Sophienlust 310 – Familienroman. Bettina Clausen
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Drei Wochen Urlaub! Drei Wochen, auf die sich Eric Peters schon seit Monaten gefreut hatte. Endlich war es so weit. In einer Stunde würde er das Schiff verlassen, auf dem er als Erster Offizier arbeitete. Es war ein deutsches Passagierschiff, das diesmal ohne ihn auslaufen würde.
Eric Peters war mit seinen Gedanken schon in Frankfurt bei seiner Frau und seiner Tochter. Eine knappe Stunde später ging er von Bord. Ein Taxi brachte ihn zum Hamburger Hauptbahnhof, wo er im letzten Moment den Intercity-Zug nach Frankfurt erreichte. Von dem Augenblick an dachte er nur noch an seine Tochter und seine Frau, aber eigentlich mehr an seine Tochter. Doris wurde in diesem Sommer vier Jahre alt.
Eric zog ein Foto aus seiner Brieftasche. Doris mit einer Puppe im Arm auf seinem Schoß. Süß sah sie aus in ihrer roten Latzhose, mit dem kurz geschnittenen Haar und dem ernsten Gesicht. Senta hatte das Bild aufgenommen.
Bei dem Gedanken an seine Frau überschattete sich Erics Gesicht. Ich bin neugierig, worüber sie sich diesmal beschweren wird, dachte er. Er wusste, Senta war nie zufrieden. Vor fünf Jahren, kurz nach der Hochzeit, war er ihr zu arm gewesen. Jetzt verdiente er genug, um ihre kostspieligen Wünsche zu erfüllen, hatte aber zu wenig Zeit für sie. Über irgendetwas beschwerte sich Senta immer.
Eric seufzte. Dann nahm er seinen Koffer und seinen Mantel und ging zur Tür. Der Intercity näherte sich Frankfurt.
Seine Wohnung lag in einer ruhigen Gegend, am Rande der Großstadt in einem Zweifamilienhaus. Verwundert schaute Eric an der Fassade empor. Sämtliche Fenster waren dunkel. Dabei wusste Senta doch, dass er an diesem Tag kam. Er hatte es ihr geschrieben.
Eric stellte seinen Koffer vor der Haustür ab und suchte nach dem Schlüssel.
Dabei drückte er auf den Klingelknopf. Nichts. Noch einmal. Wieder nichts. Offensichtlich war tatsächlich niemand zu Hause. Und das um neun Uhr abends.
Eric fand seinen Schlüssel und sperrte die Haustür auf. Einen Lift gab es nicht. Das Haus hatte nur zwei Stockwerke. Eric stieg die Treppe empor und schloss im zweiten Stock seine Wohnungstür auf. Dann rief er nach Doris. Das tat er immer, wenn er nach Hause kam. Aber diesmal kam die Kleine ihm nicht entgegengelaufen und warf sich nicht in seine Arme. Dabei hatte er sich gerade darauf am meisten gefreut.
Eric schluckte enttäuscht und knipste das Flurlicht an. Danach stellte er seinen Koffer ab und ging ins Wohnzimmer. Es war aufgeräumt und leer. Das Schlafzimmer ebenfalls.
Auf dem Tisch in der Küche fand Eric einen Brief. Er zögerte, ihn aufzureißen. Eine seltsame Ahnung streifte ihn.
Eric holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank.
Nach einem kräftigen Schluck öffnete er Sentas Brief. Er setzte sich und begann zu lesen. Dass er blass wurde, merkte er nicht. Dass seine Finger zu zittern begannen, sah er auch nicht. Er sah nur die Buchstaben, die vor seinen Augen hin und her tanzten. Senta schrieb, dass sie ihn verlassen habe. Für immer.
Ich gehe nach Südamerika, schrieb sie. Mit einem Mann, der mir alles das bieten kann, was ich von Dir nicht bekommen habe.
Erics Hände zitterten wie im Fieber. Er dachte nur noch an Doris. Wenn sie das Kind mitgenommen hatte …
Doris liegt im Krankenhaus, schrieb Senta weiter.
Eric ließ den Bogen aufatmend sinken. Doris war in Frankfurt. Er hatte sein Kind also nicht verloren. Aber warum war sie im Krankenhaus?
