Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus

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Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus marix Sachbuch

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Opernsängerin, der Schweizer Direktor eines Elektrizitätswerks bei Kuala Lumpur, Hesse leidet an Schlaflosigkeit sowie Magen- und Darmbeschwerden, mehr noch vielleicht unter dem Vegetieren, an Untätigkeit und Smalltalk, »er meint«, schreibt Sturzenegger nach Schaffhausen, »man komme hier aus der Operette nicht heraus«.

      Nach fünf Tagen kommt die ägyptische Küste am Nildelta in Sicht, ein schmaler Streifen gelben Landes mit einzelnen, merkwürdig verlassenen und seltsam zwischen Himmel und See schwebenden Palmen. Port Said liegt grell und öde, neu und kahl in der Sonne, hat nur wenige arme Bäume, aber der Hafen ist voller Boote mit schönen Arabern und voll prächtiger Kohlenträger. Dann der schmale, endlose Suezkanal, zur einen Seite Sand und Schlamm, zur anderen der lange gerade Bahndamm mit Gebüsch, dahinter Lachen, Sümpfe, Binsenteiche. In der Nacht verstummt die Maschine, das Schiff verharrt regungslos in unerhörter Stille, bleiche Sandhaufen liegen im matten Mondlicht, giftige Reflexe zucken über den schwarzen Wasserstreifen, entfernte Scheinwerfer ziehen genauso lautlos und unheimlich ihre geradlinige Bahn wie der fürchterliche Kanal, es ist die ödeste Gegend, unsäglich tot und unwirklich, hier ist zum ersten Mal alles fremd, ein anderer Erdteil, die »Prinz Eitel Friedrich« liegt wie verzaubert in der Wüste. Das Rote Meer wird seinem Ruf gerecht, eine tolle Hitze und schwere Schwüle lasten auf ihm, Hesse schwitzt ohne Pause, die fliegenden Fische und springenden Delphine sind quicklebendig, die Passagiere aber liegen wie tot herum, erschöpft und schläfrig, die Dritte-Klasse-Chinesen halbnackt. Die Inseln im Bab al-Mandab sind völlig nackt, purer glühender Fels, es ist eine quälende Hölle, besonders abends im Smoking. Hinter Aden sorgt eine leichte Brise für Erleichterung, beim Verlassen des Golfs werden Wind und Seegang stärker, bald ist alle Welt seekrank und liegt abermals elend herum, bei Tisch sind mehr Stühle leer als besetzt. Hesse hält sich leidlich aufrecht, das Meer ist wild und aufregend schön, dann lässt der Sturm nach, es wird wieder wärmer, viele Tage lang ist nichts als die blauschwarze Scheibe des Indischen Ozeans zu sehen, das kreisrunde Meer in seiner grausigen Unendlichkeit, darüber der glühende Himmel und nachts die in sattem Dunkelblau strahlende Weite des Sternenzelts, und inmitten des Kosmos schleicht verloren und sinnlos das Schiff dahin, Hesse lehnt melancholisch an der Reling und gibt sich der »Trauer des ungeheuren leeren Horizonts« hin.

      Nach 16 Tagen an Bord endlich neun Stunden Landgang in Colombo, neun Stunden bunter, greller Orient, die erste Kostprobe der Tropen. Die Bordkapelle schmettert, die Passagiere drängen in die Motorboote und in die Barken mit den nackten Ruderern, am Strand wedeln die Kokospalmen, in der Ferne ragen fantastisch schöne Berge auf, die Damen entfalten ihre Sonnenschirme, die Herren setzen sich ihr Wahrzeichen auf, den Tropenhelm. Die neue Stadt ist hübsch und lebendig, doch brutal europäisiert, ein kleiner Tempel mit hundert Figuren an der Fassade und heilig goldener Dämmerung im Innern repräsentiert das alte Colombo. Auf dem Eingeborenenmarkt sieht er wunderliche, aromatische, saftige Früchte und schöne dunkelbraune Menschen, der Orient ist köstlich und märchenhaft, die Frauen tragen Goldplatten in den Nasenflügeln, die Kinder betteln, überall liegen Würde und Groteskerie nah beieinander. Man fährt mit der Pferdekutsche zum eleganten Galle Face Hotel ans Meer, Händler und Gaukler mit Kobras und Mungos lagern davor, man trinkt Whisky und spielt Billard, dann nimmt man eine Rikscha und fährt mehrere Stunden an herrlichen Gärten mit seltsamen Bäumen und groβen Schmetterlingen, an Sportanlagen, Polospielfeld und Badeplatz vorbei und durch schillernde Gassen mit kleinen Läden. Die leicht und zart gebauten Singhalesen mit ihren mageren Prinzengesichtern und ergebenen Rehaugen sind höflich, kindlich, lachen gern, die weiβen indischen Soldaten mit Turban sind schöne stolze Männer und haben die Zähne rot vom Betelkauen, Ceylon ist unwirklich, fabelhaft in seiner grellen Farbenfülle. Für Hesse ist Europa grell, Arabien grell, Indien grell, aber jeweils anders grell.

