Mami 1980 – Familienroman. Karina Kaiser
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»Sie sieht aus wie eine schlecht bezahlte Büromaus«, meinte der Bauer, der jetzt neben seiner Frau stand, kopfschüttelnd. »Aber das ist sie wohl nicht. Nur gutgestellte Leute fahren so einen teuren Wagen.«
»Und bezahlen für die Benutzung einer Garage so viel Geld.« Die Bäuerin zeigte ihrem Mann die Geldscheine. »Weißt du, was ich glaube? Sie ist eine reiche Frau und war inkognito hier. Dieses Geld bekommen wir für unser Schweigen.«
»Von mir aus«, Bauer Schneidereit grinste breit. »Ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, daß auf unserem Hof mal ein Mercedes gestanden hat.«
Diese »Renommierkutsche« befand sich unterdessen vor den Toren der Kreisstadt. Jona hielt bei einer Tankstelle an. Und dort kaufte sie nicht nur Sprit, dort ging sie auch mit einem Kleidersack zur Toilette. Schon nach kurzer Zeit war aus der recht unscheinbaren Jona Horn mit der einfachen Kleidung die elegante Jolanthe Horndorf geworden.
So, das war geschafft. Sie hatte das verwirklicht, was sie sich schon lange vorgenommen hatte. Nun konnte sie nach Hause fahren.
*
Norman Markgraf gähnte ausgiebig, bevor er die Augen öffnete.
»Jona?«
Keine Antwort.
»Jona, wo bist du?« rief er jetzt laut und richtete sich im Bett auf. Doch auch jetzt meldete sich niemand. Vielleicht war sie im Bad, oder vielleicht ging es ihr nicht gut. Der Arzt in ihm meldete sich. Er stand auf und wollte nachsehen, als sein Blick auf den weißen Briefumschlag fiel. Er riß ihn auf und las.
Lieber Norman,
mein Urlaub ist zu Ende, genauso wie unsere gemeinsame Zeit. Es war schön mit Dir, aber ich möchte Dich nicht wiedersehen. Sei nicht allzu böse, aber ich habe triftige Gründe für meine Entscheidung. Suche mich nicht, es ist zwecklos.
Vielen Dank für alles, und laß es Dir gutgehen.
Jona
Der junge Arzt starrte fassungslos auf diese wenigen Zeilen. Seine kleine, zärtliche Jona hatte ihn kalt abserviert und war auf und davon. Ob sie eine Betrügerin war? Eventuell hatte sie vielleicht sogar seine Börse gestohlen. Doch nein. Seine EC-Karte und sein Geld waren noch da, wie er nach eiligem Suchen erleichtert feststellte. Nur sie war fort – einfach so und ohne jede Erklärung. Dabei hatte nichts am vergangenen Abend darauf hingedeutet, daß sie fort wollte. Doch was wußte er schon von ihr? Nicht viel. Sie hieß Jona Horn, war achtundzwanzig Jahre alt und arbeitete in einem erstklassigen Hotel als Zimmermädchen. Sie war eher apart als hübsch und für den Job als Zimmermädchen eigentlich viel zu klug. Aber das fiel ihm jetzt erst so richtig auf, denn in den vergangenen Tagen waren sie kaum aus dem Bett gekommen, so leidenschaftlich hatten sie sich geliebt. Und das war auch etwas, was ihm so an ihr gefiel. Diese selbstverständliche, zärtliche Art, mit ihm umzugehen, und der sanfte Blick ihrer dunkelgrauen Augen.
Nun, das konnte er ja nun alles vergessen. Enttäuscht und verärgert erledigte er seine Morgentoilette, aß lustlos sein Frühstück und wollte dann das Zimmer bezahlen.
»Alles schon erledigt, Herr Markgraf«, erklärte ihm die Wirtin, während sie ihn mitfühlend musterte.
»Ach so – ja…«, stammelte er und wunderte sich nun über gar nichts mehr. Jona gab ihm Rätsel auf, die er wohl niemals lösen würde. Frustriert fuhr er nach Hause, zu seiner kleinen Wohnung, die er im Haus seiner Eltern im Ostteil von Berlin hatte. Hier bemühte er sich, Abstand von seinem Ferienabenteuer zu bekommen, was ihm nach ein paar Tagen auch gelang. Er wurde tatsächlich etwas ruhiger und beschloß, doch eine Erklärung von Jona zu verlangen. Schließlich hatte er doch ihre Telefonnummer und ihre Adresse, wenn ihm auch eine innere Stimme sagte, daß er sie so nicht finden würde.