Eric griff wieder nach dem Brief und las weiter. Mumps hatte die Kleine und lag im Städtischen Krankenhaus.
Eric sprang auf und begann im Wohnzimmer hin und her zu laufen. Dann nahm er Sentas Brief und las ihn noch einmal. Es stand noch immer dasselbe darin. Er hatte nicht geträumt. Von Südamerika aus wolle sie die Scheidung einreichen, schrieb Senta.
Soll sie, dachte Eric wütend und schleuderte den Brief weg. Dann schenkte er sich einen Weinbrand ein.
Während er trank, dachte er über die vergangenen Jahre nach. Weil sie verliebt gewesen waren, hatten sie geheiratet. Und vom ersten Tag an hatten sie gestritten. Nein, eine gute Ehe war es nicht gewesen.
Trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, Senta zu verlassen, dachte Eric. Oder sie zu betrügen. Und sie geht mit einem anderen Mann auf und davon, lässt ihr Kind einfach im Stich. Aber eine gute Mutter war sie nie. Und sie wäre es auch nicht geworden, dachte er. Also ist es vielleicht besser so.
Eric stand auf. Im Telefonbuch fand er die Nummer des Städtischen Krankenhauses. Obwohl es schon spät war, rief er noch an.
Am nächsten Tag sei eigentlich keine Besuchszeit, sagte die Nachtschwester an der Pforte. »Aber wenn Sie Ihre Tochter so lange nicht gesehen haben, machen wir natürlich eine Ausnahme. Außerdem würde ich Ihnen raten, mit der Ärztin zu sprechen, die Ihre Tochter behandelt.«
»Das werde ich morgen Nachmittag tun. Vielen Dank für den Rat, Schwester.«
Eric legte auf. Dann holte er Sentas Bild von der Wohnzimmerkommode. Er nahm die Fotografie aus dem Rahmen und warf sie weg.
»Ich werde dir die Mutti ersetzen«, sagte er zu dem Bild von Doris. »Dass sie nicht mehr da ist, wirst du gar nicht merken.« Liebevoll betrachtete er die Aufnahme. Es war die gleiche, die er in seiner Brieftasche trug.
Zwei Monate hatte er Doris nicht mehr gesehen. Bestimmt war sie inzwischen wieder ein Stück gewachsen.
*
Am Nachmittag des nächsten Tages saß Eric im Krankenhaus der Kinderärztin Dr. Schöne gegenüber.
»Doris geht es schon wieder besser«, sagte die Ärztin. »In acht Tagen können wir sie entlassen.«
»Gott sei Dank.« Eric atmete auf. »Ich habe nur drei Wochen Urlaub. Die möchte ich natürlich mit Doris verbringen.«
»Ich verstehe. Nur frage ich mich, was Sie hinterher machen werden.« Eric hatte der sympathischen Ärztin von seiner gescheiterten Ehe erzählt.
»Über dieses Problem denke ich seit heute früh ununterbrochen nach«, gab Eric zu. »Wenn ich einen normalen Beruf hätte, würde ich überhaupt nicht zögern, Doris bei mir zu behalten.«
»Selbst dann wäre es schwierig«, sagte Frau Dr. Schöne. »Bei Ihrem Beruf aber ist es unmöglich, Herr Peters. Haben Sie keine Verwandten, die …?«
»Nein.« Eric schüttelte den Kopf. »Überhaupt keine, leider.«
»Dann bleibt eigentlich nur noch eine Lösung, Herr Peters. Sie müssen Ihre Tochter in ein Heim geben.«
»Nein! Nein, das möchte ich nicht. Ein Heim ist doch …, ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll.«
»Ich weiß, was Sie meinen, Herr Peters. Nur glaube ich, dass Sie gar keine andere Wahl haben. Außerdem ist Heim nicht gleich Heim. Ich kenne da zum Beispiel eins, das ein wahres Paradies für Kinder ist.«
»Trotzdem«, sagte Eric. »Der Gedanke, Doris in ein Heim zu geben, erschreckt mich. Vielleicht finde ich noch eine andere Lösung. Ich habe ja jetzt drei Wochen Zeit, mich darum zu kümmern.«
Für Frau Dr. Schöne war das Gespräch beendet. Sie stand auf.
»Dann bringe ich Sie jetzt zu Ihrer Tochter.«
Die