      In George Town auf Penang (Pinang), einem der britischen Straits Settlements an der Malaiischen Halbinsel, werden Hesse und Sturzenegger von dessen Bruder abgeholt und als Erstes zum malaiischen Schneider geführt, der den Neuankömmlingen Maβ zu nehmen hat für standesgemäβe weiβe Tropenanzüge. Weiter per Rikscha zum Eastern and Oriental Hotel, dem schönsten Europäerhotel der hinterindischen Halbinselwelt, in dem Hesse eine fürstliche Wohnung angewiesen wird: Vorzimmer, Schlafzimmer, ein Riesenbett mit Moskitonetz, Waschraum, Ankleidezimmer, ausschweifend bequeme Liegestühle, vor der Veranda klatscht das blaugrüne Meer an die Mauer, ehrwürdige Palmen stehen im roten Sand, die rotbraunen und gelben Segel der Dschunken leuchten. Vom stickigen Kabinenloch in die luxuriöse Sahib-Suite, in den Tropen wird man automatisch befördert und ist gleich wer. Ein kleiner Chinese mit Philosophenaugen und Diplomatenhänden trägt im luftigen Vorzimmer geräuschlos Tee und Bananen auf, zum Dinner geht es in den hübschen Speisesaal, wo man bei ganz guter Tafelmusik das üble Essen eines anglo-indischen Hotels mit leiser Enttäuschung hinunterwürgt. Dafür entschädigt die Nacht, die keine ist, denn hier gibt es keinen Sonntag und keine Nacht, sondern überall und zu jeder Stunde brennendes Leben. Der flinke, starke Rikschakuli läuft in frohem Trab in die drollig elegante Stadt, an allen Amtsgebäuden und groβen Kaufhäusern prangt eine Art Pseudorenaissance, die Chinesenhäuser hingegen sind einfach, leicht und hübsch, überall sieht man Chinesen, die heimlichen Herrscher des Ostens, überall chinesische Läden, Werkstätten, Schaubuden, Teehäuser, Freudenhäuser, hin und wieder geht es durch eine Malaien- oder eine Hindugasse an weiβen Turbanen über dunklen Vollbärten und an Frauengesichtern voller Goldschmuck vorbei. Köche sieden und braten auf der Straβe, ihre Klienten essen an langen Brettertischen für zehn Cents nicht schlechter als Hesse für drei Dollar im Hotel gegessen hat, kleine Straβenhändler kauern auf hohem Brett über ihrer Bude und warten geduldig auf Abnehmer für eine Handvoll getrocknete Fische oder ein Häuflein Betel, in einer Schusterwerkstatt hämmern und nähen 20 Arbeiter, ein Barbier schert ruhig und würdevoll am Rand der brausenden Straβe, Obsthändler verkaufen fantastische Erfindungen einer überbordenden Natur, auf Arbeit wartende Träger hocken zusammen und erzählen sich Geschichten, ein muslimischer Kaufmann breitet auf seinem Ladentisch Tücher aus, die fast immer aus Europa stammen. Auf dem Bordstein sitzen japanische Dirnen und gurren wie fette Tauben, in den chinesischen Bordellen glänzt golden der Hausaltar gegenüber dem Eingang, auf offenen Veranden über der Straβe spielen sich alte Chinesen beim Glücksspiel heiβ, andere liegen und rauchen, alle Gestalten der östlichen Märchen sind hier versammelt, nur die Könige, Wesire und Henker fehlen.

      Man besucht eine Bretterbude von chinesischem Theater, die Chinesen sitzen Zopf an Zopf, die Männer still und rauchend, die Frauen still und Tee trinkend, in alten Kostümen wird ein altes Stück gespielt, von dem Europäer wenig verstehen, Gebärden und Bewegungen sind streng vorgeschrieben und perfekt einstudiert, alles ist stilisiert und zeremoniell, alles greift rhythmisch und harmonisch ineinander, Schritte, Gesten, Stimmen und Musik sind tadellos aufeinander abgestimmt, die einfache Melodie kehrt immer wieder, monoton, mit winzigen Variationen, die ewigen Becken- und Paukenschläge stören allerdings, sonst ist alles fein und delikat, nur etwas zirpend. Leider geht man auch noch in ein Malaientheater, malaiische Mimen singen und tanzen die Räubergeschichte von Alibaba, die Musik ist völlig europäisch und stammt aus einer modernen Harmoniummaschine, übler Operettenstil, varieteeartig, die Prachtkulissen sind wahnsinnig grell und von grotesker Hässlichkeit, in gelungener Spekulation auf die »Affeninstinkte« der Malaien fabriziert, es ist eine unfreiwillige Parodie auf alle Entgleisungen europäischer Kunst. Hier und jetzt wie auch später und überall sieht Hesse die armen Malaien, diese lieben, schwachen Kinder, rettungslos den schlimmsten europäischen Einflüssen ausgeliefert. Anderntags Visite in Sturzeneggers hiesigem Geschäft, dort arbeiten chinesische Schreiber mit feinen zarten Händen klug und still und machen freundliche Gesichter, malaiische, chinesische und indische Händler kaufen ein, der Import versaut den Osten mit Kleiderstoffen, üblen Tassen, Tellern, Schuhen, Whisky, Spielkarten. Ausflüge führen im Autobus am Strand und an Kokos- und Fächerpalmen und primitiven Rohrhütten der Fischer entlang, durch Europäerstraβen mit hübschen Villen in weiten dunklen Gärten, zu Fuβ den Penang Hill hinauf zum Cray Hotel, wo man ein Bad nimmt und die Kleider wechselt und den Lunch einnimmt, zurück durch Farnwildnis und den Dampf fruchtbarer Täler, durch Kokoshaine und Dörfer, vor deren Hütten Muskatnüsse auf Tüchern trocknen.

      Auf dem Festland fährt man per Eisenbahn durch Kautschukpflanzungen und Urwaldrodungen Richtung Singapur. In jedem Coupé erster Klasse sind vier breite Ledersessel,

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