Was wir nicht schreiben durften. Suzanne Speich

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Was wir nicht schreiben durften - Suzanne Speich страница 3

Автор:
Серия:
Издательство:
Was wir nicht schreiben durften - Suzanne Speich

Скачать книгу

war 2017 wieder einmal auf dem Emei Shan, nun mit Seilbahn, wohnte ruhig und gemütlich in einem buddhistischen Gästehaus, liess mir die berühmten Wolkenspiele erklären, besuchte die neuen Bronze-, Silber- und Goldtempel (die Vergoldung ist echt), hörte Rezitationen der Sutras und spendete wie die Chinesen Geld für weitere Tempel.

      Später dachte ich in einem Teehaus sitzend nach: China hat mehr erreicht, als sich Mei-ling und Chiang Kai Shek je erträumen konnten, China ist geeint, unabhängig, frei von aller Kolonialherrschaft, wirtschaftlich höchst erfolgreich, hat gute Schulen und Spitäler, hat es geschafft, 900 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien, verfügt über die schnellsten Züge und die modernsten Flughäfen, ist wieder wie vor 2000 Jahren eine Weltmacht und das alles – wie wir wissen – nicht dank der Missionare und dank des Generalissimus, sondern allein dank des chinesischen Volkes.

      Tabu ist in der Politik nicht nur die Kritik an den Ikonen, tabu oder zumindest ungern gehört sind auch positive Nachrichten aus unbeliebten Ländern. So liest man weit häufiger über chinesische Umweltsünden als über die Pflanzung einer grünen Mauer, die die Äcker vor dem Gobisand schützt, von der intensiven Nutzung der Wind- und Sonnenenergie oder von der Pflege historischer Kleinstädte wie Huangshan City, Lijang, Dali, Suzhou, Hangzhou, Pingyao, der Ming-Dörfer Xidi Cun und Hong Cun, der Miao- und Dong-Dörfer in den Provinzen Guizhou und Henan, wo das traditionelle Handwerk blüht etc.

      Das Milliardenvolk der Chinesen mit seinen jahrtausendjährigen Traditionen funktioniert anders als der Westen und wird daher voller Misstrauen und Argwohn beobachtet. China wird wenig geliebt, oft missverstanden, gerne kritisiert oder, wie es der ehemalige amerikanische Aussenminister Kissinger formulierte: über China haben wir fast nur Vorurteile.

       Jede Nacht eine Flasche Whisky für Churchill

       Oder: Wie man sich einen Literaturnobelpreis auch erschreiben kann

       Suzanne Speich

      Kochen, Essen und Trinken waren schon immer absolut zentral für mich. Während meiner Jahre als Chefredaktor der annabelle betreute ich diese Themen auch selbst, begann über die damals aufkommende nouvelle cuisine zu schreiben, verfasste Restaurant-Kritiken und erfand Rezepte. Als Verleger Max Frey auch noch den Bau der annabelle-Cuisine bewilligte, eine Kochschule der gehobenen Art, und deren Betreuung seiner persönlichen Köchin Irène Dörig anvertraute, war unsere Zeitschrift definitiv die Nummer Eins für alles, was sich um Ess-Kunst drehte. Wer etwas auf sich hielt, besuchte einen Kochkurs in unserer annabelle-Cuisine, reiste mit unserem annabelle Gastro-Führer und kochte nach unseren Rezepten.

      Nüesch erzählte mir in vielen spannenden Stunden sein aufregendes Leben. Doch schon ganz zu Beginn unserer Zusammenarbeit musste ich ihm versprechen, das Spannendste nicht zu schreiben, weil er noch immer der Eidgenossenschaft gegenüber zur Geheimhaltung verpflichtet sei. Es betraf seine Berufsjahre im Hotel Bellevue Palace in Bern während des Zweiten Weltkrieges, wo er über tausend Diensttage an der Hotel-Bar absolvierte und dabei keinen einzigen Tag Uniform getragen hatte, sondern stets sein weisses Kellner-Jackett: Der junge Paul Nüesch war während des Krieges nichts weniger als ein Spion in nationalen Diensten, angestellt im legendären Büro Ha, das als eigenständige Organisation dem militärischen Nachrichtendienst der Eidgenossenschaft angegliedert war.

