Einführung in die Theorie des Familienunternehmens. Fritz B. Simon
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Soziale Systeme lassen sich als Kommunikationssysteme definieren, die so lange ihre Struktur erhalten, wie die dazu nötige Kommunikation fortgesetzt bzw. reproduziert wird …
Das macht sie zu »autopoietischen Systemen« (griech. autós »selbst«, poiéo »ich bringe hervor«). Mit diesem Begriff werden selbstorganisierte Systeme bezeichnet, die sich durch ihre eigenen, internen Prozesse erschaffen und erhalten, indem sie eine Innen-außen-Grenze ihren Umwelten gegenüber bilden (Maturana 1975). Als Prototyp solcher Systeme dienen lebende Systeme bzw. die Logik von Lebensprozessen. Am Organismus ist das Konzept entwickelt worden: Solange der Stoffwechsel funktioniert (= interne Prozesse), bleibt die Einheit und Struktur des Körpers erhalten; wenn das nicht mehr der Fall ist (= Tod), dann löst sich nicht nur die Innen-außen-Grenze (= Haut) auf, sondern auch die Einheit des Systems, das heißt, der Organismus verwest. Solche Systeme existieren, solange die Autopoiese, d. h. die Prozesse, welche diese Einheit herstellen und erhalten, fortgeführt werden.
Übertragen auf soziale Systeme heißt dies: Solange die (Kommunikations-)Prozesse fortgesetzt werden, die ein Unternehmen oder eine Familie als abgegrenzte Einheit erzeugen und erhalten, bleibt das Unternehmen bzw. die Familie erhalten (Abb. 1).
Abb. 1: Soziale Systeme lassen sich durch einen Kreis mit einem Pfeil symbolisieren, der für die durch den Kommunikationsprozess vollzogene und erhaltene Innenaußen-Unterscheidung steht.
Wenn bislang von Spielregeln der Kommunikation die Rede war, dann auch, weil sich soziale Systeme in ihrer Dynamik gut mit Spielen (wie Schach und Fußball) vergleichen lassen. Sie sind durch ihre Regeln definiert und existieren so lange, wie nach diesen Regeln gespielt wird. Diese Regeln definieren auch, welche Kommunikationen zum jeweiligen Spiel gehören (z. B. »Schach!« sagen, den Ball ins Tor schießen) und welche nicht (etwa zwischendurch übers Wetter reden). Verschiedene Typen sozialer Systeme – also beispielsweise Familien und Unternehmen – unterscheiden sich dabei (wie Schach und Fußball) durch ihre Spielregeln oder, abstrakter formuliert, durch unterschiedliche Selektionskriterien der Kommunikation.
Daraus resultieren die vielfachen psychologischen Probleme, die sich für Familienmitglieder ergeben, die im Familienunternehmen arbeiten: Sie haben es mit unterschiedlichen Kontexten zu tun, in denen sie als Personen auch unterschiedliche Identitäten haben. Vater und Chef sind, z. B., ganz unterschiedliche Rollen, und die Vater-Sohn-Beziehung unterscheidet sich gravierend von der Chef-Mitarbeiter-Beziehung. Wenn beide Personen mal im einen, mal im anderen Kontext aufeinandertreffen, dann kann es zu Verwirrungen kommen, nach welchen Regeln sich beide zu verhalten haben …
Diese zwangsläufig sehr verkürzte theoretische Darstellung ist hier vorausgeschickt, um einige abstrakte Vorannahmen explizit zu machen, die der hier skizzierten Theorie des Familienunternehmens zugrunde liegen.
1.3 Definition von Familienunternehmen
Was macht ein Unternehmen zum Familienunternehmen? Das Spektrum der Unternehmen, die sich selbst so bezeichnen, ist breit: von der italienischen Osteria, in der Papa in der Küche steht, während Mutter, Sohn und Neffe bedienen, bis zum global agierenden Konzern, der Zigtausende in aller Welt beschäftigt und an dem die Familie nur noch einen Minderheitsanteil an Aktien hält.
