Reisen nach Ophir. Rolf Neuhaus

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Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus marix Sachbuch

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weiβ man nur in den Tropen«. Dann legten sie sich unters Moskitonetz und schliefen oder lauschten dem Konzert der Insekten oder hörten dem Regen zu, wie er zart übers Blätterdach rieselte oder wütend auf den Wald trommelte, sogen durchs offene Fensterloch den schweren Geruch des aufgewühlten Urwaldbodens ein und spürten die wilde Natur vor Geilheit brodeln. Hier fühlte sich Hesse im Schoβ der Natur, hier war die Welt noch genauso wie vor hunderttausend Jahren, an die gefällten Eisenbäume dachte er nicht mehr. Ihre leeren Flaschen versenkten sie im Fluss, bevor sie mit dem chinesischen Raddampferchen zurück nach Djambi fuhren, auf ihm den nächsten Saufabend veranstalteten und 19 Flaschen auf dem Tisch hinterlieβen.

      Pelaiang war der erste Ort auf dieser Reise, der Hesse sehr gefiel und wo er gern länger als vier Tage geblieben wäre; er sollte der einzige bleiben, von dem er dies sagte. Hans Sturzenegger hingegen war von Pelaiang und dem Urwald enttäuscht, für ihn war der Dschungel »zu chaotisch in der Form, nicht darstellbar, unsere Wälder sind schöner«, schrieb er in sein Tagebuch. Auβerdem ärgerte er sich über die Malaienweiber, gerade die hübschesten wollten sich partout nicht abzeichnen lassen, jedes Mal, wenn er sich ihnen mit dem Malkasten näherte, stoben sie davon. Im Übrigen ermüdete ihn das Klima: »Das kleinste Aquarell strengt mich hier zehnmal mehr an als zu Hause«.

      Auf einem holländischen Schiff fuhren die Kumpane über das ölglatte Meer nach Palembang im Südosten Sumatras, Hasenfratz war mit von der Partie. Palembang war eine 75 000 Einwohner zählende, fantastische Pfahlbau- und Wasserstadt, die sich zu beiden Seiten des Musis und an den sumpfigen Ufern zahlloser Zuflüsse und Kanäle entlangzog. Auf dem Wasser herrschte viel Betrieb, im kleinsten Kanal drängelten sich hundert schlanke Prauen, Marktfrauen mit Fischen und Krebsen im Boot, fliegende, sprich schwimmende Händler mit Erfrischungen, Hausierer mit ihrem Kram, die alle Buden abklapperten. Auf dem Fluss lagen Flöβe mit chinesischen Kaufläden oder mit Bambushütten, in denen Baumwolle aus dem Hinterland lagerte, über das Wasser zogen Kähne, auf denen Kochfeuer brannten. Auβer im Strom mit seinen Krokodilen badete alle Welt in den Wasserstraβen, die Kinder nackt, die Frauen verhüllt, und überall sah man Leute, die in aller Unschuld auf der untersten Stufe der Treppe, die von jedem Haus ins Wasser führte, ihre Notdurft verrichteten, gleich daneben putzte sich der Nachbar die Zähne oder wusch seinen Reis. Und überall in der malerischen Stadt spiegelten sich die Pfahlbauten in dem bräunlichen, wenig bewegten Wasser.

      Den halben Tag lag Palembang im Wasser, die andere Hälfte des Tages im Schlick. Viermal am Tag wechselte das Wasser die Flieβrichtung, zweimal am Tag floss es flussaufwärts. Palembang lag 70, 80 Kilometer vom Meer entfernt, aber nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Bei Ebbe sog das Meer den Strom aus, und Palembang blieb in einem Brei aus grauem, zähem Schlamm und schwarzem Wasser und all seinem Markt- und Küchenabfall und Mist und Kot liegen, ein Dreck, der unter der unbarmherzigen Äquatorsonne rasch gärte und fabelhaft stank. Die Locals badeten trotzdem in dieser Brühe. Der Giftgestank überzog die ganze Stadt und verfolgte besonders Hesse bis in sein Zimmer im Hotel Nieukerk und in den Schlaf. Auf dem Fischmarkt erhielt der Güllegeruch eine extravagante Note, lebende Fische aller Art lagen herum und abgeschlagene Köpfe auf groβen Haufen. Palembang handelte mit Gummi und Rotang, Kaffee und Pfeffer, Elfenbein und Baumharz, mit Spitzen und den Erzeugnissen seiner Erdölraffinerien und importierte imitierte Sarongstoffe aus England und der Schweiz, Bier aus München und Bremen, sterilisierte Milch aus Holland und Mecklenburg, eingemachte Früchte aus Kalifornien. Japanische Schundgeschäfte versorgten die Einheimischen mit billigem, goldglitzerndem Schmuck aus Deutschland und Amerika, in den Europäerläden gab es Uhren, Schnitzereien, geschmacklose und hinterwäldlerische Geschenkartikel aus Glas, Zinn und Silber, die selbst in Europas Kleinstädten wohl nicht mehr an den Mann zu bringen waren. Hesse kaufte auf dem groβen bunten, üppig stinkenden Basar einen alten chinesischen Seidenschal für dreieinhalb Gulden, nur anderthalbmal so viel wie eine Zwölfdutzendschachtel europäischer Stahlfedern kostete. Trotz der hohen holländischen Zölle war das Leben hier halb so teuer wie in den Freihäfen der britischen Straits Settlements mit ihren Prachthotels und dem Essen, das man dort vorgesetzt bekam, gegen das eine hiesige Reistafel im ungünstigsten Fall Manna war.

