Der Glöckner von Notre Dame. Victor Hugo
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»Fangt auf der Stelle an! Das Schauspiel! Auf der Stelle das Schauspiel!« schrie das Volk. Und über alle Stimmen hinweg hörte man diejenige des Johannes von Molendino, welche den Tumult durchdrang wie die Pfeife bei einer Katzenmusik in Nîmes: »Sofort anfangen!« kreischte der Student.
»Nieder mit Jupiter und dem Cardinal von Bourbon!« schrien Robin Poussepain und die andern im Fensterkreuz hockenden Studiosen.
»Sofort die Aufführung!« wiederholte die Menge, »sofort, auf der Stelle! Galgen und Rad für die Schauspieler und den Cardinal!«
Der arme Jupiter, verwirrt, bestürzt und unter seiner Schminke erbleichend, ließ seinen Donnerstrahl niederfallen und nahm seinen Helm in die Hand; dann grüßte er zitternd und stotterte heraus: »Seine Eminenz ... die Gesandten ... Frau Margarethe von Flandern ...« ...« Er wußte nicht, was sagen. Er fürchtete auch, gehangen zu werden. Gehangen durch den Pöbel, wenn er zögerte, gehangen vom Cardinal, wenn er früher angefangen hätte. So sah er von zwei Seiten einen Abgrund, d.h. den Galgen. Glücklicherweise erschien jemand, um ihn aus der Verlegenheit zu ziehen und die Verantwortlichkeit auf sich zu nehmen.
Ein Mensch, welcher sich diesseits des Geländers in dem rings um die Marmorplatte freigelassenen Raume befand, und den noch niemand bemerkt hatte, so vollständig war seine dürre, lange Figur für jedes Auge von dem Durchmesser der Säule, an welche er sich gelehnt hatte, verborgen worden, – dieser ziemlich große, magere, bleiche, blonde, trotz Falten an Stirn und Wangen noch junge Mann mit glänzenden Augen und lächelndem Munde, in schwarze, vom Alter abgenutzte und glänzende Sarsche gekleidet, näherte sich der Marmorplatte und gab dem armen Dulder ein Zeichen. Dieser aber, in seiner Bestürzung, sah ihn nicht.
Der Ankömmling trat einen Schritt näher.
»Jupiter! mein lieber Jupiter!« rief er.
Dieser hörte aber nichts.
Endlich schrie ihm der große Blonde ungeduldig geworden fast ins Gesicht:
»Michel Giborne!«
»Wer ruft mich?« sagte Jupiter erschrocken, wie aus dem Schlafe erwachend.
»Ich,« antwortete der Schwarzgekleidete.
»Ah!« sagte Jupiter.
»Fangt gleich an,« fuhr jener fort. »Stellt das Volk zufrieden; ich übernehme es, den Herrn Palastvogt zu beschwichtigen, der wieder den Herrn Cardinal beschwichtigen wird.«
Jupiter athmete auf.
»Meine Herren Bürger,« rief er mit aller Kraft seiner Lungen der Menge zu, welche fortfuhr, ihn zu verhöhnen, »wir wollen sogleich beginnen.«
»Evoe Jupiter! Plaudite cives!« schrien die Studenten.
»Juchhe! Juchhe!« schrie das Volk.
Ein betäubendes Händeklatschen begann, und Jupiter war schon hinter den Vorhang zurückgekehrt, als der Saal noch vom Beifallsgeschrei erzitterte.
Unterdessen war der Unbekannte, der auf so magische Weise »den Sturm in Stille« verwandelt hatte, wie unser alter, lieber Corneille sagt, bescheiden in das Halbdunkel seines Pfeilers zurückgekehrt, und würde dort unsichtbar, unbeweglich und stumm wie zuvor geblieben sein, wenn ihn von hier nicht zwei junge Frauenzimmer, die in der Vorderreihe der Zuschauer standen, und die sein Zwiegespräch mit Michel Giborne-Jupiter beobachtet hatten, weggelockt hätten.
»Meister,« sagte die eine von ihnen, die ihm mit der Hand ein Zeichen gab, heranzukommen ...
»Schweiget doch, liebe Liénarde,« sagte ihre reizende, junge und in ihrem Sonntagsstaate stattlich geputzte Nachbarin; »das ist kein Gelehrter, sondern ein Laie; und Ihr dürft nicht Meister, sondern müßt vielmehr Herr sprechen.«
»Herr,« sagte Liénarde.
Der Unbekannte trat an das Geländer.
»Was wünscht ihr von mir, liebe Fräulein?« fragte er eifrig.
»Oh! nichts,« sagte Liénarde ganz verwirrt, »meine Nachbarin Gisquette la Gencienne ist es, die Euch sprechen will.«
»Ganz und gar nicht,« versetzte Gisquette erröthend, »Liénarde hat Euch Meister gerufen, und ich sagte ihr, daß man Herr sagen müßte.«
Die beiden jungen Mädchen schlugen die Augen nieder. Jener der nichts angelegentlicher wünschte, als ein Gespräch anzuknüpfen, sah sie lächelnd an.
»Ihr habt mir also nichts zu sagen, werthe Fräulein?«
»Oh! ganz und gar nichts,« antwortete Gisquette.
»Nein, nichts,« sagte Liénarde.
Der große blonde junge Mann trat einen Schritt zurück; aber die beiden Neugierigen hatten nicht Lust, die Beute fahren zu lassen.
»Mein Herr,« sagte Gisquette lebhaft und mit dem Ungestüm einer sich öffnenden Schleuse oder eines Weibes, die einen Entschluß faßt, »Ihr kennt also den Soldaten, der die Rolle der heiligen Jungfrau im Schauspiele geben wird?«
»Ihr wollt sagen die Rolle Jupiters?« entgegnete der Unbekannte.
»Ei, ja!« sagte Liénarde, »die Thörichte! Ihr kennt also den Jupiter?«
»Michel Giborne?« antwortete der Unbekannte; »ja, werthes Fräulein.«
»Er hat einen prächtigen Bart!« sagte Liénarde.
»Wird das hübsch sein, was man da oben sprechen wird?« fragte schüchtern Gisquette.
»Sehr schön, mein Fräulein,« entgegnete der Unbekannte ohne das geringste Zaudern.
»Was wird es denn sein?« sagte Liénarde.
»Das gerechte Urtheil der heiligen Jungfrau, ein moralisches Stück, wenn's beliebt, mein Fräulein.«
»Ah! das ist etwas andres!« versetzte Liénarde.
Ein kurzes Schweigen folgte. Der Unbekannte unterbrach es:
»Es ist ein ganz neues Stück, und noch gar nicht gegeben.«
»Es ist also nicht dasselbe,« versetzte Gisquette, »welches man vor zwei Jahren, beim Einzuge des Herrn päpstlichen Gesandten gegeben hat, und in welchem drei hübsche Mädchen Rollen gaben ...«
»Sirenen,« sagte Liénarde.
»Und ganz nackt –« fügte der junge Mann hinzu.
Liénarde schlug verschämt die Augen nieder. Gisquette sah sie an und machte es ebenso. Er fuhr lächelnd fort:
»Das war sehr spaßhaft zu sehen. Das heutige Schauspiel ist expreß für das gnädige Fräulein von Flandern gemacht.«
»Wird man Liebeslieder singen?« fragte