Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk. Jaroslav Hašek
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Читать онлайн книгу Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk - Jaroslav Hašek страница 6
»Ja, mit uns allen stehts sehr schlecht«, begann er seine Trostesworte. »Das is nicht wahr, was ihr sagt, daß euch, uns allen, nix geschehn kann. Wofür ham wir eine Polizei, als dafür, daß sie uns für unsere losen Mäuler straft. Wenn eine so gefährliche Zeit kommt, daß man auf Erzherzoge schießt, so darf sich niemand wundern, daß man ihn auf die Polizeidirektion bringt. Das geschieht alles von wegen der Aufmachung, damit der Ferdinand Reklam hat vor seinem Begräbnis. Je mehr unser hier sein wern, desto besser wirds für uns sein, denn um so lustiger wern wirs haben. Wie ich beim Militär gedient hab, war manchmal unsere halbe Kompanie eingesperrt. Und wieviel unschuldige Leute sind schon verurteilt worn. Und nicht nur beim Militär, sondern auch von den Gerichten. Einmal is, ich erinner mich noch gut, eine Frau verurteilt worn, weil sie ihre neugeborenen Zwillinge erwürgt hat. Obgleich sie steif und fest geschworen hat, daß sie die Zwillinge nicht hat erwürgen können, weil sie nur ein Mäderl zur Welt gebracht hat und es ihr gelungen war, es ganz schmerzlos zu erwürgen, is sie trotzdem wegen Doppelmord verurteilt worn. Oder dieser unschuldige Zigeuner in Zabéhlitz, was am Christtag in der Nacht in einen Bäckerladen eingebrochen is. Er hat geschworen, daß er sich nur anwärmen gegangen is, aber es hat ihm nichts genützt. Wie das Gericht mal was in die Hand nimmt, stehts schlimm. Aber das muß sein. Vielleicht sind nicht alle Leute solche Lumpen, wie man es von ihnen voraussetzen kann: aber wie unterscheidest du heutzutage einen anständigen Menschen von einem Lumpen, besonders heut, in einer so ernsten Zeit, wo sie diesen Ferdinand abgemurkst ham. Da hat man bei uns, wie ich beim Militär in Budweis gedient hab, im Wald hinterm Exerzierplatz den Hund von unserem Hauptmann erschossen. Wie er davon erfahren hat, hat er uns alle rufen lassen, hat uns antreten lassen und hat gesagt, daß jeder zehnte Mann vortreten soll. Selbstverständlich war ich auch der zehnte, und so sind wir Habtacht gestanden und ham nicht mal gezwinkert. Der Hauptmann geht um uns herum und sagt: ›Ihr Lumpen, Schurken, Kanaillen, gefleckte Hyänen, ich möcht euch allen wegen dem Hund Einzel aufpelzen, euch zu Nudeln zerhacken, erschießen und blauen Karpfen aus euch machen. Damit ihrs aber wißt, daß ich euch nicht schonen wer, geb ich euch allen zehn Tage Kasernarrest.‹ Also seht ihr, damals hat sichs um ein Hunterl gehandelt, und jetzt handelt sichs sogar um einen Erzherzog. Und deshalb muß Schrecken sein, damit die Trauer für was steht.«
»Ich bin unschuldig, ich bin unschuldig«, wiederholte der Mann mit dem gesträubten Haar.
»Jesus Christus war auch unschuldig«, sagte Schwejk, »und sie ham ihn auch gekreuzigt. Nirgendwo is jemals jemandem etwas an einem unschuldigen Menschen gelegen gewesen. ›Maulhalten und weiterdienen!‹ – wie mans uns beim Militär gesagt hat. Das is das Beste und Schönste.«
Schwejk legte sich auf das Kavallett und schlief friedlich ein.
Inzwischen brachte man zwei Neue. Einer von ihnen war ein Bosniake. Er schritt in der Zelle auf und ab, knirschte mit den Zähnen und jedes zweite Wort von ihm war: »Jeben ti duschu.«3 Ihn quälte der Gedanke, daß ihm auf der Polizeidirektion sein Gottscheerkorb4verlorengehen könnte.
Der zweite neue Gast war der Wirt Palivec, der seinen Bekannten Schwejk, als er ihn bemerkte, weckte und mit einer Stimme voller Tragik rief: »Ich bin auch schon hier!«
Schwejk schüttelte ihm herzlich die Hand und sagte: »Da bin ich wirklich froh. Ich hab gewußt, daß jener Herr Wort halten wird, wie er Ihnen gesagt hat, daß man Sie abholen wird. So eine Pünktlichkeit is eine schöne Sache.«
Herr Palivec bemerkte jedoch, daß so eine Pünktlichkeit einen Dreck wert sei, und fragte Schwejk leise, ob die andern eingesperrten Herren nicht Diebe seien, weil ihm das als Gewerbetreibendem schaden könne.
