Fiona - Reloaded. Zsolt Majsai
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Irgendwann wird sie ruhiger und atmet wieder gleichmäßig. Sie hebt den Kopf.
„Entschuldige.“
„Was?“
„Dass ich dich vollgejammert habe. Es ist schon lange her.“
„Warum weinst du dann?“
„Weil ich mich erinnere. Und es wehtut.“
Ich wende mich ab und starre ins Feuer.
„Es tut mir leid, ich habe nicht daran gedacht. Du würdest dich ja gerne erinnern.“
Ich nicke.
„Ist da gar nichts? Nicht einmal Schmerz?“
„Nein.“
„Das ist traurig. Dann hast du ja gar nichts. Wirklich gar nichts. Das ist sehr traurig.“
Und sie ist wirklich betrunken.
Ich erhebe mich und sehe auf sie hinunter. „Ich komme wieder, wenn du nicht mehr betrunken bist.“
Sie bleibt sitzen und stiert vor sich hin, während ich gehe. Ich verlasse das Haus. Mein Ziel ist die Stadt. Ich muss vorsichtig sein, die Menschen in der Stadt sind komisch. Sie tun so, als hätten sie Angst vor mir. Warum denn? Ich tue ihnen nichts, wenn sie mich in Ruhe lassen.
Die Stadt ist auf der anderen Seite des Flusses und es gibt eine Brücke. Sie ist aus Stein, ich muss aufpassen, um nicht auszurutschen. Vor allem wenn es regnet, sind die Steine sehr glitschig.
Ich brauche ein neues Kleid. Doch weit in die Stadt hinein will ich nicht gehen. Je mehr Menschen mich sehen, desto gefährlicher für mich. Vor allem, wenn sie merken, dass ich eine Frau bin.
Nach der Brücke kommen erst einige Häuser in größeren Abständen. Eigentlich sind es mehrere Häuser, die zusammen gehören. Höfe, hat mir mal Grauhaar erklärt. In einem Gebäude wohnen die Menschen, in den anderen die Tiere. So ganz habe ich das nicht verstanden, doch es interessiert mich auch nicht wirklich.
Der Weg führt in einiger Entfernung von den Höfen her. Bäume und Sträucher schützen mich davor, gesehen zu werden. Aber ich sehe die Höfe. Und ich sehe, dass auf einem Wäsche zum Trocknen hängt. Da sind auch Kleider dabei.
Ich schleiche mich heran. Hohes Gras und Gebüsch dienen mir als Deckung. Zum Schluss kommt ein Stück, auf dem ich mich nicht verstecken kann. Das ist der gefährlichste Teil.
Ich verharre hinter einem Strauch und lausche. Kindergeschrei ist zu hören, sonst nichts. Es ist ziemlich nah. Das gefällt mir nicht. Kinder haben meist bessere Augen und Ohren als die Erwachsenen.
Ich kaue nachdenklich auf meiner Unterlippe herum. Ich könnte weitersuchen, auf einem anderen Hof. Das hieße, dass ich noch länger auf dieser Seite des Flusses bleibe. Auch das ist gefährlich, vielleicht sogar gefährlicher als Kinder, die irgendwo in der Nähe spielen.
Ich mustere die Kleider, die aufgehängt sind. Der Wind spielt mit ihnen. Sie könnten mir passen. Und sie sind sauber und nicht zerrissen wie meins.
Ich sollte es wagen.
Die Kleider hängen an einem aufgespannten Seil. Ein Ende des Seils ist am Haus befestigt, das andere an einem Baum. In der Nähe des Baums flattert ein Kleid, das meinen Zwecken völlig genügen würde. Ich kann schnell hinrennen, es nehmen und wieder in mein Versteck zurückkehren.
Ich lausche kurz auf das Geschrei, um sicherzugehen, dass die Kinder mich nicht bemerken können, dann setze ich meinen Plan um. Ich brauche nur wenige Augenblicke dafür. Gleich darauf hocke ich keuchend hinter dem Strauch und halte das erbeutete Kleid in den Händen.
