Die Geheimnisse von Paris. Эжен Сю

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Die Geheimnisse von Paris - Эжен Сю Große verfilmte Geschichten

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die er im Kampf mit dem Banditen an den Tag gelegt hatte. Sein Gesicht war regelmäßig und schön, für einen Mann vielleicht zu schön. Sein Teint von zartem Weiß, seine halbgeschlossenen Augen, seine ungezwungene Haltung, sein sarkastisches Lächeln ließ einen blasierten Menschen vermuten, dessen Konstitution durch übermäßigen Lebensgenuß wenn auch nicht zerrüttet, so doch geschwächt ist. Und doch hatte Rudolf mit seiner schmächtigen, zierlichen Hand einen der verwegensten und stärksten Banditen von Paris bezwungen. Sein Blick verriet hin und wieder einen Hang zur Melancholie, und sein Gesicht rührendes Mitleid. Wenn aber sein Blick, was fast häufiger der Fall war, einen harten, boshaften Ausdruck annahm, dann machte auch der mitleidige Zug einem grausamen Platz, der jede gefühlvolle Regung auszuschalten schien.

      In dem Kampfe mit dem Banditen hatte Rudolf keine Spur von, Zorn oder Haß gegen den ihm nicht gewachsenen Gegner gezeigt, sondern war ihm im Vertrauen auf seine Kraft, Gewandtheit und Gelenkigkeit nur mit Verachtung entgegengetreten. Im übrigen bekam Rudolf durch sein Benehmen und seine Gewandtheit, mit der er die Gaunersprache redete, eine vollständige Aehnlichkeit mit den Gästen der Wirtin. Um den schlanken Hals hatte er ein schwarzes Tuch geschlungen, dessen Enden auf den Kragen seiner verblichenen Bluse fielen. Die plumpen Schuhe, in denen seine Füße steckten, waren mit einer doppelten Reihe von Nägeln beschlagen, und außer seinen schönen Händen unterschied ihn kaum ein einziger Zug von den in der Kaschemme sitzenden Gästen.

      Beim Eintritt legte der Bandit Rudolf eine seiner großen Hände auf die Achsel und sagte: »Es lebe der Mann, der den Schuri bezwungen! Jawohl, Kameraden, bezwungen! Und selbst Meister Bakel wird seinen Meister in ihm finden. Dafür stehe ich ein.«

      Bei diesen Worten richteten sich aller Blicke, von der Wirtin bis zu dem geringsten Gaste hinunter, auf Rudolf, und zwar mit einem deutlich sichtbaren Zeichen von Angst und Sorge. Ein paar zogen Gläser und Krüge an den Tischrand zurück, um Rudolf Platz zu machen; andere traten zu dem Banditen, um sich mit leiser Stimme über den Unbekannten zu unterrichten, der sich auf so gloriose Weise in ihren Kreisen eingeführt hatte. Die Wirtin hatte den neuen Gast inzwischen mit ihrem holdseligsten Lächeln bewillkommt. Was noch nie im »Weißen Kaninchen« passiert war, sie war aufgestanden und hatte sich bei Rudolf erkundigt, womit sie ihm dienen könne. Einer der beiden Männer polizeiwidrigen Aussehens, von dem wir bereits sagten, daß er die linke Hand versteckt hielt, fragte die Wirtin, die für Rudolf den Tisch abwischte: »Ist Bakel noch nicht dagewesen?« – »Nein,« versetzte die Wirtin, »aber gestern ist er mit seiner neuen Gesponsin dagewesen.« – »Wer ist das?« – »Hältst du mich etwa für einen Spitzel? Soll ich gar meine Kunden verpetzen?« erwiderte die Wirtin rauh und ablehnend. – »Ich werde heute abend,« sagte der Räuber, »mit ihm zusammenkommen. Wir haben Geschäfte miteinander.« – – »Wird was Schönes sein, du Sündensohn!« – »Oho! Wovon lebt Ihr denn als von uns Sündensöhnen?«

      Marienblümchen hatte dem jungen Menschen mit dem bleichen Gesicht, als sie in die Kaschemme trat, mit freundlichem Lachen zugenickt. Schuri sagte zu ihm.: »He, Barbillon, noch immer Schnaps?« – »Lieber hungern, als keinen Schnabus, und lieber in Holzschuhen laufen als ohne Tabak in der Pfeife,« versetzte der andere mit hohler Stimme, ohne sich vom Platze zu rühren, und gewaltige Rauchwolken von sich blasend.

      »Guten Abend, Mutter Ponisse,« sagte die Schalldirne. – »Guten Abend, mein Blümchen,« erwiderte die Wirtin, die Kleidungsstücke musternd, die das Mädchen von ihr geliehen hatte. – »Dir was auf den Leib zu ziehen,« sagte sie, »macht einem Freude, bist du doch reinlich und sauber wie ein Kätzchen. Hab dich ja auch erst zur Dirne aufgezogen, seit du aus dem Kasten kamst. Aber man muß es dir lassen, ein besseres Mädel als dich gibts in unserm ganzen Paris nicht.«

      Das Mädchen schien auf diese Worte der alten Zuchthäuslerin nicht sonderlich stolz zu sein, denn sie ließ den Kopf tief auf die Brust sinken.

