Dr. Daniel Classic 44 – Arztroman. Marie Francoise
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Dr. Leitner lächelte. »Die tun ihr mit Sicherheit nicht weh. Sie sind der Kleinen nur etwas unangenehm.« Dann wurde er wieder ernst. »Sie dürfen sich da nicht erweichen lassen. Anna-Lena muß das Medikament bekommen, denn mit den Spätschäden, die durch Scharlach verursacht werden können, ist nicht zu spaßen.«
Gerdie seufzte abgrundtief, woraufhin sich Dr. Daniel einmischte.
»Wissen Sie was, Gerdi, ich nehme Anna-Lena mit zu mir«, schlug er vor. »Rufen Sie Beate morgen früh an, und sagen Sie ihr, daß die Kleine Scharlach hat. Ich bin sicher, daß sie viel zuviel Angst vor der Ansteckung hat, als daß sie darauf bestehen würde, Anna-Lena zu sich zu holen.«
»Die ist doch nur froh, wenn sie die Kleine los ist«, grummelte Gerdi.
Dr. Daniel nickte. »So sehe ich das leider auch. Also, Gerdi, ich nehme Anna-Lena mit und behalte sie bei mir oben, bis sie gesund ist.«
Dankbar stimmte Gerdi diesem Vorschlag zu. Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, der Kleinen gegen ihren Willen ein Medikament zu verabreichen, das sie ablehnte.
Als sich Dr. Leitner dann endgültig verabschiedet hatte, kehrte Dr. Daniel ins Wohnzimmer des Pfarrers zurück, wickelte die jetzt schlafende Anna-Lena in eine Decke und trug sie zu seinem Auto. Wenig später lag sie in Dr. Daniels Gästezimmer, ohne von ihrem Umzug etwas mitbekommen zu haben.
Voller Mitleid sah Dr. Daniel auf das Mädchen hinunter, und dabei war es ihm wieder unbegreiflich, wie Beate es schaffte, zu diesem liebenswerten Kind überhaupt keine Beziehung aufzubauen.
*
Der Morgen im Hause Daniel verlief ein wenig stressiger als sonst. Unmittelbar nach dem Duschen betrat Dr. Daniel das Gästezimmer und sah, daß Anna-Lena aufgewacht war.
»Na, Kleines, wie fühlst du dich?« wollte er wissen.
»Mein Hals tut noch immer weh«, erklärte sie, dann sah sie sich erstaunt um. »Bin ich denn nicht mehr bei Tante Gerdi?«
Spontan setzte sich Dr. Daniel zu ihr ans Bett. »Nein, Anna-Lena, wir haben gestern beschlossen, daß du für ein paar Tage zu mir kommst – genauer gesagt, bis du wieder gesund bist, aber das wird schon sehr bald der Fall sein.« Während er gesprochen hatte, hatte er ein Zäpfchen aus der Verpackung genommen. »So, Kleines, jetzt drehst du dich bitte schön zur Seite.«
»Nein!« erwiderte Anna-Lena und begann zu weinen. »Ich will das nicht mehr! Es tut weh!«
»Nein, Anna-Lena, es tut nicht weh, aber es muß wirklich sein«, erklärte Dr. Daniel, obwohl es ihm schwerfiel, angesichts dieser bitteren Tränen hart zu bleiben. »Du willst doch wieder gesund werden, oder?«
Heftig schüttelte Anna-Lena den Kopf.
»Probleme, Papa?« fragte sein Sohn Stefan von der Tür her.
»Sieht so aus«, antwortete Dr. Daniel und wies mit einer flüchtigen Kopfbewegung zu dem Medikament, das er Anna-Lena gerade verabreichen wollte.
Stefan lächelte. »Akute Ablehnungshaltung. Keine Sorge, Papa, das kommt in der Klinik laufend vor – und nicht nur bei Kindern. Bei so einem kleinen Zwerg ist das Problem allerdings leicht zu beheben.« Damit nahm er Anna-Lena auf die Arme und hielt sie fest, bis Dr. Daniel ihr das Zäpfchen eingeführt hatte.
