Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus
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In Noa Noa, diesem romantischen, idealisierenden Text, den Gauguin mit Nachhilfe des Schriftstellers Charles Morice im Winter 1893/94 in Paris ausarbeitete, um nicht zuletzt Stimmung für den Verkauf seiner Tahiti-Bilder zu machen, lieβ er sich über die Entstehung der Welt nach der Maori-Version, den Götterhimmel Tahitis, die Geheimgesellschaft der Insel, über Menschenopfer, Kannibalismus, Kindestötung und rituelle Prostitution aus, also über das alte Tahiti, das er liebte und nur aus dem Mund der jungen Tehura kannte und aus dem Buch Voyages aux Îles du Grand Océan von 1837 des belgischen Kaufmanns Jacques-Antoine Moerenhout, der von Chile aus durch die polynesische Inselwelt geschippert und zeitweise Konsul zunächst der Vereinigten Staaten, dann Frankreichs auf Tahiti gewesen war. Und in Noa Noa beschrieb Gauguin sein Leben als glücklicher Wilder unter den Relikten der besiegten Rasse und ihrer unterdrückten Kultur. In seinen Briefen aus Tahiti hingegen erzählte er eine andere Geschichte. Von Anfang an war er in Geldnot, zumindest wollte er den Adressaten seiner Briefe glaubhaft machen, dass er es sei, hauptsächlich seinem engsten Freund in dieser Zeit, dem Maler Daniel de Monfreid, der – neben Morice – für ihn als Verbindungsmann zur Pariser Kunstszene fungierte. Die Benefiz-Vorstellung im Pariser Théâtre d’Art zugunsten Gauguins und des verarmten Verlaine, die acht Wochen nach Gauguins Abreise aus Frankreich stattfand, warf keinen Gewinn ab, Gauguin hatte für sich mit etwa 1500 Francs Ausbeute gerechnet, »die werden mir hier schrecklich fehlen«, schreibt er im November 1891. Morice schuldet ihm Geld, aber schickt es nicht, Gauguin ist fassungslos, bereits im Mai 1892 überlegt er, nach Frankreich zurückzukehren, denn ohne Geld und ohne Aussicht auf Geld geht er vor die Hunde. Im Juni fährt er nach Papeete, will mit dem Gouverneur sprechen, um sich repatriieren zu lassen, vor der Tür des Gouverneurs trifft er einen Kapitän, der mit seinem Segelschiff alle Inseln abklappert und als Freibeuter gilt. Der Kerl drückt ihm 400 Francs in die Hand und sagt, er solle ihm ein Bild dafür geben, dann seien sie quitt. So etwas kann auch nur ihm passieren, meint Gauguin. »Meine ganze Existenz ist so: Ich stehe am Rande des Abgrundes und falle nicht hinein.« Wenig später sind die 400 Francs fast aufgegessen, er ist in der gleichen Lage wie zuvor und beantragt seine Rückführung nach Frankreich. Seit mehr als einem Jahr lebt er nun auf Tahiti, und die Pariser Galerien haben nichts verkauft. Er hat keine Leinwand mehr, aber zwei Holzschnitzereien gemacht und für 300 Francs verkauft. Dann bekommt er 300 Francs von Monfreid, damit kann er für den Augenblick durchhalten. Vor seiner Heimkehr nach Frankreich würde er gerne noch auf den Marquesas-Inseln arbeiten, doch dazu braucht er eine Summe, die ihm für einige Monate Ruhe verschafft. Die elenden Sorgen um das verfluchte Geld bereiten ihm geradezu Schmerzen, nicht dass er krank wäre, aber er ist abgemagert und schwach und ganz plötzlich erstaunlich alt geworden. Er isst und trinkt ja auch nichts, nur ein bisschen Brot und Tee, wollte er wilde Bananen im Gebirge holen, könnte er nicht arbeiten und bekäme einen Sonnenstich. Natürlich drückte er auf die Tränendrüse, doch übermäβig glücklich hörte er sich nicht gerade an.
