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Da können viele Ältere nicht mit. Sie fühlen sich als Modernisierungsverlierer.
Das ist eine weltweite Erscheinung, allerdings ist die Gefahr des Verlustes einer Brücke zwischen den Generationen in Europa besonders spürbar. Durch die demografische Vergreisung Europas bildet sich eine strukturelle Mehrheit der Alten über die Jungen. Die Jungen sind tendenziell optimistischer und kreativer, erhalten zur Umsetzung ihrer Ideen und Lebensvorstellungen aber oft keine Chance. Sie wollen vorwärts blicken durch die Windschutzscheibe des Gefährtes Europa, zu viele Ältere schauen in den Rückspiegel.
Während sich die Älteren nach nationalstaatlicher Heimeligkeit zurücksehnen, wollen Jüngere mehr Weltoffenheit und sind von der Notwendigkeit eines einigen Europas überzeugt.
Andererseits sind gerade den Jüngeren viele der Errungenschaften Europas wie Frieden und Freiheit längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Authentische Berichte aus den fürchterlichsten Zeiten der letzten Weltkriege gibt es nicht mehr. Die Erinnerung an schwere Zeiten verblasst, und neuer Nationalismus droht Europa zur leichten Beute seiner inneren und äußeren Gegner zu machen.
Wer baut Brücken zwischen den Generationen? Wer nimmt ihre Sorgen ernst? Wer bezieht die jungen Leute viel stärker in Entscheidungen ein, die diese ja in den kommenden Jahrzehnten betreffen werden?
Meine Generation hat an die Eltern und Großeltern unangenehme Fragen gestellt: Warum habt ihr euch von Hitler verführen lassen? Warum konntet ihr nicht Frieden halten, sondern habt Abermillionen Tote zugelassen? Warum seid ihr den Schalmeientönen der Rattenfänger, des Populismus und der Demagogie erlegen?
Müssen wir uns nun selbst eines Tages fragen lassen: »Warum habt ihr verabsäumt, den ja durchaus erkannten Problemen auch Lösungen entgegenzusetzen?«?
Was habt ihr getan, um dem hilflosen Zugrundegehen von Flüchtlingen zuzusehen, während ihr vollmundig europäische Werte gepredigt habt? Warum habt ihr über die jungen Menschen gelacht, die ihren Klimasorgen Ausdruck verliehen haben? Mag sein, dass dabei in der Ausdrucksweise der eine oder andere Fehler gemacht worden ist, aber war es deswegen unberechtigt? Und was habt ihr getan nach dem Supergau durch die Pandemie, um Vorsorge für die Zukunft zu treffen? Welche Lektionen habt ihr gelernt? Welche Welt habt ihr uns hinterlassen?
Müssen wir uns das alles eines Tages wirklich fragen lassen? Und welche Antworten geben wir dann?
DER GOVERNANCE-BRUCH
Eine Studie hat kürzlich gezeigt, dass zwei Drittel unserer Welt diktatorisch oder autokratisch regiert werden und nur ein Drittel liberaldemokratisch.
Was hat dazu geführt, dass die scheinbar unaufhaltbare Verbreitung der Demokratie plötzlich ins Stocken geriet? Oder anders gefragt: Was macht die autokratischen Systeme so attraktiv, dass sie plötzlich den Trend der Zeit verkörpern?
Ist es die Unfähigkeit, in den Demokratien die Probleme der Zeit zu lösen? Die Autokraten bieten Lösungen, einfache Lösungen, zumeist verbunden mit Projektionen auf äußere Feinde.
Ist es der Mangel an großen Führungspersönlichkeiten in der Demokratie? Wie erbärmlich ist das Schauspiel der ältesten Demokratie der Welt, Großbritannien, im Zusammenhang mit dem Brexit?
Viele europäische Leader machen ihre Sache gut. Aber haben sie auch Kraft für Visionen, strahlen sie noch inneres Feuer aus, das Begeisterung entfacht? Brauchen wir gute und solide Verwalter oder Motivatoren für Zukunftsbilder der nächsten Generationen?
Populisten sind auf dem Vormarsch, und es scheint ihnen niemand etwas entgegenzusetzen. Verführerisch halten sie uns die süß duftende Giftflasche des Nationalismus entgegen.