Anna-Lena schluchzte herzzerreißend, was bei Dr. Daniel dazu führte, daß er beinahe so etwas wie ein schlechtes Gewissen bekam, und die Rechtfertigung, daß die Kleine das Medikament bekommen mußte, nützte in diesem Fall leider auch nicht viel. Stefan bemerkte natürlich, was mit seinem Vater los war, und grinste.
»Erinnerst du dich noch, wie ich in diesem Alter gebrüllt habe, wenn du mit Zäpfchen angekommen bist?« fragte er. »Bei mir warst du in dieser Beziehung übrigens nicht so mitfühlend.«
Dr. Daniel betrachtete die kleine Anna-Lena, die jetzt wieder eingeschlafen war.
»Ja, weißt du, Stefan, mit zwei kleinen Kindern war ich etwas mehr in Übung – doch jetzt…– in meiner Praxis werde ich normalerweise doch mit anderen Fällen konfrontiert.«
»Das glaube ich gern«, stimmte Stefan zu, dann warf er dem schlafenden Mädchen einen kurzen Blick zu. »Wieso ist sie überhaupt hier?«
Dr. Daniel seufzte, dann schilderte er seinem Sohn, was am Abend zuvor geschehen war.
»Diese Beate ist kalt wie Eis«, urteilte Stefan. »Eigentlich verdient sie es gar nicht, ein so süßes Kind wie Anna-Lena zu haben.«
Bei diesen Worten fiel Dr. Daniel wieder der melancholische Ausdruck auf Dr. Leitners Gesicht ein, und er beschloß, mit Wolfgang darüber zu sprechen. Immerhin waren die beiden einmal zusammen zur Schule gegangen, und nach Dr. Leitners Bemerkungen zu schließen, mußten sie schon begonnen haben, ihre damalige Freundschaft wieder aufleben zu lassen.
»Mußt du heute nicht zum Dienst?« wollte Dr. Daniel jetzt von seinem Sohn wissen.
Stefan grinste. »Auch ein Assistenzarzt hat gelegentlich mal einen freien Tag.« Dann legte er seinem Vater eine Hand auf die Schulter. »Geh du ruhig in deine Praxis, Papa. Ich kümmere mich schon um Anna-Lena.«
Erstaunt sah Dr. Daniel ihn an. »Was ist los mit dir, mein Sohn? Erwachen in dir vielleicht schon Vatergefühle?«
Im selben Moment schlug Stefans vorher sehr friedliche Stimmung ins Gegenteil um.
»Also, weißt du, Papa«, entgegnete er energisch. »Wenn man sich um ein krankes Kind kümmert, muß man nicht unbedingt gleich selbst welche haben wollen. Immerhin gehört das ja auch zu meinem Beruf, aber wenn du noch öfter solche Andeutungen machst, dann werde ich es mir wohl doch noch genauer überlegen müssen, bevor ich dir meine Hilfe anbiete.«
»Gnade, Stefan!« flehte Dr. Daniel. »So war’s doch nicht gemeint.«
»Dann sag es bitte nächstes Mal auch nicht so«, erwiderte Stefan, und erst jetzt erkannte Dr. Daniel, daß sein Sohn die vorangegangenen Worte tatsächlich ernst gemeint hatte.
»Hör mal, Stefan, seit wann reagierst du so überempfindlich?« hakte Dr. Daniel nach. »Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Papa, tu mir einen Gefallen und mach, daß du in deine Praxis kommst«, erklärte Stefan, und obwohl er sich dabei um einen scherzenden Ton bemühte, erkannte Dr. Daniel doch die versteckte Aggressivität, die hinter seinen Worten stand. »Du gehst mir im Moment ein bißchen auf die Nerven.«
»Das will ich natürlich nicht«, meinte Dr. Daniel und wandte sich zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Ich verlasse mich darauf, daß du zu mir kommst, wenn du mit einem Problem nicht mehr allein fertig wirst.«
Stefan nickte nur, dann wandte er seinem Vater demonstrativ den Rücken zu und kümmerte sich fast fieberhaft um die kleine Anna-Lena. Nur mit Mühe konnte Dr. Daniel einen Seufzer unterdrücken. Anscheinend kamen auch innerhalb der Familie mal wieder gewisse Schwierigkeiten auf ihn zu.
»Mein großer Bruder ist zur Zeit nur schwer zu verkraften«, meinte Karina, die einen Teil des Streitgesprächs