Was wir nicht schreiben durften. Suzanne Speich

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Was wir nicht schreiben durften - Suzanne Speich

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Was Norman Mailer schreiben durfte, der BLICK aber nicht

       Suzanne Speich

      Kurz nach Mitternacht am 5. Juni 1968 wurde Robert F. Kennedy, Bruder des ermordeten Präsidenten John F. Kennedy und demokratischer Kandidat für die US-Präsidentschaft, in einem Hotel in Los Angeles vom palästinensischen Einwanderer Sirhan Sirhan angeschossen und lebensgefährlich verletzt. 25 Stunden später verstarb er nach einer Notoperation in einem Spital in LA. In der Schweiz war es kurz vor zehn Uhr morgens, als die Todesnachricht beim BLICK als Telex-Eilmeldung eintraf. Ausser Chefredaktor Martin Speich, dem Telex-Assistenten am Ende seiner Nachtschicht und mir war um diese Zeit noch niemand anwesend, Redaktionskonferenz war ja wie immer erst um 12 Uhr mittags.

      Zu zweit konzipierten und schrieben Martin und ich eine vierseitige BLICK-Sonderausgabe mit allem, was wir von den aktuellen Ereignissen in LA und aus dem Archiv zur Hand hatten. Abwechslungsweise diktierten wir dem Setzmeister im Maschinenraum der Staffelstrasse in Zürich direkt ins Blei, und als die Redaktoren gegen Mittag eintrafen, standen die vier Seiten. Als die Sonderausgabe um 14 Uhr auf der Strasse war, sass ich bereits im Flugzeug nach New York, wo gegen Abend die Sondermaschine mit dem Sarg des Ermordeten eintreffen sollte. Zum Glück hatte ich, wie immer während meiner Reporterjahre bei Blick, eine Tasche mit Pass und dem Nötigsten unter meinen Pult stehen gehabt.

      Pierre Salinger, Pressesprecher von JFK und Wahlkampfmanager des ermordeten Bobby, organisierte die Beerdigungsfeierlichkeiten und vergab persönlich die wenigen heissbegehrten Presseplätze für die Abdankung in der St. Patricks-Kathedrale in New York und die anschliessende Zugreise mit Bobbys Sarg nach Washington.

      Drei Viertel der so bevorzugt behandelten Journalisten waren Amerikaner, die anderen vertraten die wichtigsten Medien der Welt. BLICK war nicht dabei, doch ich entdeckte einen jugoslawischen Journalisten auf der Liste und sah meine Chance, wir waren ja auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges. Ich drängte mich zu Salinger vor: «You invite a communist newspaper and free Switzerland is not on your list?»

      Salinger schaute mir kurz in die Augen, wir lächelten beide und wussten beide, was Sache ist: Er konnte keinen Skandal gebrauchen und ich wollte auf die Liste. Er überlegte keine drei Sekunden und ordnete an: «This lady must be on the list.»

      Und so sass ich dann während des Abdankungsgottesdienstes in der St. Patricks-Kathedrale in der siebten Reihe, ganz links aussen, keine drei Meter von Leonard Bernstein entfernt, der mit Tränen in den Augen die Yorker Philharmoniker dirigierte, welche Mahlers Fünfte intonierten, als der Sarg aus der Kirche getragen wurde.

      Es war ein brütend heisser Tag, als der Sarg mit dem toten Senator, aufgebahrt auf der Plattform eines Aussichtswagens, mit einem Sonderzug nach Washington überführt wurde. Hunderttausende säumten die Strecke und jeder Gast auf dem Trauer-Zug kondolierte Edward, dem einzigen überlebenden von vier Kennedy-Brüdern, persönlich.

      Edward Kennedy beherrschte sich bewundernswürdig und lächelte sogar, als ich ihm die Hand drückte; wir kannten uns bereits flüchtig von einem früheren Gespräch. Also lächelte ich zurück und das Bild von diesem Augenblick erschien tags darauf im Blick. Dutzende von BLICK-Lesern riefen empört auf der Redaktion an: Wie konnte diese herzlose Journalistin an einem so furchtbaren Tag bloss lachen? Einer schnitt das Bild gar aus der Zeitung aus, malte ein Kreuz über meinen Kopf und sandte es an die Redaktion zurück.

      Es wurde aber tatsächlich nicht nur leise gelächelt, sondern auch laut gelacht auf dieser Fahrt, welche vier Stunden dauern sollte, aus denen dann aber über acht lange Stunden wurden, weil Hunderttausende von Zuschauern den Wegrand säumten, viele von ihnen kniend. Acht Unglückliche wurden gar, auf einem Nebengleis stehend, von einer Rangierlok angefahren und verloren ihre Beine. Von diesem Augenblick an fuhr unser Zug nur noch ganz langsam, manchmal fast im Schritttempo. Die Beisetzung auf dem Nationalfriedhof von Arlington musste vom frühen Abend auf nachts um elf Uhr verlegt werden, was den Secret Service vor riesige Probleme stellte: Der amtierende US-Präsident, Lyndon B. Johnson, und Hunderte von Prominente zur Geisterstunde auf einem nachtschwarzen Friedhof!

