizei? Sie haben gar keine Uniform an!«, bemerkte einer von Ihnen.
»Glauben Sie mir, auch Polizisten haben mal Urlaub; dass mir dann gleich eine Leiche über den Weg läuft, damit muss ich nicht rechnen.«
»Laufen ist gut, ha, ha …«, bemerkte einer der Umstehenden, »die läuft nicht mehr.«