Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus

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Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus marix Sachbuch

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hatte diese Reise getan, nicht um den Urwald zu besichtigen, Krokodile zu streicheln und Schmetterlinge zu fangen, wie er drollig Ludwig Thoma schrieb, sondern um zu lernen, ruhig, geduldig, gleichmütig, heiter durchs Leben zu ziehen. Er lernte es nicht, fand nur sich selbst und seine Unruhe, auch wenn er hundertmal um Weisheit flehte und nach Frieden rang. Diese Reise war ein »Traumbesuch bei fernen Vorfahren«, eine erhoffte »Heimkehr zu märchenhaften Kindheitszuständen der Menschheit«. Aber die indische und malaiische Welt war nur ein bunter ethnischer Maskenball, auf dem die Reste einer Paradiesmenschheit tanzten, gutmütige, unbekümmerte Naturvölker, die vom Westen gefressen wurden. Inder und Malaien waren schwach und ohne Zukunft, doch anstatt sie wie jüngere Geschwister zu behandeln, führte sich der Europäer ihnen gegenüber als Eroberer, Dieb und Ausbeuter auf. Hesse wunderte und verletzte die Selbstverständlichkeit, mit der selbst nette und redliche Weiβe wie Hasenfratz die Natives als Unterworfene und weit niedrigere Wesen ansahen. Das war ein Zeichen von Schwäche, die sich als Stärke ausgab und sich zum Beispiel in der holländischen Version rühmte, die Eingeborenen besser in Zucht zu halten als die Briten, die ihre Natives angeblich verwöhnten. Was die Engländer »da drauβen im Pfefferland treiben und (…) als europäische Kultur servieren«, so Hesse, war bei aller Einseitigkeit doch recht schön. Am meisten imponierten ihm jedoch die Chinesen. Im Unterschied zu den Japanern, die allgemein unbeliebt und als Gauner verhasst waren, sprachen die europäischen Kaufleute von den Chinesen mit Achtung, trotz oder aufgrund einer Ahnung von Rivalität und Furcht vor ernsthafter Konkurrenz. Für Hesse waren die Chinesen das erste wirkliche Kulturvolk, das er sah, dem Westen zwar unterlegen in äuβeren Vervollkommnungen der Zivilisation, doch überlegen als Volk, als Einheit von Rasse und Kultur, in der das Individuum mit dem Ganzen verschmolz, als Gemeinschaft, die in langer Geschichte ihre Eigenart herausgebildet und gepflegt hatte, eine allgemein geteilte und zugleich spezifische Lebensart, wovon in Europa nur die Engländer eine Vorstellung hatten. Starken Eindruck auf Hesse machte die religiöse Ordnung und Gebundenheit all der Millionen Seelen Asiens, der Osten atmete Religion, wie der Westen von Vernunft und Technik lebte. Was Europa brauchte, wenn es überleben und seine Kultur bewahren wollte, war eine Art seelischer Lebenskunst oder seelischen Gemeinbesitzes, aber nicht über den Weg eines Religionsimports aus dem Osten, auch nicht durch Rückkehr zu Kirchenchristentum, schon gar nicht zu Urmenschentum und Paradiesunschuld, »zur Urwelt führt kein Weg zurück«. Es gab in Europa genauso wie in Asien eine zeitlose, gleichsam unterirdische Schicht von Gemeinsamkeit, eine Welt der Werte und des Geistes, und es war gut und richtig, im Frieden einer solchen geistigen Welt leben zu wollen, an der die Veden und die Bibel, Buddha und Goethe gleichermaβen Anteil hatten, dann endeten auch Europaflucht und Indiensucht. Dann konnte es auch eine Gemeinschaft über die Völkergrenzen und Erdteile hinweg, Zusammengehörigkeitsgefühl, Brüderlichkeit, Einigkeit, die Menschheit als Einheit, eine Weltgemeinschaft geben.

      Bald darauf begann der Erste Weltkrieg.

      Hesse fror elendiglich, als sie in Nebel und Regen von Nurelia aufbrachen. Nach neun Stunden Bahnfahrt erreichten sie das heiβe Colombo. Die »York« brauchte 16 Tage und 17 Nächte bis Genua. Äuβerlich war alles gleich, in Hesses Innerem alles anders als bei der Hinfahrt. Am Golf von Aden brannten die kahlen Felsen und weiβen Sandwüsten. Am Roten Meer ging die Sonne hinter Abessinien unter, über den ganzen Himmel spannte sich ein Fächer nordlichtartiger Strahlung, auf der anderen Seite färbten sich die Berge Arabiens rosa. Fünf Sonnenuntergänge später glühten am Suezkanal tausend winzige Wolken über Afrika, über der arabischen Wüste zog der groβe Vollmond herauf. Port Said schlief bereits, doch bei Einlaufen des Schiffs öffneten die Läden und Cafés wieder. Hesse schloss sich ein paar Lebemännern von Passagieren an und besuchte drei Bordelle, interessant war es nicht. Im Hafen von Neapel lag eine Menge Soldaten, die auf ihre Verschiffung in den Krieg warteten, nach Libyen, wo sie die Türken aus ihren letzten nordafrikanischen Besitzungen vertreiben sollten; die meisten sahen ernst und beklommen aus. Hesse ging ins Teatro Bellini, man gab Verdis La forza del destino.

II

      4.