      Im Trauer-Zug war es weit über 30 Grad heiss, Kommunikation nach aussen gab es 1968 noch nicht, und die Gerüchte an Bord grassierten, wie immer, wenn irgendwo mehr als 30 Journalisten an einem Ort zusammensitzen und nichts zu tun haben ausser trinken. Nach der geplanten Reisedauer von vier Stunden waren die Softgetränke alle weg, und im Bar-Waggon wurde nur noch Alkohol – gegen den Durst! – ausgeschenkt. Hard stuff, kein Wein, und ich sah an der Bar die dreifach für den Oscar nominierte Shirley MacLaine ungeniert mit ihrem schwarzen Filmkollegen Sidney Poitier schmusen, Kennedy-Kinder rannten lachend durch den Zug, und es wurde getratscht, wie es nur möglich ist, wenn drei Dutzend Journalisten zusammen auf engstem Raum sitzen.

      Immer mal wieder, wenn eine junge Frau an uns vorüber die Bar ansteuerte, sagte ein US-Kollege, «Sekretärin im Weissen Haus, war auch eine von Kennedys Affären …» Damals wusste die Öffentlichkeit noch nicht, dass es nebst JFKs tausend Tagen im Weissen Haus auch tausend heisse Nächte gegeben hatte; für die Welt war er damals noch immer der treuliebende Ehemann der bewunderten Jackie. Ich wusste, das war meine grosse Story für die Zeit nach der Trauer und quetschte auf der restlichen Zugfahrt jeden im Weissen Haus akkreditierten Journalisten aus, den ich finden konnte.

      Sie redeten alle bereitwillig, es war ja seit Jahren ihr bevorzugtes Gesprächsthema unter Kollegen gewesen. Ein Thema, das viel zu heiss war, um je seinen Weg in eine US-Zeitung zu finden! Ich erfuhr, dass es Hunderte von Frauen gewesen waren, manchmal mehr als eine pro Nacht. Und nach dem vierten Whiskey pur rückte dann einer mit der ganz grossen News heraus: Auch Marilyn sei eine seiner Affären gewesen, die grosse Monroe, inzwischen auch verstorben.

      Ich wusste, das war DIE Sensation und konnte es kaum erwarten, das zu Hause auf der Redaktion zu erzählen. Zuerst gab’s Gelächter, dann ungläubiges Kopfschütteln, dann ein energisches «Vergiss’ es, das ist für den BLICK ein absolutes No Go» von Chefredaktor Martin Speich. «Aber uns in der Schweiz tun die doch nichts», wandte ich ein, «wir hätten einen world scoop, alle würden uns zitieren!» Speich blieb hart: «Nicht wir, nicht nach dem Papst». (Blick hatte den Tod des am Pfingsten 1963 verstorbenen Papst Johannes XXIII. drei Tage zu früh vermeldet, was zu einem schweizweiten Skandal geführt hatte.)

      Ich versuchte es in den folgenden Wochen und Monaten immer und immer wieder, die Affäre John F. Kennedy und Marilyn Monroe war mein ceterum censeo, doch die Redaktion blieb hart.

      Die Jahre gingen ins Land und der Lack am Namen Kennedy begann zu blättern. Senator Edward Kennedy vergab alle Chancen auf eine Präsidentschaft, als er nach dem Unfall von Chappaquiddick angetrunken Fahrerflucht beging, und JFK-Witwe Jackie Kennedy heiratete den hässlichen, alten, steinreichen griechischen Reeder Aristoteles Onassis.

      Damit waren die Kennedys nicht mehr unantastbar, und die Story von der Affäre zwischen dem Präsidenten und Hollywoods schönster Sexbombe wurde doch noch geschrieben, nicht von der kleinen Reporterin aus der Schweiz, sondern vom zweifachen Pulitzerpreisträger Norman Mailer. Am Tag, nachdem 1974 Mailers Biographie «Marylin» bei Spring Books erschienen war, wusste es die Welt, und von da an durfte es jede Zeitung (ab)schreiben, auch der BKICK.

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       Zeitungsausschnitt aus der BLICK-Ausgabe vom 6. Juni 1968

       Ärger mit der Apartheit und mit dem Schah

       Charlotte Peter

      Nicht gestoppt wurden meine kämpferischen Artikel gegen die Apartheit in Südafrika, was Folgen

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