Im November 1892 bekommt Gauguin aus Papeete Bescheid, er könne abreisen, wann er wolle. Anfang Dezember spricht er beim Gouverneur vor, der ihm eröffnet, er könne doch nicht abreisen, Paris habe gebeten zu prüfen, ob die Kolonie die Reisekosten tragen könne, eine solche Ausgabe erlaubten deren Finanzen jedoch nicht. Gauguin hatte sich schon darauf eingestellt, im Januar Tahiti zu verlassen; bis die Entscheidung eingeht, ob Paris die Kosten übernimmt, wird es Ende April werden, jetzt sitzt er wieder mit 150 Francs in der Tasche da. Ende Dezember sind es noch 50 Francs, Gauguin ist vollkommen niedergeschlagen. »Wenn ich richtig darüber nachdenke, so muss ich nach meiner Rückkehr mit der Malerei aufhören, die mich nicht zu ernähren vermag.« In 18 Monaten hat er nicht einen Centime mit seiner Malerei verdient, wovon soll er leben, wovon auch nur seine Farben kaufen? Gewiss, er wird einige Bilder nach Frankreich mitbringen, und diese Bilder sind besser als alles, was er bisher gemalt hat, doch das heiβt auch: noch schwerer zu verkaufen. »Ich sitze in der Tinte.« Im Februar 1893 steckt er »im gröβten Dreck«, er muss mindestens noch drei Monate warten, bis er abfahren kann, vorausgesetzt, der Minister genehmigt seine Repatriation. Gauguin erfährt, dass Morice ihm die erkleckliche Summe von 1353 Francs schuldet und Madame Gauguin in Kopenhagen Bilder für mehr als 2000 Francs verkauft hat; das Geld behält sie ein, schlieβlich zahlt er keinen Unterhalt für sie und die fünf Kinder. Von dem Geld könnte er seine Rückreise und den geplanten Abstecher nach den Marquesas selbst finanzieren, »ich bin toll vor Wut! Nur der Zorn hält mich noch aufrecht«. Dann findet er jemanden, der ihm gegen Zinsen und einige Bilder als Bürgschaft das Reisegeld vorschieβt, falls die französische Regierung ihn nicht auf Staatskosten zurückführt; so oder so wird er sich Anfang Mai einschiffen. Monfreid schickt ihm 300, dann noch einmal 700 Francs, hätte er das Geld einen oder zwei Monate früher erhalten, wäre er nach den Marquesas gefahren, aber das nächste Schiff zu den Inseln geht nun erst anderthalb Monate später ab, und er ist müde von dem ganzen Gerangel, er begräbt also seine Marquesas und wird eines Tages in Paris auftauchen, mit 66 mehr oder weniger guten Bildern und einigen ultrawilden Schnitzereien unter dem Arm.
In Noa Noa heiβt es am Schluss, gebieterische Familienangelegenheiten hätten Gauguin heimgerufen. »Ich scheide um zwei Jahre älter, um zwanzig Jahre jünger, barbarischer auch als bei meiner Ankunft, und doch wissender. Ja, die Wilden haben den alten Kulturmenschen viele Dinge gelehrt, (…) Dinge vom Wissen um das Leben und von der Kunst, glücklich zu sein.« Als Somerset Maugham im Jahr 1916 den Weg nach Mataeia fand, zeigte man ihm ein Haus, in dem sich drei Bilder Gauguins befinden sollten. Es war ein höchst schäbiges Holzhaus, so Maugham, grau und baufällig, auf der Veranda wimmelte es von schmutzigen Kindern, ein junger Mann lag auf dem Boden und rauchte, eine Frau saβ müβig daneben – die glücklichen Eingeborenen. In dieser Hütte war Gauguin eine Zeitlang von den Eltern des jetzigen Besitzers gepflegt worden, zum Dank hatte er die Bilder hinterlassen. Im Innern gab es keine Möbel, nur Strohmatten, und in einem der beiden Zimmer befanden sich drei Türen, zur Hälfte aus Glas, die Glasscheiben hatte Gauguin bemalt. An zweien waren Reste zu erkennen, die die Kinder noch nicht abgekratzt hatten, das dritte war ganz gut erhalten, dieses wollte Maugham käuflich erwerben. Der Hausherr verlangte nur den Wert einer neuen Tür als Bezahlung; was Gauguin so viel wert gewesen war, die Malerei, war dem edlen Wilden nichts weiter wert. Der Kulturmensch Maugham gab ihm das Doppelte, schraubte die Schaniere ab und sägte die untere Türhälfte ab, um das Bild leichter transportieren zu können.
Völlig abgebrannt kommt Gauguin im August 1893 in Marseille an. Von den 1000 Francs Monfreids hat er auf Tahiti seine Schulden beglichen, in Nouméa, wo er 25 Tage auf ein Anschlussschiff warten musste, Hotel und Gepäckaufbewahrung bezahlt und auf dem Schiff 400 Francs Zuschlag für die zweite Klasse abgedrückt, denn es befanden sich 300 Soldaten an Bord und jeder in der dritten Klasse hatte nur einen halben Quadratmeter Platz. »Teufel, welch dreckige Reise!« In Sydney herrschte Kälte, bis zu den Seychellen schlechtes Wetter, im Roten Meer unerträgliche Hitze, drei Hitzetote wurden über Bord gekippt. Gauguin telegrafiert seinen Freunden, sie sollen ihm Geld schicken, damit er von Marseille nach Paris fahren kann. In Paris erfährt er, dass sein Onkel in Orléans »den glücklichen Einfall zu sterben« hatte, die kleine Erbschaft muss er sich mit seiner Schwester teilen, für sich erwartet er etwa 10 000 Francs, mit deren Auszahlung ist aber erst in ein paar Monaten zu rechnen. Er stürzt sich in die Arbeit zur Vorbereitung der groβen Ausstellung seiner Tahiti-Bilder, die ihm den erhofften Durchbruch bringen soll, sowohl die breite Anerkennung als Künstler als auch die Aussicht auf eine finanziell einigermaβen gesicherte Zukunft. Er kauft Rahmen auf Pump, lässt Plakate und den Katalog drucken, zu dem Morice das Vorwort verfasst, zusammen mit Morice arbeitet er an Noa Noa, das Opus soll Verständnis für seine Kunst wecken, erscheint allerdings erst 1897 in der Revue Blanche in Fortsetzungen und 1901 als Buch. Mehr als 40 Bilder aus Tahiti hängt er in der Galerie Durand-Ruel aus, doch die Ausstellung wird ein Fiasko.