Butler Parker 105 – Kriminalroman. Günter Dönges
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Wie lange Kathy besinnungslos war, ließ sich nicht berechnen. Demnach konnte sie auch noch nicht mal schätzen, seit wann sie sich in diesem scheußlichen Wagen befand. Sie ärgerte sich nur, auf diese heimtücki-sche Art hereingelegt worden zu sein. Handelte es sich um ehemalige Gegner, die ihr während der ganzen Heimfahrt auf der Spur gewesen waren? Oder hing dieser Überfall mit dem brennenden Jaguar zusammen?
Bevor Kathy Porter sich in weiteren Spekulationen ergehen konnte, hielt der Wagen jäh an.
Haltlos rollte die junge Frau herum und landete vor der Längsseite des Wagens. Sie hörte das Öffnen und Zuschlägen der beiden Türen, dann Schritte. Wenig später blinzelte Kathy in das grelle Licht einer Taschen-lampe.
„Schreien ist wohl völlig sinnlos, nicht wahr?“ fragte sie.
„Kluges Kind“, sagte eine Männerstimme. „Wer schreit, kriegt eins aufs Maul!“
Sie zerrten Kathy wenig sanft an den Rand der Ladefläche. Starke Arme lifteten sie an und legten sie über eine breite Männerschulter, dann wurde sie über einen mit Steinplatten ausgelegten Weg in ein Haus getra-gen, von dem sie nur die Umrisse erkannte. Der Regen war noch stärker geworden.
Der zweite Mann schloß hinter ihr die Tür, dann landete Kathy Porter mit viel Schwung und wenig Liebe auf einem Sofa, dessen Federn ausgeleiert waren.
Neugierig sah sie die beiden Männer an, die Licht gemacht hatten.
Einer von ihnen – der sie getragen hatte – war groß und breitschultrig. Er wirkte ein wenig beschränkt. Der zweite Mann hingegen behagte Kathy überhaupt nicht. Er war mittelgroß, schlank und litt noch eindeu-tig unter dem Kniestoß, den sie ihm versetzt hatte. Seine Augen rissen ihr die Kleider vom Leib, waren in ununterbrochener Bewegung und gehörten einem Menschen, der mit Sicherheit ein Sadist war.
*
„Ihre Ruhe möchte ich haben, Mr. Parker.“
Lady Agathas Stimme grollte verärgert. Sie hatte sich hinter ihrem Butler aufgebaut und räusperte sich nachdrücklich.
„Mylady?“ Parker wandte sich höflich um und wußte, was ihm blühte. Agatha Simpson hatte sich in der Zwischenzeit umgekleidet und machte einen äußerst unternehmungslustigen Eindruck. Sie trug ein derbes Tweed-Kostüm, flache Wanderschuhe und einen Hut, der an den Südwester eines Segelschiffkapitäns erin-nerte. An ihrem linken Handgelenk baumelte der Pompadour, diesmal allerdings handelte es sich um eine wettersichere Ausführung. Der Pompadour war ein Lederbeutel, der neben Myladys „Glücksbringer“ noch einige andere nützliche Utensilien enthielt.
„Worauf warten Sie noch?“ grollte die Detektivin.
„Mylady haben bestimmte Pläne?“
„Wir werden nach Kathy suchen“, ordnete die walkürenhafte Dame energisch an. „Ich erwarte, daß wir in weniger als drei Minuten losfahren können.“
„Wie Mylady wünschen.“ Widerspruch war sinnlos, das wußte der Butler seit geraumer Zeit. Wenn Lady Agatha sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie auch nicht mehr von einem Kampfpanzer zu bremsen. Parker griff nach seinem schwarzen, knielangen Covercoat, der im Vorflur an der Garderobe hing, setzte die schwarze Melone auf und versorgte sich mit seinem altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm. Nach insgesamt zwei Minuten saß er am Steuer seines hochbeinigen Monstrums, während Mylady im Fond des ehemaligen Londoner Taxis Platz genommen hatte. Sie machte einen äußerst zufriedenen Eindruck, denn endlich gab es für sie etwas zu tun. Vielleicht war sie aber auch nur erleichtert, daß sie nicht mehr vor der Schreibmaschine zu sitzen brauchte.