      Während nun die drei bei ihrer Mahlzeit saßen, trat eine neue Person herein: ein Mann von mittlerem Alter, gewandt und kräftig, in Jacke und Mütze, der an das Leben in Kaschemmen gewöhnt zu sein schien, verlangte er doch in der Gaunersprache, die hier nur üblich war, sein Abendessen. Obgleich er kein Stammgast war, fand er bald keine Obacht mehr, denn Banditen erkennen ihresgleichen ebenso scharf wie ehrliche Leute und wissen vielleicht genauer noch als diese, was sie von jedem einzelnen der ihrigen zu halten haben. Er hatte sich so gesetzt, daß er die beiden Männer von polizeiwidrigem Aussehen, von denen der eine nach Bakel gefragt hatte, scharf ins Auge fassen konnte, ohne daß einer von ihnen es gewahr werden konnte. Bald war die auf einen Moment unterbrochene Unterhaltung wieder im Gange. Schuri zeigte trotz seiner Verwegenheit eine gewisse Unterwürfigkeit gegen Rudolf und getraute sich nicht mehr, ihn zu duzen. So wenig Respekt er vor Recht und Gesetz hatte, so viel Respekt hatte er vor Leibeskraft.

      »Ein Wort, ein Mann,« sagte er zu Rudolf, »erzählen wir uns, wer wir sind, damit wir bekannt zusammen werden.« – »Mach du den Anfang,« versetzte Rudolf. – »Albino von Farbe, entlassener Bagnosträfling, Holzflösser am Kai, im Winter vor Kälte halbtot, im Sommer vor Hitze gedörrt, so ist mein Charakter,« sagte der Bandit; »wer aber sind Sie? Ich sehe Sie zum ersten Male in unserem Alt-Paris.« – »Ich bin Fächermaler und heiße Rudolf.« – »So? Fächermaler? Nun, deshalb haben Sie so weiße Hände! Scheint auch zu dem Geschäft ein gutes Teil von Leibeskraft zu gehören, vorausgesetzt daß Ihre Kameraden ebenso sind wie Sie! Warum kommen Sie aber in eine Kaschemme, wenn Sie Arbeiter sind, und zweifelsohne ehrlicher Arbeiter? Hier gibt es doch bloß Kerle aus dem Bagno, die sich anderwärts im Lande nicht sehen lassen dürfen.« – Ich komme her, weil mir an guter Gesellschaft gelegen ist.« – »Hm,« sagte der Bandit, zweifelsvoll den Kopf schüttelnd, »Sie scheinen mir nicht zu trauen und haben wohl auch nicht so unrecht. Indessen erzähle ich gern, wenns Ihnen recht ist, meine ganze Geschichte. Aber eine Bedingung stelle ich dabei: daß Sie mich über die Stöße unterrichten, mit denen Sie mich traktiert haben.« – »Warum nicht? Wenn Ihr weiter nichts wollt? Erzählt also, und dann mag mir das Mädchen sagen, wie es mit ihr steht.« – »Hab nichts dawider,« versetzte das Mädchen. – »Aber Sie bleiben uns dann Ihre Geschichte nicht schuldig?« fragte der Bandit. –»Nein. Kann ja gleich den Anfang machen,« sagte Rudolf.

      »Fächermaler,« sagte das Mädchen, »ein hübsches Geschäft!« – »Wieviel bringts denn ein für den Tag?« fragte Schüri. – Hier bis fünf Franks, doch nur im Sommer, weil da die Tage lang sind. Es gibt nämlich bloß Stücklohn.« – »Sie machen Wohl oft blauen Montag?« – »Ja, so lange mein Geld reicht. Sechs Sous brauche ich für Nachtquartier, vier für Tabak: macht zehn Sous; dann vier Sous für Frühstück und fünfzehn für Mittagbrot, ein paar noch für Schnaps, macht also auf den Tag etwa dreißig Sous. Wer braucht da die ganze Woche zu arbeiten? Da ists doch gescheiter, man läßt sichs die übrige Zeit Wohl sein!« – »Und Ihre Angehörigen?« fragte das Mädchen. – »Die hat die Cholera morbus weggerafft,« versetzte Rudolf. – »Was waren denn Ihre Eltern?« fragte sie weiter. – »Lumpensammler, hatten unter der Halle ihren Stand. Der Vormund verkaufte alles, was da war, und gab mir dreißig Francs als Erlös.« – »Und wer ist Ihr Brotherr?« – »Borel in der Rue des Bourdonnais. Ein Protz und ein Filz, der jeden Arbeiter bis aufs Blut quetscht. Seit meinem fünfzehnten Jahre bin ich bei ihm in der Lehre gewesen. Wohne jetzt in der Rue de la Juiverie, im vierten Stock und heiße Rudolf Durand. Da habt Ihr meine Geschichte,« – »Nun mag die Schalldirne erzählen,« sagte Schuri; »ich warte mit meinem Histörchen bis zuletzt.«

      Drittes Kapitel. Was die Sängerin zu erzählen hatte

      »Wir fangen von vorne an,« sagte der Schuri: »wer sind deine Eltern?« – »Die hab ich nicht gekannt,« sagte das Mädchen. – »Schnurrig, Mädel. Da sind wir von gleicher Familie!« – »Du bist auch Waise, Schuri?« – »Jawohl, von der Straße, wie du, mein Kind.« – »Und wer hat dich erzogen?« fragte Rudolf. – »Weiß ich nicht. Kann nicht weiter zurückdenken, als bis zu meinem siebenten oder achten Jahre. Da bin ich bei

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