China am Ziel! Europa am Ende?. Christoph Leitl
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Könnte. Wenn die Nationalstaaten auch mitziehen. Wenn sie europäische Solidarität nicht nur für ihre eigenen nationalen Interessen fordern. Wenn sie ihre Egoismen hintanstellen und den Aufrufen der Europäischen Kommission zur Zusammenarbeit Folge leisten. Diese hat sofort eine Koordinationsstelle eingerichtet, die alle europäischen Maßnahmen mit der nationalen Ebene abstimmen und in Einklang bringen soll. Sie hat die geschlossenen Grenzen für wichtige Güter wieder geöffnet und damit einen Versorgungsinfarkt verhindert. Das ist viel und doch zu wenig. Denn hätte die Europäische Kommission jetzt dieselben Möglichkeiten wie die amerikanische oder die chinesische Regierung und ihre Zentralbanken, könnten wir alle unbesorgter in die Zukunft schauen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Europa leidet an einigen Konstruktionsfehlern, die gerade in einer Zeit der Krise besonders offensichtlich und auch schlagend werden. Diese Konstruktionsfehler zu beseitigen – und einige von ihnen sollen in diesem Buch aufgezeigt werden – sollte bei einigermaßen normalen Verhältnissen umgehend angegangen werden. Damit es nicht ein weiteres Mal vorkommt, dass Europa hilflos in den Seilen hängt, jegliche innere Solidarität vermissen lässt und national abgeschottet auf die Hilfe von anderen angewiesen ist. Wenn Jack Ma, einer der erfolgreichsten chinesischen Geschäftsleute, Gründer von Alibaba und damit auch einer der reichsten Menschen der Welt, zwei Millionen Schutzmasken spendiert, ist das einerseits ein Zeichen humanitärer Anteilnahme, andererseits aber auch ein Symbol politischer Überlegenheit. Solche Beispiele sollten uns die Augen öffnen für das, was sich auf der Welt abspielt!
Europa ist aber nicht nur in der Krise gefordert. Die ganz große Herausforderung steht erst bevor. Die Folgen des Virus verursachen exorbitante Schäden. Schäden, die unsere Wirtschaft massiv beeinträchtigen, die Arbeitslosigkeit exorbitant steigen lassen und die öffentlichen Haushalte gewaltig überdehnen werden. Manchen Ländern der Europäischen Union, wie beispielsweise Italien, droht ein Finanzkollaps. Dies abzuwenden ist nicht nur Sache der Italiener, hier ist europäisches Zusammenwirken und gemeinsames Handeln gefordert, um solche Gefahren abzuwenden und damit insgesamt von Europa und uns allen Schaden fernzuhalten. Europa wird sich von der Krise langsamer als andere erholen. Die Amerikaner haben den Vorteil einer starken Binnenkonjunktur und sind von den weltweiten Warenströmen weniger abhängig. Die Chinesen haben den Vorteil, in einer Radikalität Maßnahmen umsetzen zu können, die bei uns nicht denkbar wären.
Damit jedoch noch nicht genug, denn jedem Desaster folgt ein Wiederaufbau. Aber auch der muss finanziert werden. Klar: Vorerst ist es notwendig, die Lecks am Schiff Europa zu stopfen und den Untergang zu vermeiden. Dann aber müssen wir dieses Schiff wieder flott und seetüchtig machen! Wie bewältigen wir die Umstrukturierungskosten von traditionellen industriellen Bereichen, deren Bedeutung abnehmen wird, hin zu neuen Sektoren mit Wachstumspotential? Und was machen wir mit den riesigen Schuldenbergen, die sich jetzt als Folge der Krise vor uns auftürmen?
Vieles wird sich ändern. Die Digitalisierung wird verstärkt Videokonferenzen, Teleworking und E-Learning ermöglichen. Eine ausreichende digitale Infrastruktur wird imstande sein, die Landflucht nicht nur zu stoppen, sondern Arbeiten und Leben im ländlichen Bereich wieder attraktiver machen. Regionales Denken, Handeln und Kooperieren wird im Vordergrund stehen. Die Zeit des immer mehr, immer schneller und immer egozentrischer wird abgelöst werden durch ein einfacheres, nachhaltigeres und ökologisch orientierteres Denken. Hier verknüpfen sich die Megathemen der Europäischen Union, Gesundheit und Ökologie, und vielleicht war das Virus auch ein wichtiger Anstoß zu einer Bewusstseins- und Verhaltensänderung der Menschen in diese Richtung.
