Sophienlust 310 – Familienroman. Bettina Clausen
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»Kann ich noch einen Becher Marmelade kriegen?«, platzte Heidi heraus.
Die Schwester unterdrückte ein Schmunzeln. »Selbstverständlich!« Sie ging hinaus und kam mit einem Portionsbecher Himbeermarmelade zurück. »Möchtest du auch noch ein Brötchen?«
»Nein, nein.« Rasch schüttelte Heidi den Kopf. Dann löffelte sie selig den Marmeladenbecher leer.
»Dass du die so gerne isst.« Verwundert schüttelte Ingrid den Kopf. »Ich mag viel lieber Honig.«
Doris nickte. »Ich auch.« Sie beobachtete Heidi, die den Becher ausleckte. Dann stellte sie die Frage, die ihr schon seit dem Aufwachen im Kopf herumgeisterte: »Haben dich deine Eltern in das Heim gebracht, Heidi?«
»Nein.« Der Becher war endlich leer. Heidi stellte ihn weg. »Ich habe ja keine mehr.«
»Gar niemanden mehr?«
»Nein«, sagte Heidi. Es klang weder traurig noch unglücklich.
»Macht dir das nichts aus?«, wollte Ingrid wissen. Dabei hatte sie schon fast ein schlechtes Gewissen wegen der Frage.
Doch Heidi schaute sie nur mit großen Augen an. »Wieso, ich habe doch Tante Ma und Schwester Regine. Und außerdem noch Tante Isi und die Kinder.«
»Habt ihr auch Spielsachen?«, fragte Doris.
»Ein ganzes Zimmer voll.«
»Wirklich?«, staunte Doris. »Und ihr dürft alle damit spielen?«
»Freilich.« Heidi geriet ins Schwärmen. Sie erzählte von der elektrischen Eisenbahn, die ein ganzes Zimmer ausfüllte. Von den Tieren. »Ich reite immer auf einem Pony, die Älteren, wie Nick, reiten auf den Pferden.«
»Und wem gehören die Tiere?«, wollte Doris wissen. Sie hatte Pferde nur im Fernsehen oder im Zoo gesehen.
»Also, eigentlich gehören sie Nick«, sagte Heidi. »Aber Nick sagt immer, dass sie uns allen gehören.«
Doris behielt vor Staunen den Mund offen. »Euch allen?«
»Klar. Genau wie die Spielsachen. Nur Schneeweißchen und Rosenrot, die Kaninchen, gehören mir. Aber ich lasse alle damit spielen.«
»Und die anderen Kinder?«, fragte Doris, »haben sie auch alle keine Eltern mehr?«
»Nein. Deswegen sind sie ja bei uns in Sophienlust.«
»Und keiner ist traurig?«
»Nein, in Sophienlust ist niemand traurig. Dazu ist es doch dort viel zu schön.« Heidi erzählte weiter, und die drei Mädchen hörten ihr andächtig zu.
Als Heidi von dem Tierheim erzählte, rief Ingrid: »Jetzt flunkerst du aber! So etwas gibt es doch gar nicht.«
»Ich flunkere nicht.« Heidi zog ihren Fuß unter die Bettdecke. »Frag doch Nick und die anderen, wenn sie kommen. Tante Andrea ist Nicks Stiefschwester, und ihr gehört das Tierheim.«
»Und sie hat so viele Tiere?«, fragte Doris. »Was machen die alle?«
Heidi überlegte: »Herumlaufen und fressen und spielen, in der Nacht schlafen sie.«
Doris versuchte sich das vorzustellen. »Und ihr könnt die Tiere besuchen, sooft ihr wollt?«
Heidi nickte.
»Und sie füttern? Genau wie im Zoo?«
»Sie lassen sich sogar streicheln, weil sie nämlich ganz zahm sind und lieb.«
»Alle?«
»Alle«, bestätigte Heidi.
Doris schob ihren Daumen in den Mund. Das tat sie immer, wenn sie angestrengt nachdachte. Sie wollte den Vater bitten, mit ihr nach Sophienlust zu fahren. Vielleicht durfte sie sogar dort bleiben, wenn der Vati wieder wegfuhr.
*
»Vati«, fragte Doris vier Stunden später, »musst du wieder auf dein Schiff?«
»Ja, aber das ist doch erst in drei Wochen. Bis dahin haben wir noch viel Zeit.«
Doris begann am Daumen zu lutschen.
»Worüber denkst du nach, Kleines?« Eric strich seinem Töchterchen über das kurz geschnittene rötlich braune Haar.
Doris nahm den Daumen aus dem Mund. »Überlegt habe ich, wo ich dann bleiben soll.«
Eric wurde ernst. »Das überlege ich schon die ganze Zeit.«
Da außer Eric kein Besuch im Zimmer war, hatten die anderen drei Mädchen das Gespräch mit angehört. »Warum bringen Sie Doris nicht zu uns?«, fragte Heidi.
»In das Heim?«, fragte Eric.
Heidi nickte. »Doris würde gern nach Sophienlust kommen. Nicht wahr, Doris?«
»Ja«, rief Doris spontan.
Ihr Vater konnte sich nicht genug wundern. »Du willst freiwillig in ein Heim gehen, Doris?«
»Sie brauchen gar nicht so zu tun«, nuschelte Heidi beleidigt. »In Sophienlust ist es schön. Dorthin kommen alle gern.«
»Sophienlust«, überlegte Eric laut. »Ein seltsamer Name. Hat es eine bestimmte Bewandtnis damit?«
»Was?« Verständnislos schaute Heidi ihn an.
Eric drückte sich verständlicher aus. »Woher kommt der Name?«
»Das weiß ich doch nicht«, sagte Heidi. »Da müssen Sie Nick fragen.«
»Aha. Lebt Nick auch in dem Heim?«
Heidi nickte. »Es gehört ihm sogar.«
»Ach so, Nick ist ein Erwachsener.«
»Nein doch«, widersprach Heidi ihm. Dass Väter aber auch gar nichts verstanden! »Nick ist mein Freund.«
Damit konnte Eric allerdings genauso wenig anfangen. »Er ist also noch nicht erwachsen?«
»Nein«, mischte sich Ingrid in das Gespräch ein, da sie Nick schon ein paarmal gesehen hatte. »Er ist so ungefähr fünfzehn oder sechzehn. Die anderen Kinder sind alle jünger. Aber nett und lustig sind sie alle.«
»Da kommen sie«, schrie Heidi. Sie sprang auf und stellte sich im Bett auf.
»Wirst du dich wohl sofort hinsetzen«, befahl Schwester Regine, die das Zimmer als Erste betrat.
»Man sieht, dass sie schon wieder gesund ist«, sagte Nick. Ihm folgten Pünktchen, Henrik und Angelika.
Sie begrüßten zuerst Heidi und die anderen Mädchen, dann auch Eric.
»Das ist