       Das unentrinnbare Ich – Paul Gauguin in Polynesien

      Im gleichen Alter, in dem Rimbaud starb, wurde Gauguin wiedergeboren. Vorher führte der gelernte Seemann als Börsenmakler und Sonntagsmaler ein komfortables bürgerliches Leben mit Gattin und fünf Kindern, nachher verschrieb er sich der Kunst als Vollzeitmaler und hielt sich mit Gelegenheitsjobs, sporadischem Verkauf seiner Arbeiten und der Hilfe von Freunden über Wasser. Nachdem er im Zuge des Börsenkrachs von 1882 seine einträgliche Stelle bei der Bank Bertin in Paris verloren oder aufgegeben und sich in Kopenhagen mit der Familie seiner dänischen Frau überworfen hatte, kehrte er im Juni 1885 allein mit seinem sechsjährigen Sohn Clovis nach Paris zurück. Er hatte kein Geld, hoffte auf den Verkauf einiger Bilder, suchte an der Börse erneut Fuβ zu fassen, arbeitete zeitweise als Plakatkleber auf Bahnhöfen, schlug jedoch eine feste Anstellung als Inspektor bei der Werbefirma aus. Im kalten Winter 1885/86 lebte er mit dem tapferen Clovis »kümmerlich« zwischen den vier Wänden seiner unbeheizten Mietwohnung und litt Hunger, abends lag auf dem Tisch nichts weiter als ein Kanten Brot, nachts lag Gauguin in seine Reisedecke gewickelt auf der Pritsche und fand keinen Schlaf, wie er in Briefen an seine Frau Mette klagte, die es vorgezogen hatte, mit den übrigen vier Kindern im Schoβ ihrer Familie in Kopenhagen zu bleiben. »Möge Gott geben, dass der Tod uns alle dahinrafft. Das wäre das schönste Geschenk, das er für uns bereithalten könnte.«

      Ein Grafiker kauft Gauguin für 250 Francs ein Bild ab und vermittelt ihm die Bekanntschaft eines Keramikers, der Gauguin vorschlägt, für ihn im nächsten Winter Kunstvasen herzustellen. Man bietet ihm auch eine Stelle als Plantagenarbeiter in Ozeanien an, doch das würde seine ganze Zukunft als Künstler aufs Spiel setzen, an die er glaubt. Das Vernünftigste wäre, meint er, sich in ein kleines Nest der Bretagne zurückzuziehen, um ungestört arbeiten zu können, in der Bretagne sei es noch am billigsten. Mit Mühe bringt er das Fahrgeld auf, gibt Clovis in eine Pension, mietet sich im Fischerdorf und Künstlertreff Pont-Aven gegen monatlich 65 Francs für Kost und Logis in einem Gasthof ein – und lebt auf Kredit. Er arbeitet viel und mit gutem Erfolg, man hält ihn für den fähigsten Künstler der Kolonie, allerdings bringt ihm das nicht einen Sou ein. Er wird in diesem Beruf nicht fett, sagt er, sondern trocken wie ein Hering, die Geldsorgen bedrücken ihn, er will sich lieber das Leben nehmen als abermals ein Bettlerdasein wie im letzten Winter fristen. Glücklicherweise verbringt er Ende 1886 fast einen Monat in einem Pariser Krankenhaus, immer suchen ihn im Winter Katarrhe heim, schreibt er, diesmal glaubte er schon draufzugehen, aber sein verteufelter Körper aus Eisen gewann wieder die Oberhand, und zu seinem Leidwesen wird er aus dem Krankenhaus entlassen. Dann arbeitet er als Kunsttöpfer bei dem Keramiker, der Gauguins Tongefäβe für Meisterwerke hält, jedoch für allzu kunstvoll, als dass sie sich verkaufen lieβen. Im April 1887 fährt Gauguin nach Panama.

      Gauguins Schwester Marie, die sich in Paris zeitweise um Clovis kümmerte, hatte ihrem Bruder einen Floh ins Ohr gesetzt. Ihr Mann, der kolumbianische Kaufmann Juan Uribe, der in Panama eine Handelsniederlassung hatte, dachte – vielleicht – daran, dort ein Kommissions- und Bankhaus zu eröffnen, und brauchte jemanden, der zuverlässig und im Bankfach bewandert war, ihn vertrat, wenn er auf Reisen in Europa weilte, und ihn nicht bestahl. Gauguin versetzte diese Perspektive nicht gerade in Verzückung, doch er fuhr trotzdem nach Panama. Ihn trieb vor allem der Wunsch, aus Paris zu fliehen, »das eine Wüste für einen armen Teufel ist, wie ich es bin«. Sein Ruf als Künstler wuchs von Tag zu Tag, manchmal hatte er jedoch tagelang nichts zu beiβen, hinzu kam die Hoffnungslosigkeit, an der sein Leben zu zerbrechen drohte, schrieb er seiner Frau. All das untergrub seine Gesundheit und vornehmlich seine Energie, und um diese zurückzugewinnen, hatte er eine bessere Idee, als ins Bankgeschäft zurückzukehren. Eine Meile von Panama-Stadt entfernt gab es eine kleine, vom Stillen Ozean umspülte Insel, die er aus seiner Zeit bei der Handelsmarine kannte: Taboga, fast unbewohnt und sehr fruchtbar, Früchte und Fische bekam man spottbillig, und die Luft war sehr gesund. Dort wollte er »wie ein Wilder leben«, fern von allen Menschen neue Kraft schöpfen und malen.

      Zusammen

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