Auch das Wertesystem wird sich ändern: Menschliche Begegnungen, größere Anteilnahme am Geschehen in der nahen Umgebung und mehr Denken in Gemeinsamkeiten könnte die Folge sein.
Auch ihre Industriestrategie wird die Europäische Union einer Revision unterziehen müssen. Zu den Schwächen, die diese Krise deutlich gemacht hat, gehört beispielsweise auch die Abhängigkeit Europas von Medikamenten. Die pharmazeutische Industrie ist zu 80 Prozent in Asien angesiedelt. Gesundheitsvorsorge wird in Zukunft zu den strategisch ganz wichtigen Themen zählen.
Wir erleben derzeit aber auch, welch enorme Auswirkungen Unterbrechungen von globalen Lieferketten haben und wie ganze Industriezweige davon getroffen werden. Europa muss also eine gemeinsame Antwort auf diese Bedrohungen finden.
Das zu tun erfordert die ganze Kraft einer europäischen Gemeinschaft. Nationalstaaten sind dabei heillos überfordert. Sie haben das auch am Beginn dieser Krise wieder einmal in besorgniserregender Art und Weise unter Beweis gestellt.
Nur wenn es Europa gelingt, sein gesamtes Arsenal an wirtschaftlichen Waffen einzusetzen und so wie in der Finanz- und Eurokrise notwendige Maßnahmen rasch zu setzen, nur wenn es gelingt, seinen Binnenmarkt nicht zu unterbinden, sondern zu stärken, kann Europa auch diese Krise überwinden. Europa hat leider immer Krisen gebraucht, um vernünftige Schritte nach vorwärts zu machen. So wäre auch diesmal ein entschlossenes und vor allem solidarisches Handeln angesagt.
Als 68er-Student habe ich in den Chor miteingestimmt: »This world has lost its glory, let´s start a brand new story!« Heute würde ich, wesentlich pragmatischer geworden, sagen: »We can work it out!«.
Wo ein Wille ist, ist ein Weg. Ist kein Wille da, dann hat Corona unseren europäischen Abstieg besiegelt. Wenn doch, dann hat auch Corona als Auslöser eines neuen europäischen Aufstiegs seinen Sinn gehabt. Dann hätte uns die Krise stärker gemacht.
Corona can make or break the Union!
»Besuchen Sie Europa, solange es noch steht!« hat die Band Geier Sturzflug getextet. Ich variiere: »Gestalten wir Europa, solange das noch geht!«.
DER GENERATIONEN-BRUCH
Die Jungen demonstrieren. Das ist ihr gutes Recht. Aber wer nimmt ihre Ideen auf, versucht, darauf einzugehen und gemeinsam mit ihnen Lösungsansätze zu entwickeln?
Beispiel London: Eine Million junger Menschen demonstriert gegen den Brexit, die größte Kundgebung in der Geschichte des Vereinigen Königreiches. Und was passiert? Ein Dialog mit den Jungen? Ein Gespräch darüber, welche Erwartungen sie an die Zukunft haben, für die die heute Regierenden eine ungeheure Verantwortung tragen?
Nichts passiert. Im Gegenteil: Jene Kräfte, die in Großbritannien für den Brexit sind, setzten sich bei den Wahlen durch. Die Älteren stimmten mit überwältigender Mehrheit für die Pro-Brexit-Partei, bei den Jungen ist sie klar in der Minderheit.
So rauben sie den Jungen ihre Hoffnungen!
Und wer redet schon mit den Jungen? Die Eltern sind beschäftigt und als Doppelverdiener oft mehr als ausgelastet. Großfamilien früherer Zeiten sind Ausnahmefälle. Schulen sind überfordert. Arbeitsplätze werden zunehmend computerisiert, automatisiert, anonymisiert. Und die Politik bleibt bei ihrer administrierenden Tagesordnung.
Frühere gesellschaftliche Bindungskräfte wie Kirchen, Gemeinden, Vereine und örtliches Zusammenstehen verlieren an Bedeutung. Die Bereitschaft zum Engagement in ehrenamtlichen Vereinen ist zwar noch vorhanden, aber rückläufig. Das Netzwerk menschlicher Begegnungspunkte wird ausgedünnt.
Nicht einmal unsere Bestattungskultur ist von dieser Entwicklung verschont. Der neueste Trend: Entsorgung des Leichnams anstelle eines würdigen Begräbnisses.
Es gibt einen Generationenbruch. Die neuen Generationen richten sich