Das Schweizer EU-Komplott. Carl Baudenbacher

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Das Schweizer EU-Komplott - Carl Baudenbacher

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2 ist der Phase des Distanzhaltens zur EWG gewidmet, die von den 1950er Jahren bis zum Ende des Kalten Krieges im Jahr 1989 gedauert hat. Mit den Ereignissen des Jahres 1989 setzte jedenfalls bei einem Teil der politischen Eliten eine Zeit der EU-Begeisterung ein, auf die in Kapitel 3 eingegangen wird. Das EWR-Abkommen wurde i.W. von EU-Aficionados in Verwaltung und Regierung sabotiert, die auf einen EU-Beitritt der Schweiz hinarbeiteten. Nach dem EWR-Nein vom 6. Dezember 1992 verfolgte der Bundesrat eine Politik des institutionenfreien Bilateralismus, der allerdings nur als Zwischenschritt auf dem Weg in die EU verstanden wurde. Die Kapitel 4 und 5 befassen sich mit den beiden Hauptelementen dieses Modells, der Politik des Aushandelns bilateraler Verträge einerseits, und des sog. autonomen Nachvollzugs von EU-Recht andererseits. Kapitel 6 setzt sich mit dem fundamentalen Wandel auseinander, der mit der im Jahr 2008 aufgestellten und seither regelmässig wiederholten Forderung der EU nach einer Institutionalisierung der bilateralen Abkommen verbunden ist. Institutionalisuerung bedeutet Einrichtung eines Überwachungs- und Gerichtsmechanismus. Nachdem es rund vier Jahre auf Zeit gespielt hatte, optierte das EDA, wie in Kapitel 7 beschrieben wird, im Frühjahr 2013 vollkommen überraschend dafür, dass Konflikte vom EuGH, dem Gericht der Gegenseite, gelöst werden sollten. Die Mehrheit des Bundesrates war – mit Mentalreservation – einverstanden. Einen Vorschlag der EU, an die Institutionen des EFTA-Pfeilers – die EFTA-Überwachungsbehörde und den EFTA-Gerichtshof – anzudocken, lehnte man grossspurig ab. Dass man die Einsitznahme eines eigenen Mitglieds im ESA-Kollegium und eines eigenen Richter am EFTA-Gerichtshof hätte aushandeln können, wurde als bedeutungslos abgetan. Natürlich ging es dem EDA darum, einen PNR im oben angesprochenen Sinn zu setzen.

      Die Unaufrichtigkeit des Grundansatzes erreichte dabei einen ersten Höhepunkt: Das EDA verbreitete gebetsmühlenhaft (und mit Erfolg) die aberwitzige These, der EuGH werde die Schweiz ggf. nicht «verurteilen» können. Entscheidungsbefugt werde nur der paritätisch zusammengesetze Gemischte Ausschuss sein wo die Schweiz ein Vetorecht besitze. Auch über das Funktionieren des EWR und des EFTA-Gerichtshofs im Besonderen wurden unhaltbare Behauptungen zuhauf zum Besten gegeben. Vier Jahre bevor Donald Trump US-Präsident wurde, verschrieb sich die offizielle Schweizer Europapolitik dem Konzept des Arbeitens mit «Fake News» bzw. mit «Bullshit» im Sinne des amerikanischen Moralphilosophen Harry G. Frankfurt.

      Obwohl die europäische Integration mit dem Brexitentscheid des britischen Volkes einen schweren Schlag erhielt, sah sich der Bundesrat nicht zur geringsten Korrektur seiner PNR-Politik der EU gegenüber veranlasst. Das einzige, was ihm zum Brexit einfiel, war, den Abschluss eines bilateralen Handelsabkommen mit den Briten für die Zeit nach ihrem Austritt aud der EU anzustreben. Dass der Brexit eine Chance für die EFTA sein und dass sich das EWR-Thema in einem neuen Licht stellen könnte, wurde verdrängt. In Kapitel 8 wird das kritisiert. Kapitel 9 ist dem vorläufig letzten – und möglicherweise folgenschwersten – Versuch gewidmet, einen PNR zu schaffen. Nach dem Scheitern des «reinen» EuGH-Modells hat die Schweiz im Frühjahr 2018 informell akzepiert, dass Konflikte aus den bilateralen Abkommen von einem dem EuGH vorgeschalteten «Schiedsgericht» entschieden werden sollen. Da sie sich mit der EU aber über gewisse Modalitäten der Personenfreizügigkeit nicht einigen konnte, entschied der Bundesrat am 7. Dezember 2018, das Rahmenabkommen nicht zu paraphieren. Was das «Schiedsgericht» angeht, so kann niemand bestreiten, dass es praktisch keine eigene Entscheidungsbefugnis hätte. Die Bestrebungen, das Volk hinters Licht zu führen, nehmen hier beträchtliche Ausmasse an. Das 10. und letzte Kapitel enthält ein Plädoyer für einen Neustart in der helvetischen Europapolitik. In den Folgerungen wird vor allem ausgeführt, dass die in Bern seit 25 Jahren unterdrückte Option EWR – allenfalls in angepasster Form – in den Blick zu nehmen ist. Zu prüfen ist insbesondere, ob die Schweiz, zusammen mit Island, Liechtenstein und Norwegen sowie dem Vereinigten Königreich eine zweite Struktur in Europa bilden könnte, eine Struktur, die nicht auf politische, sondern auf wirtschaftliche Integration gerichtet wäre.

      Für wichtige Anregungen und kritische Anmerkungen bin ich (in alphabetisher Reihenfolge) meiner Frau, der Luxemburger Verlegerin Dr. Doris Baudenbacher-Tandler, unserer Tochter, der Brüsseler Rechtsanwältin Dr. Laura Melusine Baudenbacher, Professor Dr. Matthias Oesch, Ordinarius an der Universität Zürich, und Professor Dr. Philipp Zurkinden, Rechtsanwalt in Bern und Professor an der Universität Basel, verpflichtet. Es versteht sich von selbst, dass ich die alleinige Verantwortung für allfällige Fehler trage, die dieses Buch enthält.

London/St. Gallen, Januar 2019 Carl Baudenbacher

      Abkürzungen

AA Association Agreement
AB (Jahr) N Amtliches Bulletin (Jahr) Nationalrat
AB (Jahr) S Amtliches Bulletin (Jahr) Ständerat
AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
AJP/PJA Aktuelle Juristische Praxis/Pratique Juridique Actuelle (Schweiz)
AZ Aargauer Zeitung
BAZ Basler Zeitung
BBC British Broadcasting Corporation
BDP Bürgerlich-Demokratische Partei (Schweiz)
BGE Bundesgerichtsentscheid (Schweiz)
BuzzFeed US-Amerikanische Mediengesellschaft
CEO Chief Executive Officer
CHF Schweizer Franken
CNN Cable News Network
CVP Christlichdemokratische Volkspartei (Schweiz)
CVCE Centre Virtuel de la Connaissance sur l’Europe (Luxemburg)
DCFTA Deep and Comprehensive Free Trade Area
Economiesuisse Grösster Dachverband der Schweizer Wirtschaft
EDA Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten
EFD Eidgenössisches Finanzdepartement
EFTA European Free Trade Association
EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahé
EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrecht
ELR European Law Reporter (Luxemburg)
EMRK Europäische Menschenrechtskonvention
ESA EFTA Surveillance Authority

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