      Doch heute gibt es das Büro Ha nur noch in Geschichtsbüchern und dessen Gründer Hans Hausamann ist lange tot, ebenso wie Paul Nüesch. Und nun darf ich wohl alles schreiben, ohne Geheimnisverrat zu begehen. Immerhin weiss seit John Le Carrés Spionagethriller «Agent in eigener Sache» die ganze Welt, dass die Bar des Bellevue Palace schon immer ein Treffpunkt der Spione gewesen war. Das hatte bereits im Ersten Weltkrieg begonnen und war so legendär, dass zum 100. Geburtstag des Hotels 2013 in der Bar eine «Spy Edition» in limitierter Edition aufgelegt wurde. 1981 wurde übrigens Le Carrés Thriller mit Alec Guiness in der Hauptrolle auch zu Teilen in der Bellevue-Bar gedreht!

      Die Lage des Bellevue Palace war zum Spionieren ideal, ja perfekt: Direkt neben dem Bundeshaus gelegen, im Herzen der Bundesstadt, die wiederum im Herzen des einzigen nicht besetzten Landes von Europa lag. Bern war von 1939 bis 1945 der Tummelplatz für offizielle und geheime Funktionäre schlechthin und entwickelte sich mit Madrid und London zum Angelpunkt internationaler Spionage. Die Hotelbar des Bellevue Palace wurde zum Informationszentrum und weltberühmt. Ob von den Achsenmächten oder von den Alliierten entsandt, alle sassen sie im Bellevue Palace, der einzigen neutralen Plattform mitten in Europa.

      Und kein Plätzchen im Hotel war besser geeignet, geheime Informationen auszutauschen, als die schummrige Bar, hinter deren Theke Paul Nüesch Dienst tat. Niemand kam auf die Idee, dass der kleine Barmann, fast noch ein Bub, alles mithörte und nach Dienstschluss im Büro Ha rapportierte! Renommierte Geheimagenten wie die Britin Elizabeth Meta Whiskemann und der Deutsche Bernd Gisevius gehörten zu Nüeschs Stammgästen. Ab 1939 leitete der amerikanische Militärattaché Barnwell Rhett Legge von Bern aus gar den ganzen amerikanischen Geheimdienst gegen Nazideutschland – bis es deutschen Spionen gelang, die kryptischen Botschaften der Amerikaner zu entziffern.

      Paul Nüesch erlebte während seiner klandestinen Dienstzeit manche gefährliche Situation, denn immer wieder wurde er mit Segen oder gar auf Geheiss des Büro Ha vom Bellevue Palace auch für Kellner-Dienste an Botschaften und Botschaftsresidenzen ausgeliehen, wo das Spionieren noch lukrativer war. Und auch der Bund selbst vertraute auf Nüesch, wenn besonders hoher Besuch kam: So durfte er Kriegslegenden wie Feldmarschall Montgomery, den Sieger von El Alamein 1943, bedienen, als dieser im Von-Wattenwyl-Haus Gast der Landesregierung war.

      Nüesch hatte erfahren dass «Monty», der Mann, der die Deutschen zur Kapitulation gezwungen hatte, grundsätzlich keinen Alkohol trank und servierte ihm sein Wasser diskret in einer Weinflasche, deren Etikette er mit der Hand abdeckte. «Vous faites ça avec beaucoup de discrétion» lobte der hohe Gast Paul Nüesch und fragte ihn, ob er auch Soldat sei. «Ja, aber mit ganz speziellen Aufgaben», erwiderte dieser. Montgomery verstand sofort: «Da müssen Sie viel Mut haben.»

      1946 waren die Gefahren vorbei, Europa befreit, und der Mann dem dies wesentlich zu verdanken war, Winston Churchill, auf Triumphzug durch die Schweiz. In Zürich herrschte Churchill-Mania, nie zuvor in der Geschichte der Eidgenossenschaft war ein Politiker vom Schweizer Volk so frenetisch gefeiert worden. Churchills Rede an die Jugend der Welt, «Let Europe arise», die er in der Aula der Uni Zürich am 19. September 1946 hielt, ging in die Geschichte ein.

      Bei der Fahrt durch die Limmat-Stadt hatte Churchill ein Publikum, wie man es nur von strahlend sonnigen Sechseläuten-Tagen kennt. Zehntausende von Männern, Frauen und Kindern waren gekommen, um den Mann zu feiern, den sie – zu Recht – als den Retter von Europa in den dunkelsten Stunden des Jahres 1940 sahen. Die Zürcher Schulkinder hatten frei bekommen, damit sie Churchill zujubeln konnten. Viele hatten Fähnchen dabei, während die erwachsenen Zuschauer dem Kriegspremier die offene Limousine mit Rosen füllten. Noch nie in seiner Geschichte war der Münsterhof so randvoll jubelnder Menschen gewesen wie an jenem Nachmittag, als sich Churchill aus dem Fenster des Meisen-Zunfthauses beugte und der Menge mit seinem eleganten

Скачать книгу