Einführung in die Theorie des Familienunternehmens. Fritz B. Simon
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Einführung in die Theorie des Familienunternehmens - Fritz B. Simon страница 6
2.3 Familie und Unternehmen als koevolutionäre Einheit
Familienunternehmen und Unternehmerfamilien unterscheiden sich von anderen Unternehmen und Familien dadurch, dass in ihrem Fall zwei soziale Systeme in ihrer Entwicklung aneinander gekoppelt sind. Sie fungieren gegenseitig als relevante Umwelten füreinander, die sich aneinander anpassen und gegenseitig beeinflussen – potenziell im Positiven wie im Negativen. Wie die Partner einer Paarbeziehung bestimmen sie füreinander zu einem beträchtlichen Maße die Überlebens- und Entwicklungsbedingungen. Sie sind voneinander abhängig bzw. auf die füreinander erbrachten Leistungen angewiesen, sie beobachten sich gegenseitig, brauchen einander (mal mehr, mal weniger) und bilden eine koevolutionäre Einheit. Die Familie verändert ihre Spielregeln, weil sie auf das Unternehmen Rücksicht nimmt, und das Unternehmen trifft bestimmte Entscheidungen, weil sie im Interesse der Familie liegen oder deren Interessen nicht zuwiderlaufen sollen.
Abb. 3: Die koevolutionäre Einheit von Familie, Unternehmen und Gesellschaftern
Als dritte relevante Umwelt ist der »Kreis der Gesellschafter« zu nennen. Er ist in der Regel nicht immer mit den Mitgliedern der Familie identisch. Denn es gibt in vielen Familienunternehmen Familienmitglieder, die nicht Gesellschafter sind, und in manchen gibt es auch Gesellschafter, die nicht zur Familie gehören; ja, es gibt auch Familienunternehmen, die an der Börse notiert sind, d. h. bei denen sich ein bestimmter Prozentsatz der Anteile im Streubesitz befindet. Als Eigentümer haben Gesellschafter – juristisch kodifiziert – einen zentralen Einfluss auf die Geschicke des Unternehmens. Dennoch scheint es nicht sinnvoll, sie von vornherein als eigenes soziales System zu betrachten, denn ihre Kommunikation untereinander kann sehr minimalistisch sein und sich z. B. auf die Durchführung einer Gesellschafter- oder Hauptversammlung beschränken. Rein juristisch betrachtet, handelt es sich um eine Ansammlung autonomer Individuen, die bestimmte Rechte und Pflichten haben. Darüber hinaus brauchen sie im Prinzip nicht zu kommunizieren und sich nicht als abgegrenztes soziales System zu konstituieren.
Wenn man die Historie vieler Familienunternehmen betrachtet, so zeigt sich, dass während der Gründungsphase in vielen Fällen de facto keine Trennung zwischen Familie und Unternehmen besteht. Wer zur Familie gehört, hat auch im Unternehmen mitzuarbeiten (wenn etwa ein Paar gemeinsam einen Laden eröffnet), und in der Kommunikation kann nicht zwischen persönlichen und geschäftlichen Belangen unterschieden werden, da beides identisch erscheint. Juristische Fragen spielen in der Familie normalerweise keine Rolle – außer im Konfliktfall, d. h. meist bei der Scheidung –, deshalb ist auch die Eigentumsfrage nicht von zentraler Bedeutung. Selbst wenn das Unternehmen formal dem einen oder anderen Partner gehört, wird es doch wie gemeinsames Eigentum behandelt.
Je größer und je älter das Unternehmen wird, desto mehr entwickeln sich diese drei Spielfelder auseinander und umso stärker werden auch die Unterschiede zwischen ihren Spielregeln und die damit verbundenen Dilemmata erlebbar.
2.4 Identität und Zugehörigkeit
Der Blick auf Unternehmen und Familie als Kommunikationssysteme mit unterschiedlichen Spielregeln kann erklären, warum viele Menschen, die es mit Familienunternehmen zu tun haben, sich verwirrt fühlen. Denn nur zu oft sind ja die Personen, die in diesen beiden Systemen agieren, dieselben. Man sieht einem Menschen nicht an, ob er gerade als Vater oder als Vorgesetzter, als Mutter oder Chefin, als Bruder oder Mitarbeiter, als Schwester oder Teammitglied handelt, und der oder die Betreffende weiß es selbst meist auch nicht. Er/sie hat zwei Rollen inne, an die unterschiedliche Erwartungen gerichtet sind. Man trägt »verschiedene Hüte«, aber es ist nicht immer klar erkennbar, welcher Hut gerade von wem getragen wird, und manchmal werden beide so schnell gewechselt, dass niemand hinterherkommt …
Diese Vermischung der Kontexte hat psychische Folgen. Denn jedes Individuum bildet seine persönliche Identität aufgrund seiner Zugehörigkeit zu unterschiedlichen sozialen Bezugssystemen (Devereux 1970). Ihre individuelle Mischung bestimmt sein Gefühl der Unverwechselbarkeit als Individuum.