Schwejk erklärte ihm, daß alle, bis auf einen, der wegen versuchten Raubmordes an einem Bauer aus Holitz hier sei, zu ihrer Gesellschaft wegen des Erzherzogs gehören.
Herr Palivec war beleidigt und sagte, daß er nicht wegen irgendeines dummen Erzherzogs hier sei, sondern wegen Seiner Majestät des Kaisers. Und weil dies die andern zu interessieren begann, erzählte er ihnen, wie die Fliegen ihm Seine Majestät den Kaiser verunreinigt hatten.
»Sie ham mir ihn verschweint, die Biester«, schloß er die Schilderung seines Abenteuers, »und zum Schluß ham sie mich ins Kriminal gebracht. Ich wer das diesen Fliegen nicht verzeihn«, fügte er drohend hinzu.
Schwejk legte sich abermals schlafen, aber er schlief nicht lange, denn man holte ihn ab, um ihn zum Verhör zu führen.
Und so trug Schwejk, während er über die Treppe in die 3. Abteilung zum Verhör schritt, sein Kreuz auf den Gipfel Golgathas, ohne etwas von seinem Martyrium zu merken.
Als er die Aufschrift erblickte, daß das Spucken auf den Gängen verboten sei, bat er den Polizisten, ihm zu erlauben, in den Spucknapf zu spucken, und strahlend in seiner Einfalt betrat er die Kanzlei mit den Worten: »Winsch einen guten Abend, meine Herren, allen miteinand.«
Statt einer Antwort puffte ihn jemand in die Rippen und stellte ihn vor den Tisch, hinter dem ein Herr mit einem kühlen Beamtengesicht von so tierischer Grausamkeit saß, als wäre er gerade aus Lombrosos Buch »Verbrechertypen« herausgefallen.
Er schaute blutdürstig auf Schwejk und sagte: »Machen Sie nicht so ein blödes Gesicht!«
»Ich kann mir nicht helfen«, antwortete Schwejk ernst, »man hat mich beim Militär wegen Blödheit superarbitriert. Ich bin amtlich von der Superarbitrierungskommission für einen Idioten erklärt worn. Ich bin ein behördlicher Idiot.«
Der Herr mit dem Verbrechertypus knirschte mit den Zähnen. »Das, wessen Sie beschuldigt sind und wessen Sie sich schuldig gemacht haben, zeugt davon, daß Sie alle fünf Sinne beisammen haben.«
Und er zählte Schwejk eine ganze Reihe verschiedener Verbrechen auf, angefangen vom Hochverrat und endend mit Majestätsbeleidigung und Beleidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses. Inmitten dieser Gruppe glänzte die Billigung der Ermordung Erzherzog Ferdinands. Davon ging ein Zweig mit neuen Verbrechen aus, unter denen das Verbrechen der Aufwiegelung strahlte, weil sich alles in einem öffentlichen Lokal abgespielt hatte.
»Was sagen Sie dazu?« fragte der Herr mit den Zügen tierischer Grausamkeit siegesbewußt.
»Es is viel«, erwiderte Schwejk unschuldig, »allzuviel is ungesund.«
»Na also, daß Sie das wenigstens einsehen.«
»Ich seh alles ein, Strenge muß sein, ohne Strenge möcht niemand nirgends hinkommen. Das is so wie einmal, wie ich beim Militär gedient hab …«
»Halten Sies Maul!« schrie der Polizeirat Schwejk an, »und sprechen Sie erst, bis ich Sie etwas fragen werde! Verstehn Sie?«
»Wie sollt ich nicht verstehn«, sagte Schwejk, »melde gehorsamst, daß ich versteh und daß ich mich in allem, was Sie sagen, zurechtfinden kann.«
»Mit wem verkehren Sie denn?«
»Mit meiner Bedienerin, Euer Gnaden.«
»Und in den hiesigen politischen Kreisen haben Sie keine Bekannten?«
»Das schon, Euer Gnaden, ich pfleg mir das Mittagsblatt der ›Národni Politika‹, die Tschubitschka5, zu kaufen.«
»Hinaus!« brüllte der Herr mit dem tierischen Aussehen Schwejk an.
Als man Schwejk aus der Kanzlei führte, sagte er: »Gute Nacht, Euer Gnaden.«