Die Wiederkehr des nationalistischen Populismus kommt für viele überraschend. Ein Schlüssel dafür liegt in der Finanz- und Wirtschaftskrise der Jahre 2008/09. Sie brachte nicht nur ökonomische und soziale, sondern auch mentale Erschütterungen und Verwerfungen. Es war eine Vertrauenskrise: Anstelle von Vertrauen entstand Misstrauen, Misstrauen in die Politiker und Parteien, die offensichtlich mit den Veränderungen und den damit verbundenen Herausforderungen nicht fertig wurden. Aber auch Misstrauen in eine internationale Vernetzung, die man zunehmend als Abhängigkeit wahrnahm. Aus dem Wunsch nach globaler Kooperation wurde die Forderung nach nationalem Egoismus.
Die Krise war der Humus für Protestbewegungen, Globalisierungskritiker und Modernisierungsverlierer. Dazu kam das Unbehagen über die eigene verschlechterte Lage wegen der Sparmaßnahmen im Zuge der Budgetsanierungen, die der Finanzkrise folgten. Und was, wenn keine Budgetsanierung, wird nun der Coronakrise folgen? Wir kommen vom Regen in die Traufe!
Praktisch zeitgleich vergrößerte sich bedingt durch internationale Konflikte (wie etwa Syrien, Afghanistan) die Zahl der Asylbewerber und Migranten. Sie mussten nun als Sündenböcke für eigene Ängste herhalten – ein willkommenes Spiel für Populisten! Dazu kam die Furcht vor einer Islamisierung, die eben diese Populisten immer wieder in ihren Parolen weidlich ausnützten. Terroristische Anschläge in vielen Ländern Europas, die ihre Wurzeln in ungelösten internationalen Krisen politischer, sozialer und militärischer Art hatten, waren Wasser auf ihre Mühlen.
Flüchtlingswesen und Terrorismus sowie die damit verbundene Unsicherheit machten plötzlich ein Europa ohne Grenzen vom Segen zur Bedrohung. Man wollte – siehe Brexit – Entscheidungen und Kontrolle auf die nationale Ebene zurückholen.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise brachte es mit sich, dass etwa 20 Millionen Menschen in Europa ihren Job verloren und die Jugendarbeitslosigkeit zum Teil dramatisch anstieg.
Europäische Rettungsaktionen zur Sicherung der Gemeinschaftswährung Euro wurden als bloße Hilfestellung für schwächere Länder gesehen. Warum denen helfen, wo doch auch bei uns viele Menschen materielle Einbußen hinnehmen mussten?
Aber Europa hat nicht rational und souverän reagiert. Die Flüchtlingsfrage durch Zwangsquotenzuteilung lösen zu wollen, widerspricht dem Hausverstand. Integration kann man nicht verordnen, man muss dazu motivieren, Anreize setzen und deutlich machen, dass man Menschen mit Asylberechtigung nicht sich selbst überlässt, da man damit oft negative Folgen für die Gesellschaft auslöst. Eine Einbeziehung in die Arbeitswelt ist die wohl beste Möglichkeit dazu: den Betrieben eine Integrationsprämie aus den Überschüssen des Europäischen Sozialfonds zu bezahlen, sie dafür Integrationsarbeit leisten zu lassen und den betroffenen Menschen statt Arbeitslosigkeit samt Transferzahlungen Arbeit und Einkommen zu vermitteln, wäre eine Lösung. Leider hat diese Idee bisher noch keine Resonanz gefunden.
So entstand ein Paradoxon: Die Arbeit der Europäischen Union, die durch enges Zusammenstehen in der Finanz- und Wirtschaftskrise die Gemeinschaftswährung verteidigt und den rundum lauernden Spekulanten den Boden entzogen hat, hat nicht zu erhöhtem Gemeinschaftsbewusstsein, sondern vielmehr zum Rückfall in Partikularbewusstsein geführt. Die europäische Völkerfamilie hat nicht zusammengefunden, sondern ist auseinandergedriftet. Und wenn Großbritannien den Brexit als Erlösung von allem Übel und als Rückkehr zu vergangener Größe sieht, zeigt das die Irrationalitäten unserer Zeit.
Aber auch menschliche Proportionen scheinen immer mehr abhandenzukommen. Der Verlust von Augenmaß und Anstand wird immer deutlicher. Große Unternehmungen installierten schon Compliance-Abteilungen mit Hunderten von Beschäftigten, um keine Fehler zu machen, und werden zunehmend bürokratisch reguliert. Der Verlust von Eigeninitiative und Eigenverantwortung ist die Folge.
Wenn Manager zweistellige Millionenbeträge im Jahr verdienen, kann dies nicht mehr durch höhere Verantwortung oder bessere Leistung argumentiert werden.