Seine Ahnung bestätigte sich. Die Handynummer existierte offenbar nicht mehr, und sein Brief kam zurück, weil die Adresse nicht stimmte. Jona hatte ihn also vorsätzlich belogen. Er war für sie nur ein weitgehender Flirt gewesen. Damit mußte er sich abfinden.
Das Leben würde auch ohne Jona Horn weitergehen. Er hatte seine vielen kleinen Patienten, denen er, als guter Onkel Doktor, helfen wollte. Die Episode mit diesem merkwürdigen Zimmermädchen würde er sicher bald vergessen.
*
»Es wird aber auch allerhöchste Zeit, daß du nach Hause kommst«, nörgelte Martin Horndorf und schloß seine Tochter einige Augenblicke liebevoll in die Arme. »Mußtest du wirklich so lange wegbleiben?«
»Ja, Papa. Es mußte sein.« Jolanthe lächelte eigentümlich, war aber nicht bereit, ihrem wißbegierigen Vater Näheres über ihren Urlaub mitzuteilen – jedenfalls jetzt noch nicht – vielleicht auch nie.
Horndorf, ein schlanker, gutaussehender Mittfünfziger, ging auch gar nicht darauf ein. Er ging mit seiner Tochter zum Wohnzimmer und sprach bereits von der Arbeit, wie meistens. Nach dem frühen Tod seiner Frau, Jolanthes Mutter, war die Arbeit sein Lebensinhalt geworden – neben seiner Tochter natürlich. Es verdroß ihn nur, daß das große Unternehmen, das schon seit Jahrzehnten von den Horndorfs geführt wurde, sozusagen nur auf vier Augen stand. Hier fehlte ein Erbe. Jolanthe mußte wieder heiraten und endlich ein Kind bekommen.
Aber konnte er das seiner Tochter zumuten – nach diesem Reinfall mit Henryk Hatzfeld?
»Wir sind vollkommen ausgebucht«, sagte er eben und trank genießerisch seinen Kaffee, den die Wirtschafterin gerade gebracht hatte.
»Das sind wir doch meistens.« Jolanthe wunderte sich nicht.
»Ja, sicher. Aber ich war doch ein wenig in Sorge, ob die Bungalowsiedlung von den Gästen angenommen wird. Die Unterbringung ist ja nicht ganz billig.«
Jolanthe lächelte spöttisch. »Dafür sind die besseren Kreise aber unter sich und haben bei uns alles, was das Leben so angenehm macht – Sauna, Wellenbad, Golfplatz, Schönheitsfarm, Reiterhof – und so weiter und sofort. Wir lassen uns doch immer etwas einfallen, damit sich unsere Investitionen auch rechnen.«
»Und für wen?« Nun grollte Martin Horndorf doch und dachte an den Enkel, den er immer noch nicht hatte.
»Ich weiß, Papa«, um Jolanthes Mund lag wieder dieses schwer zu deutende Lächeln. »Ich muß mal über dieses Thema nachdenken. Vielleicht fällt mir dann eine Lösung ein.«
»Wie meinst du denn – das?« Der Hotelier Horndorf betrachtete seine Tochter verwundert und recht mißtrauisch.
Papa platzt bald vor Neugier, dachte diese belustigt. Aber er muß abwarten – genau wie ich. Daher sagte sie nur: »Du hast recht, wir müssen uns eine dritte Kraft heranziehen. Und deshalb werde ich darüber nachdenken. Oder willst du noch einmal Vater werden?«
»Um Gottes willen«, Horndorf hob abwehrend beide Hände. »Ich habe doch wohl genug zu tun. Da kann ich nicht noch ein Kind auf meinen Knien schaukeln.«
»Auch kein Enkelkind?«
»Ein Enkelkind?« erwiderte Horndorf gedehnt und ließ sich diese beiden Worte auf der Zunge zergehen. »Ein Enkelkind ist natürlich etwas ganz anderes.«
*
»Du