Da es keine formaljuristischen Kriterien gibt, die ein Unternehmen zum Familienunternehmen machen, und die Größe nicht als Unterscheidungsmerkmal taugt, ja, offenbar nicht einmal die Eigentumsverhältnisse ausschlaggebend sind, muss es sich um andere, »weichere« Charakteristika handeln, die zur Definition verwendet werden können.
In den letzten Jahren hat sich zunehmend folgende Definition durchgesetzt:
Ein Unternehmen ist ein Familienunternehmen, wenn eine Familie einen maßgeblichen Einfluss auf die Politik des Unternehmens hat (Wimmer et al. 1996, S. 19 f.).
Folgt man dieser Definition, wird deutlich, dass sowohl die Pizzeria an der Ecke als auch Unternehmen wie BMW als Familienunternehmen zu betrachten ist. Klar ist dann ebenfalls, dass dazu auch Unternehmen zu rechnen sind, in denen weder ein Familienmitglied in der Geschäftsleitung tätig ist, noch die Familie als (alleiniger oder Mehrheits-)Eigentümer des Unternehmens zu betrachten ist. Es reicht, wenn ihr politischer Einfluss – durch welche rechtlichen Regelungen (Stimmrechtsbeschränkung etc.) auch immer – gesichert ist.
1Das Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU), Universität Witten/Herdecke.
2Der an den allgemeinen theoretischen Grundlagen näher Interessierte sei auf die Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus (Simon 2006) verwiesen.
3Die im Folgenden entwickelten theoretischen Modelle sind in der Zusammenarbeit mit meinen Kollegen Rudolf Wimmer (mit mir Gründungsprofessor des Wittener Instituts für Familienunternehmen) und Thorsten Groth (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut) entstanden. Ihnen sei an dieser Stelle gedankt. Dennoch sind selbstverständlich alle eventuellen Fehler und Fehleinschätzungen allein mir zuzurechnen.
2 Familien und Unternehmen – Unterschiedliche Typen sozialer Systeme und ihre unterschiedlichen Rationalitäten
2.1 Historischer Rückblick
Ein Blick in die abendländische Geschichte zeigt, dass die Unterscheidung zwischen Arbeit und Privatleben relativ jung ist. Im klassischen Altertum gab es zwei Typen eindeutig gegeneinander abgegrenzter Systeme: das Haus (griech. oikos) und den Staat bzw. die Stadt (griech. pólis). Das Haus war zum einen wirtschaftliche Überlebenseinheit (daher der Begriff »Ökonomie«), aber es war auch Lebensgemeinschaft und emotionales Bezugssystem für seine Mitglieder. Zu ihm gehörten nicht nur die Familienmitglieder im engeren, verwandtschaftlichen Sinne, sondern auch Sklaven und Bedienstete. Der Begriff »Familie« (lat. famulus »Diener«) stand in diesem Sinne für das »ganze Haus«, d. h. eine Gemeinschaft, die weit über den Kreis der Blutsverwandten hinausging. Nur als Mitglied solch eines »Hauses« hatte der Einzelne die Möglichkeit zu (über)leben (Mitterauer u. Sieder 1977).
Dieses Modell der Arbeits- und Lebensgemeinschaften findet man heute gelegentlich noch in der Landwirtschaft oder in der Gastronomie, obwohl es auch dort inzwischen sehr selten geworden ist und die Abhängigkeit des Einzelnen von derartigen privat-professionellen Mischformen sozialen Lebens weit geringer ist, als es in grauen Vorzeiten der Fall war.
Dem Haus stand der Stadtstaat (Beispiel: Athen) gegenüber. Er fungierte nach außen als handelnde Einheit gegenüber anderen Staaten (z. B. Sparta), wenn es zum Krieg kam, und nach innen sorgte er für den gesetzlichen Rahmen, der das Zusammenleben der Bürger regelte (etwa durch Institutionen der Rechtsprechung im