Der Bergpfarrer Paket 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
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Michaela hatte die letzten Messer und Gabeln abgetrocknet. Sie hängte das Geschirrtuch an den Küchenherd und band ihre Arbeitsschürze ab.
»Ich kümmere mich jetzt um die Abendmilch«, sagte sie.
Maria nickte und sah ihr mit stolzem Blick hinterher.
Markus war ein Glückspilz, daß er solch eine Frau bekam, dachte sie.
*
In seiner alten Kate, am Rande von St. Johann, empfing der Brandhuber-Loisl Maria Erbling.
Die Frau war die Witwe des Postbeamten Johannes Erbling und die gefürchteste Klatschtante des ganzen Dorfes. Wenn man sicher sein wollte, daß sich etwas schnell herumsprach, brauchte man es nur Maria unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen, und konnte sicher sein, daß spätestens am nächsten Tag ganz St. Johann Bescheid wußte.
»Ich brauch’ wieder ›mal‹ was von der Rheumasalbe«, sagte die Witwe, während sie sich in der halbdunklen Hütte umsah.
So oft sie schon hiergewesen war – nie hatte es anders ausgesehen als heute auch. Ein großer, schummriger Raum, ein Tisch, zwei Stühle und etliche Holzregale mit Töpfen, Flaschen und Tiegeln, in denen sich die obskuren Heilmittel, Pasten, Salben und Kräutertees befanden, die der alte ›Wunderheiler‹ nach Rezepten herstellte, die aus einem uralten Buch stammten, das der Brandhuber wie sein Augenlicht hütete.
Der Dorfarzt von St. Johann, Dr. Toni Wiesinger, kämpfte vergeblich gegen die Dummheit der Leute an, die lieber diesem Scharlatan, wie der Arzt den Brandhuber-Loisl nannte, ihr Geld in den Rachen warfen, als zu ihrem Doktor zu gehen. Dabei war Toni der Letzte, der eine sanfte Medizin auf Naturheilbasis ablehnte. Im Gegenteil, wo immer es ging setzte er chemisch hergestellte Medikamente ab und verabreichte homöopathische Mittel. Die Erfolge, die er damit erzielte, gaben ihm recht. Leider sprachen sich diese Erfolge nicht immer bei seinen Patienten herum. Zwar hatte der junge Arzt in Pfarrer Trenker einen Mitstreiter, der oft genug von der Kanzel herab gegen den Brandhuber und dessen Wunderkuren predigte, doch immer wieder fanden sich welche, die dem Alten mehr vertrauten als dem studierten Fachmann.
Loisl schlurfte in den hinteren Teil der Hütte und kam nach einer Weile mit einer Dose zurück, die er der Witwe Erbling in die Hand drückte.
»Macht vierzig Mark«, sagte er dabei.
Die Frau sah ihn erstaunt an.
»Vierzig?« fragte sie ungläubig. »Das letzt Mal hab’ ich noch dreißig bezahlt.«
»Was soll ich machen?« zuckte der Alte die Schulter. »Es wird eben alles teurer, und für dich ist’s ja schon ein Sonderpreis.«
Maria kramte in ihrer Handtasche nach der Geldbörse.
Schließlich fand sie sie und nahm die Scheine heraus. Alois Brandhuber steckte das Geld achtlos in die Hosentasche, dann deutete er mit dem Kinn auf einen der Stühle.
»Setz’ dich. Ich hab’ da was zu bereden mit dir.«
Die Frau setzte sich nur widerwillig. Es behagte ihr überhaupt nicht, sich auf diesen schmuddeligen Stuhl zu setzen, und am liebsten wäre sie gleich wieder gegangen. Es hatte sowieso schon genug Mühe gekostet, aufzupassen, daß sie niemand sah, als sie auf dem Weg hierher war. Allerdings wollte sie es sich auch nicht mit dem Brandhuber verderben. Seine Rheumasalbe half ihr wirklich. Darauf konnte und wollte sie nicht verzichten.
»Was gibt’s denn?« fragte sie. »Ich hab’ gar keine Zeit, net.«
Was sie dann allerdings zu hören bekam, ließ Maria Erbling schnell vergessen, daß sie es eben noch eilig gehabt hatte.
Alois Brandhuber berichtete mit schnellen Worten von seinen Beobachtungen im Wald.
