Antisemitismus. Achim Bühl
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Der seit Langem schwelende Konflikt zwischen hellenisierenden und traditionellen jüdischen Kräften eskalierte, als der seleukidische Herrscher auf dem Rückweg von Ägypten aufgekommenen Unruhen in Jerusalem Herr zu werden versuchte und bei dieser Gelegenheit in den Tempel einbrach, um sich des Tempelschatzes zwecks Auffüllung leerer Kriegskassen zu bemächtigen. Die dergestalt von ihm provozierte Rebellion unterdrückte Antiochos IV. mit äußerster Gewalt und nahm Rache, indem er den Jerusalemer Tempel in eine Kultstätte des semitischen Gottes Baalshamin verwandelte. Per Dekret verfügte er ein Verbot der Brand- sowie der Speiseopfer im Tempel. Die Beschneidung, die Einhaltung des Sabbats, das Feiern jüdischer Feste sowie der Besitz der Tora wurden bei Todesstrafe verboten. Das Religionsgesetz des Antiochos IV. lief auf den Versuch einer Vernichtung der jüdischen Religion hinaus, auf eine Zwangshellenisierung. Praktizierende Juden sahen sich unter seiner Herrschaft schweren Verfolgungen ausgesetzt. Während unter Alexander d. Gr. Toleranz gegenüber der jüdischen Religion waltete und die Judenfeinde weitgehend defensiv verharrten, ihren Groll indes bereits in literarischen Schriften artikulierten, gewannen sie mit den Maßnahmen des Seleukidenherrschers die Oberhand. Die religiösen Bestimmungen, welche die offene Abkehr vom Judentum erzwingen wollten, führten zum bewaffneten Widerstand, dem Makkabäer-Aufstand. Die Anführer des Aufstands, die den ägyptischen Rückzug registriert hatten, waren sich der Tatsache durchaus bewusst, dass sie gegen das Seleukidenreich langfristig chancenlos waren. Der naheliegende Gedanke war ein Bündnis mit Rom, das im Jahr 161 v. Chr. zwischen Rom und Judäa formell geschlossen wurde. Der politische Abfall Judäas führte bei der hellenistischen Oberschicht zu einem ausgeprägten Antisemitismus, der sich hinsichtlich seiner ideologischen Muster der Narrative bediente, die in Ägypten bereits seit Längerem zirkulierten. Die Funktion der griechischen Propaganda bestand laut Yavetz darin, Zwietracht zwischen Juden und Römern zu stiften, es sollte ein Keil zwischen die beiden Partner getrieben werden, indem man mit allen nur erdenklichen Narrativen den Juden einen schlechten Leumund bescheinigte. Die Römer sollten ihren neuen Verbündeten misstrauisch beäugen, durch das Säen von Zwietracht sollte ihr politisches Bündnis untergraben werden. Die Juden dienten zugleich als Sündenbock für die Verarbeitung der Schmach des missglückten Ägypten-Feldzugs des Seleukiden-Herrschers. Bei der hellenistischen Kampagne handelte es sich gewissermaßen um eine antike Variante der „Dolchstoß-Legende“. Die militärische Niederlage war zustande gekommen, so der Tenor, weil die Juden den Seleukiden in den Rücken gefallen seien und sich insgeheim mit den Römern verbündet hätten. Psychologisch erfüllten die antijüdischen Diffamierungen die Funktion, Wut abzureagieren, ein Ablassventil zu finden für die bittere Erkenntnis des seleukidischen Establishments, dass der Stern ihrer Großmacht am Sinken war und die Zeit Roms anbrach. Den Makkabäern gelang es, mit ihren militärischen Aktivitäten die religiöse Unabhängigkeit wiederherzustellen, sodass im Jahr 164 v. Chr. der Jerusalemer Tempel erneut dem jüdischen Kultus diente. Das „Religionsedikt“ des Seleukidenherrschers, welches einen existentiellen Angriff auf das Judentum darstellte und in der Antike ein einmaliger Vorgang blieb, war damit gescheitert. Im Jahr 140 v. Chr. erreichten die Makkabäer nach der religiösen schließlich auch die politische Unabhängigkeit des Landes.