Nach kurzem Zögern ziehe ich das alte aus und das neue an. Das alte schiebe ich so unter das Gestrüpp, dass es kaum zu sehen ist, dann mache ich mich auf den Rückweg.
Als die Brücke in Sichtweite kommt, beginne ich leise zu summen. Ich habe doppelt Glück gehabt. Ich musste gar nicht wirklich in die Stadt gehen und ich wurde nicht gesehen.
Auch ich darf mal Glück haben. Das hat jedenfalls der Alte bei irgendeiner Gelegenheit gesagt. Als er noch gelebt hat. Der Gedanke an den Alten lässt mich verstummen und meine gute Laune ist fort.
Ich betrete die Brücke. Die Steine sind hart unter meinen nackten Sohlen, ich muss vorsichtig gehen, damit ich mich nicht schneide. Wie kann man nur so blöde Brücken bauen?
Als ich fast in der Mitte der Brücke bin, höre ich plötzlich ein Geräusch. Ich verharre. Lausche. Dann wird mir klar, dass es Pferde sind, die im Galopp ankommen. Kaum wird mir das klar, tauchen sie auch schon aus dem Wald auf und kommen auf mich zu.
Hastig versuche ich, auf eine Seite der Brücke zu gelangen, um aus dem Weg zu sein. Dabei stolpere ich, weil ich mich an einer blöden Steinkante doch noch schneide. Zwar hat die Brücke Seitenbegrenzungen, aber sie sind gerade mal kniehoch. Und aus Steinen. Beim Versuch, mich mit den Händen abzustützen, rutsche ich ab, vom eigenen Schwung getragen. Während mein Kopf gegen etwas Hartes kracht, setzt mein Körper ohne mein Zutun den Weg ins Wasser fort.
Dann wird alles dunkel.
Kalt. Dunkel. Gestank. Alles gleichzeitig.
Ich hebe den Kopf. Spüre Steine unter dem Bauch. Von rechts kommt kaum bemerkbares Licht. Das flackernde Licht einer weit entfernten Kerze wahrscheinlich. Die Steine sind kalt. Und ich bin nicht allein. Ich höre Menschen atmen. Viele Menschen. Einige flüstern.
Ich setze mich auf. Kälte, Gestank, fast völlige Dunkelheit. Das Letzte, was ich sah: Soldaten.
Ich bin im Kerker. Grauhaar hat davon erzählt. Böse Menschen kämen hierher. Aber ich bin nicht böse. Was habe ich denn getan? Ja, ich habe die drei Männer getötet, aber böse waren sie, nicht ich.
Was ist überhaupt passiert? Ich war auf der Brücke, bin ausgerutscht und mit dem Kopf gegen die Seitenmauer gestoßen. Ich taste nach der Stelle und spüre getrocknetes Blut. Ich bin wohl in den Fluss gefallen. Vermutlich haben mich die Soldaten herausgeholt.
Warum haben sie mich in den Kerker gebracht?
Ich atme tief durch, um die Angst zu beherrschen, die aus meinem Bauch kriecht und den ganzen Körper in ihren Besitz bringen will.
„Neben mir ist noch Platz.“
Es ist die Stimme eines alten Mannes. Er klingt nicht so, als wäre er gefährlich. Nach kurzem Nachdenke krabbele ich in seine Richtung, bis ich ein Bein berühre. Dann spüre ich seine Hand, die mir den Weg weist. Er sitzt mit dem Rücken an der Wand.
Links von mir sitzt oder liegt auch jemand und atmet ganz schwach. Grauhaar hatte wohl recht, als sie meinte, hier käme niemand lebend raus. Der links von mir kommt bald hier raus, das höre und spüre ich.
„Danke“, sage ich leise.
„Gerne getan. Die Wärter sagten, sie bringen eine Diebin. Was hast du gestohlen? Brot?“
„Ein Kleid. Mein altes war blutig und zerrissen.“
„Verstehe.