»Kannst’ dir darauf einen Reim machen?« wollte er abschließend wissen.
Die Witwe stand auf. Sie machte ein nachdenkliches Gesicht.
»Noch net«, antwortete sie. »Aber, ich find’s heraus. Die Theresa ist doch die Patin von der Katja Hardlacher. Vielleicht weiß sie ja etwas, und wenn net, dann muß sie ihr Patenkind fragen. Wenn jemand etwas weiß, dann sie. Schließlich ist die Katja die Sekretärin vom Bürgermeister.«
Sie verabschiedete sich eilig und machte sich auf den Weg, ihrer Freundin einen Besuch abzustatten.
Theresa Keunhofer wohnte in einer kleinen Gasse, gleich neben dem Hotel zum Löwen.
Sie war Mitte fünfzig und immer noch unverheiratet, obwohl sie die Hoffnung nicht aufgab, eines Tages den Mann fürs Leben zu finden. Allerdings standen ihre Chancen nicht besonders gut. Auch wenn sie keine Gelegenheit ausließ, sei es auf der Kirmes oder dem Tanzabend im Löwen, sich umzuschauen – so recht anbeißen wollte niemand…
Dafür tröstete sie sich damit, zusammen mit Maria Erbling den neuesten Tratsch und Klatsch zu verbreiten. Wenn also jemand in Erfahrung bringen konnte, was da beim alten Jagdschloß Hubertusbrunn vor sich ging, dann eben Theresa Keunhofer.
*
Sebastian Trenker saß im Pfarrbüro und arbeitete etliches auf, das in den letzten Tagen liegen geblieben war. Besonders die Eintragungen ins Kirchenbuch mußten gemacht werden. Taufen, Hochzeiten, aber auch Beerdigungen wurden darin dokumentiert und für die Nachwelt festgehalten.
Der Geistliche lehnte sich einen Moment in seinem Sessel zurück. Dabei fiel sein Blick auf ein Ölbild, das seit kurzem an der Wand gegenüber hing. Es zeigte das herrliche Panorama der beiden Gipfel, Himmelsspitz und Wintermaid, die der bekannte Kunstmaler Robert Demant auf Leinwand festgehalten hatte. Das Bild war ein Geschenk des Malers an den Seelsorger von St. Johann.
Ach, wie wäre es herrlich, wieder einmal so richtig in den Bergen herumzusteigen und zu klettern, dachte Sebastian.
Er war ein leidenschaftlicher Wanderer und Kletterer – sein Spitzname ›Bergpfarrer‹, kam nicht von ungefähr. Wenn er droben unterwegs war, blühte er so richtig auf, und wenn ihm jemand begegnete, der ihn nicht kannte, würde er ihn unmöglich für einen Geistlichen gehalten haben. Denn Sebastian Trenker schaute überhaupt nicht so aus, wie es der landläufigen Vorstellung der Leute von einem Pfarrer entsprach. Im Gegenteil – da hätte man ihn schon eher für einen Sportler oder Filmstar halten können, und nicht selten taten dies die Menschen auch.
Ja, es wäre schön – aber ein paar Tage würde er sich wohl noch gedulden müssen. Erst kam die Arbeit, und dann das Vergnügen. Neben seinen seelsorgerischen Besuchen in verschiedenen Altenheimen und Waisenhäusern, kam als eine weitere Verpflichtung sein Engagement in der Jugendarbeit hinzu. Nicht nur, daß Sebastian junge Menschen unterrichtete, er unternahm mit ihnen auch Ferienfahrten, oder betreute sie während besonderer Veranstaltungen. Nicht immer hatten Jugendliche das Glück, einen Mann an ihrer Seite zu wissen, der sich so für ihre Belange einsetzte, wie es Pfarrer Trenker tat. Schon lange kämpfte Sebastian für ein Jugendzentrum, das er gerne in St. Johann oder in der Nähe einrichten würde. Doch leider fehlten nicht nur die finanziellen Mittel – es stand auch gar kein geeignetes Objekt für solch ein Zentrum zur Verfügung. Ideen hatte der Geistliche genug, schon ein altes Bauernhaus konnte ausreichend sein, wenn es wieder hergerichtet wurde.
Aber woher nehmen…?
Sebastian