Jemand definiert sich als Mann oder Frau, er ist Deutscher, Ingenieur, Katholik, Fußballspieler, Briefmarkensammler, Wähler einer bestimmten Partei usw., was dazu führt, dass er/sie bewusst oder unbewusst per Identifikation gewisse »männliche«/»weibliche«, »deutsche«, »katholische« usw. Eigenschaften und Verhaltensweisen übernimmt. Im Allgemeinen sind mit diesen Zugehörigkeiten keine psychischen Konflikte oder Probleme verbunden: Man kann ein katholischer deutscher Mann sein, ohne dass man sich dadurch widersprüchlichen Handlungsanweisungen ausgesetzt sieht.
Etwas schwieriger ist es mit der persönlichen Identität in Familienunternehmen. Denn hier gibt es drei unterschiedliche Möglichkeiten der Zugehörigkeit: zur Familie, zum Unternehmen, zu den Gesellschaftern. Das kompliziert die Beziehungen zueinander und sorgt für Verwirrungen der individuellen Identität. Denn die Beziehungen zwischen Familienmitgliedern sind anders strukturiert als die Beziehungen zwischen Gesellschaftern oder den Mitarbeitern eines Unternehmens.
Das in der Literatur seit Langem verwendete Drei-Kreis-Modell (Abb. 4) illustriert, wie komplex die Beziehungsnetze in und um ein Familienunternehmen herum sein können. Die Beteiligten haben aufgrund ihrer sehr unterschiedlichen Zugehörigkeiten einen unterschiedlichen Status. Wie mit diesen Unterschieden umgegangen wird, ist von Familie zu Familie verschieden. Das betrifft z. B. die Frage, wie »Zugehörigkeit zur Familie« definiert ist. Werden nur die (männlichen) Nachkommen des oder der Gründer als Familienmitglieder betrachtet oder gelten auch Angeheiratete als zugehörig? Dürfen sich auch die Ehemänner oder -frauen, die nicht Gesellschafter sind, für die Belange des Unternehmens interessieren? Kann das Unternehmen auch auf sie als potenzielle Ressourcen zurückgreifen? Gehören familienfremde Gesellschafter nicht doch irgendwie zur Familie? Usw.
Abb. 4: Möglichkeiten der unterschiedlichen Zugehörigkeiten zu Familie, Unternehmen, und Gesellschaftern
Solche Abgrenzungsfragen machen deutlich, welche emotionalen und intellektuellen Anforderungen an die beteiligten Personen gestellt sind, aber auch, welche Konfliktpotenziale sich für das Familienleben und das Unternehmen daraus ergeben, die Kontexte und ihre widersprüchlichen Verhaltens- und Rollenerwartungen im Blick zu behalten und zu »managen«.
Ein besonders Risikopotenzial für Familie wie Unternehmen resultiert daraus, dass Personen, die zu beiden Systemen gehören und miteinander im Konflikt stehen, die Möglichkeit haben, nach Belieben das Spielfeld, d. h. den Kontext, der die Bedeutung eines Verhaltens bestimmt, zu wechseln. Es entwickelt sich dann eine Dynamik, die nicht leicht zu beherrschen ist. So kommt es immer wieder vor, dass das Unternehmen zum Schlachtfeld wird, auf dem familiäre Kriege ausgetragen werden, Machtkämpfe zwischen Verwandten gewinnen manchmal eine in anderen Familien ungeahnte Dimension, wenn, beispielsweise, Mehrheiten an Geschäftsanteilen benutzt werden, um »Siege« in Auseinandersetzungen zu erringen, die ihre Wurzeln in der Familie haben usw. Und auf der anderen Seite können Konflikte der Unternehmenspolitik in die Familie schwappen, sodass unter dem Weihnachtsbaum über Investitionsentscheidungen verbittert gestritten wird (»Stille Nacht,