Die Fahrt durch das dunkle, regenüberflutete London war erstaunlich problemlos, der Verkehr geradezu harmlos. Schon nach einer halben Stunde hatten sie die Ausfallstraße Nr. 30 erreicht.
„Wollen Sie an einem Wettrennen für Schnecken teilnehmen, Mr. Parker“, erkundigte Lady Agatha sich vorwurfsvoll, „oder soll ich das Steuer übernehmen?“
Josuah Parker bekam fast so etwas wie einen elektrischen Schlag, als Mylady diese Ankündigung vom Stapel ließ. Er kannte die einmalige Fahrkunst der unternehmungslustigen Dame. Dennoch war er der An-sicht, auf die schlechte Sicht der Straßenverhältnisse hinweisen zu müssen. Er machte auf die Gefahren des Aquaplaning aufmerksam und deutete an, man könne unter Umständen von der Straße fliegen.
„Ich denke, Sie haben Ihr Pilotenexamen“, war Myladys grollende Antwort. „Verschonen Sie mich mit diesen unwesentlichen Kleinigkeiten, ich bitte mir etwas mehr Tempo aus, Mr. Parker!“
Bruchteile von Sekunden später wurde Lady Agatha sehr nachdrücklich in ihren Sitz zurückgeworfen, denn Parker hatte wunschgemäß Gas gegeben.
*
Pete Malbert war ein Stromer, Trinker und Schnorrer.
Der Mann, etwa 50 Jahre alt und klein, hatte ein gedunsenes Gesicht und eine rote Schnapsnase. Pete schlug sich mehr schlecht als recht durchs Leben, machte lange Finger, wo die Gelegenheit sich bot, hatte schon ein paar Jahre gesessen und war im Grunde harmlos.
In diesen Minuten fühlte er sich prächtig.
Er hatte sich eigentlich schon seit langem gewünscht, wieder mal am Steuer eines Wagens sitzen zu kön-nen. Der letzte Versuch war böse für ihn ausgegangen und hatte ihn ein halbes Jahr Gefängnis gekostet, doch das lag inzwischen schön gut ein Jahr zurück.
Er war bis auf die Haut durchnäßt und dampfte aus allen Poren. Er hatte die Wagenheizung des Mini-Cooper voll aufgedreht, das Radio eingeschaltet und fuhr in Richtung London. Den Mini-Cooper hatte er sich „entliehen“, wie er es ausgedrückt hätte. In der Handtasche, die auf dem Beifahrersitz lag, hatte er 20 Pfund entdeckt und sofort eingesteckt, ganz zu schweigen von den Münzen. Er verfügte über ein Vermö-gen und war bereit, es in London so schnell wie möglich durchzubringen. Er gierte nach Bier und Whisky.
Pete Malbert hatte den Unfall bis ins letzte Detail genau mitbekommen, doch schon halb wieder verges-sen. Daran war eine Flasche Wermut schuld, deren Inhalt durch seine Adern kreiste. Diese Flasche hatte er unter dem Bogen einer schmalen Bachbrücke geleert.
Die 20 Pfund waren wichtiger als der ganze Unfall.
Pete fingerte nach den Scheinen in seiner linken Rocktasche und steuerte den Mini-Cooper über die leere, kurvenreiche Straße. Er gratulierte sich zu seinem Glück, diesen Wagen oben auf der Straße entdeckt zu haben. Die langen Meilen bis nach London waren für ihn keine Strecke mehr. Er hatte sich vorgenommen, den Wagen gleich an der Peripherie der Stadt sehenzulassen. Ärger mit der Polizei wollte er nicht haben. Er kannte sich da aus.
Sein Fahrstil war nicht besonders gut.
Der Wermut hatte die Schärfe seines Blicks leicht gestört, der Alkohol beflügelte ihn, in sanften Schlan-genlinien zu fahren. Dennoch war Pete heiter und vergnügt, bis plötzlich aus einer Kurve die grellen Licht-finger voll aufgedrehter Scheinwerfer hervorstachen.
Pete Malbert reagierte prompt falsch.
Er kurbelte am Steuerrad, als müsse er einen schweren Raddampfer bewegen, kam von der Straße ab und schlitterte auf eine weite Wiese, nicht ohne vorher noch einen soliden Weidezaun in