      Im würzigen Urwald holten Hesse und Genossen tief Luft. Sie lieβen die stinkende, zugegebenermaβen unvollendete städtische Zivilisation hinter sich und fuhren mit der Flut ein schmales Nebenflüsschen hinauf, vorbei an fischenden Malaien, badenden, schreienden Kindern, hinter den letzten Hütten kamen nur noch Sumpf und Busch und Bäume am Ufer und im Wasser. Der Bach wurde zusehends schmaler und seichter, aber die Prau hatte kaum eine Handbreit Tiefgang, und schwankend tauchte sie tief in die schweigende Wildnis ein. Bald lieβen sich die Bäume nicht mehr voneinander unterscheiden, Wurzeln, Luftwurzeln, Äste, Schlingpflanzen, Lianen, alles wuchs durcheinander und bildete ein dichtes Blätterdach, das Boot schob sich durch groβblättrige Wasserpflanzen, ein Eisvogel flog auf, der Bach wand sich jeden Augenblick in neuer Biegung, alle saβen stumm und staunend da, trieben durch die grüne Dämmerung und verloren das Raum- und Zeitgefühl, der Dschungel umschlang sie. Plötzlich wurde der Zauber durch wildes Geschrei gebrochen, eine Horde groβer grauer Affen schwang sich durch das Dickicht, die langschwänzigen Tiere glotzten aus der Höhe Boot und Insassen fassungslos an, knurrten und schnaubten empört, schimpften und fauchten, zeterten und fletschten aus nächster Nähe die Zähne. Da zogen es die Eindringlinge vor, still und behutsam umzudrehen, statt sich von hundert Affen erwürgen zu lassen. Sie probierten es mit einem bereits profanierten Fluss, dem breiten Ogan, und gingen auf die Suche nach malaiischer Unschuld und Krokodilen. Weiber und Kinder standen am Strand und starrten sie an, und sobald das Dampferchen näher kam, rannten sie mit den Händen vorm Gesicht davon. In einem Dorf wurde ihnen eine junge Tänzerin vorgeführt, die krallenartige Verlängerungen mit Silberglöckchen an den Fingern trug und zu Trommel-, Pauken- und Kesselklängen leise mit Armen, Händen und Fingern tanzte. Einen Fischadler verfehlten sie, und die drei Krokodile, die sie sichteten, verschwanden im Wasser, bevor sie zum Schuss kamen.

      Nach fünf Tagen in Palembang wollten sie mit einem chinesischen Dampfer nach Singapur zurückfahren. Nach fünf Tagen in dieser sonderbaren Stadt voller Jauche und Moskitos, Hitze und Schweiβ und ohne Bad fieberte Hesse schlaflos der Abfahrt entgegen. Doch das Schiff kam nicht. Zu lesen hatte er längst nichts mehr, seine Bücherkiste stand in Singapur, er konnte nichts anderes tun als sich in der Stadt herumtreiben und viele lange Stunden lang liegen und warten und malaiische Vokabeln lernen und sich bei dem Gedanken beruhigen, alles Widerwärtige dieser Tage würde bald vergessen sein und nur das Schöne und Bunte in der Erinnerung überleben. So vergingen zwei Tage, ehe der Dampfer einlief, und ein weiterer Tag, bis es hieβ, am nächsten Tag liefe er vielleicht aus, man solle sich aber schon abends einschiffen. Hesse & Co. vermieden mittels zweier Zigarren eine erneute Zollkontrolle, fuhren im Boot zum Schiff hinaus, tasteten sich in der Dunkelheit mit ihrem Gepäck halsbrecherisch über Boote und schlafende Ruderkulis zum Fallreep des Dampfers, der noch beladen wurde, 20 Lastkähne mit Rotang lagen beim Schiff, hundert Kulis liefen an Deck herum, man kletterte über Kisten und Balken und traf auf den holländischen Kapitän. Hesse bekam eine von Dampfrohren umgebene Kabine über dem Heizraum, das elektrische Licht und der Ventilator funktionierten nicht, ein stinkendes Petroleumlämpchen übernahm die Beleuchtung, das Bullauge war so groβ wie das Zifferblatt einer Taschenuhr. Heftiger Regen brach aus, der das Verladen hinauszögerte, man saβ auf Deck im kümmerlichen Regenschutz und hielt sich mit Zigarren wach, alle waren sie halbtot vor Müdigkeit und genervt von Hitze, Gestank, Lärm und Enge. Schlieβlich zog sich Hesse in seine Kabine zurück, lag dort wie im Dampfbad, von seiner herabhängenden Hand fielen groβe Tropfen, über ihm liefen die Kulis mit dröhnenden Schritten hin und her, das Schiff hallte von den Ladekränen wider, es wurde die ganze Nacht hindurch beladen. Hesse stand wieder auf, irrte auf Deck umher, stieβ sich an Kisten, fiel über Schläfer, warf einen Käfig mit Affen um und fühlte sich bei Tagesanbruch vollkommen zerstört. Es war die schlimmste Nacht der ganzen Reise.

      Hesse hatte noch nie frühmorgens eine Flasche Bordeaux getrunken, jetzt tat er es aus lauter Verzweiflung. Der Dampfer, der vor drei Nächten hätte auslaufen sollen, lag immer noch da und nahm Rotang auf. Doch gegen Mittag legte er ab und fuhr langsam flussabwärts. An Bord nahm Hesse sein erstes Bad nach zehn Tagen, seifte sich gründlich ein und begoss sich mit frischem Flusswasser, danach

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