1.5Der judenfeindliche Diskurs des Hellenismus
In hellenistischer Zeit nahmen die antijüdischen Stimmungen ihren Ausgang erneut in Ägypten. Im Kontext der Übersetzung der hebräischen Bibel ins Griechische („Septuaginta“) tauchten seit dem 3. Jh. in Ägypten erstmals Versionen auf, welche die Anwesenheit der Hebräer sowie den in der Bibel geschilderten Auszug der Juden aus Ägypten antisemitisch interpretierten, sich hierfür der Methode der Pathologisierung bedienten und den zum „Fremden“ Konstruierten mit ansteckenden Krankheiten in Verbindung brachten. Die Juden erschienen in diesen antisemitischen Exodus-Deutungen als „Unreine“, denen man sich habe entledigen müssen, da sie die „eigene Bevölkerung“ mit einer Krankheit infiziert hätten. Diverse Narrative, die mit der Behauptung aufwarteten, die Juden seien aus Ägypten vertrieben worden, weil sie eine gefährliche Seuche verbreitet hätten, wurden in hellenistischer Zeit populär. Die Legende findet sich bei Hekataios von Abdera, der um 300 v. Chr. wirkte, in Gestalt der Behauptung, die Juden seien als Lepröse aus Ägypten verjagt worden, um die Bevölkerung vor ihrer Unreinheit zu schützen. In den Schriften des Josephus, der die Darstellung des hellenistischen Geschichtsschreibers Lysimachos referiert, heißt es:
»[Lysimachos sagt], unter dem aegyptischen König Bokchoris [gemeint ist Bakenrenef, dessen Regierungszeit auf ca. 720 bis 716 v. Chr. datiert wird, d. Verf.] sei das mit Aussatz, Krätze und anderen Krankheiten behaftete Volk der Juden in die Tempel geflohen und habe hier um Speise gebettelt. Immer weiter habe die Krankheit sich ausgebreitet, und dazu sei auch noch das Land unfruchtbar geworden. Der König Bokchoris habe nun zu Ammon [gemeint ist das Orakel von Siwa, eine antike Orakelstädte in der westlichsten Oasengruppe Ägyptens, d. Verf.] geschickt, um einen Orakelspruch inbetreff der Unfruchtbarkeit zu erhalten, und es sei ihm von dem Gotte der Bescheid erteilt worden, er solle die Heiligtümer von den unreinen und gottlosen Menschen säubern, diese aus den Tempeln in die Wüste jagen, die Krätzigen und Aussätzigen aber, über deren Dasein die Sonne zürne, ertränken und die Tempel durch Sühneopfer heiligen; dann werde die Fruchtbarkeit des Landes sich wieder einstellen.« (Josephus 1993: 140/141)
Die rassifizierende Pathologisierung existierte folglich bereits in der Antike und stellte ein ideologisches Muster dar, das auch der dt. Nationalsozialismus als Legitimation für die Separierung der Juden in Ghettos als Vorstufe ihrer Ermordung benutzte.
Die antisemitische Grundhaltung war besonders stark ausgeprägt beim hellenistischen Historiographen Manetho, der seine Werke vermutlich in der Regierungszeit von Ptolemaios II. (285–246 v. Chr.) verfasste und laut Josephus die Blasphemisierung benutzte, die den zum Fremden Konstruierten als Gotteslästerer erscheinen lässt. Manetho ließ in seiner Darstellung die Juden nicht nach Ägypten einwandern, sondern vielmehr »zu Zehntausenden in Ägypten einfallen«. Die Juden hätten die Herrschaft über die Einheimischen erlangt und ihre Göttertempel dem Erdboden gleichgemacht. Die Juden konstruierte Manetho als eine Personengruppe, die fremde Religionen missachtet und fremden Göttern Schmach antut. Die Juden stellten für Manetho „Feinde der Götter“ dar, er bezeichnete sie gar als Gottlose („Atheoi“). Mose habe den Juden einen Eid abgenommen, der diese dazu verpflichtet habe, die Gottheiten der Ägypter abzulehnen und heilige Tiere als Opfer zu schlachten. Zwecks Diffamierung der Juden griff Manetho auf diese Weise den schon vom „Tatort Elephantine“ her bekannten Konfliktstoff auf. Das Narrativ der Blasphemisierung benutzten ebenso etliche weitere hellenistische Geschichtsschreiber. Lysimachos behauptete, den Juden sei es auferlegt worden, fremde Tempel und Altäre zu zerstören, auch er bezeichnete die Juden als „Atheoi“. Die Funktion des Narrativs der Blasphemisierung verdeutlicht Apion, der Verfasser einer mehrbändigen Geschichte Ägyptens, insofern er den Erhalt voller Bürgerrechte für die alexandrinischen Juden mit der Begründung negierte, diese lehnten die ägyptischen Gottheiten ab. Auch bei Plinius dem Jüngeren zeichnen sich die Juden durch ihre Götterverachtung aus. Um den Kult der Juden zu verhöhnen, stellten diverse hellenistische Schriftsteller die Behauptung auf, diese beteten einen Esel bzw. einen goldenen Eselskopf an. Während es sich bei den früheren Varianten