Antisemitismus. Achim Bühl
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Als dritte Rassifizierungstechnik war in hellenistischer Zeit die Misoxenisierung bzw. die Misanthropisierung weit verbreitet, die den Juden unterstellte, diese hassten ihre Mitmenschen, würden sich von ihnen absondern und seien gegenüber allen Fremden feindlich eingestellt. Diese Absonderung sei ihnen, so diverse Autoren, von Moses auferlegt worden. Hekataios begründete den vermeintlichen Menschenhass mit der Austreibung aus Ägypten, welche die Juden tief verbittert und zu Menschenfeinden gemacht habe. Immer wieder wurden die Juden ebenso für die Einhaltung der Sabbatruhe verunglimpft. Der Sabbat sei eingeführt worden, so hieß es, da die Juden während ihrer Wanderung in der Wüste unter Leistengeschwüren gelitten und sich so eine Ruhepause verordnet hätten. In anderen Versionen wurde der Sabbat auf die vermeintliche Faulheit der Juden zurückgeführt, die keinerlei Interesse an körperlicher Arbeit zeigten. Das Stereotyp vom körperlich ungeeigneten wie an Arbeit desinteressierten Juden kursierte von da an in vielfältigen Varianten durch die Jahrhunderte. Neben der Sabbatruhe war vor allem die Zirkumzision Gegenstand vielfältiger Angriffe sowie das Verbot des Verzehrs von Schweinefleisch.
Die vierte Rassifizierungstechnik in hellenistischer Zeit ist die Kannibalisierung, die ebenso wie die Pathologisierung, Blasphemisierung und Misanthropisierung von nachhaltiger Wirkung war, zumal diese bereits Elemente einer antisemitischen Verschwörungstheorie enthielt. Die diesbezügliche Legende handelte von der Behauptung, die Juden huldigten einem Opferritual, welches von ihnen in zyklischen Abständen die Entführung und Mästung eines Griechen verlange. Das böswillige Gerücht bildete eine der Vorformen der seit Mitte des 12. Jh.s aufkommenden Ritualmordlegende. Bei Flavius Apion findet sich die Erzählung, dass Antiochos IV. Epiphanes, als er in den Jerusalemer Tempel eindrang, dort eine Person antraf, die um seine Hilfe flehte. Es sei ein griechischer Händler gewesen, den Juden ergriffen und eingesperrt hätten, um ihn zu mästen und anschließend aus rituellen Gründen zu schlachten. Die Erzählung Apions stützte sich ihrerseits bereits auf eine Legende, die der Vorsokratiker Demokrit von Abdera (460/459–370 v. Chr.) referierte, der indes nicht von einem jährlichen, sondern von einem siebenjährigen Turnus der Opferung eines Griechen berichtete. In seiner Schrift Gegen Apion gibt Flavius Josephus den hellenistischen Geschichtsschreiber mit folgenden Worten wieder:
»[Der Grieche im Tempel habe erfahren], dass es ein geheimes Gesetz der Juden gebe, dem zulieb er genährt werde, und sie thäten das jedes Jahr zu einer bestimmten Zeit. Sie fingen nämlich einen fremden Griechen auf, mästeten ihn ein Jahr lang, führten ihn dann in einen gewissen Wald, schlachteten ihn, opferten seinen Leib unter herkömmlichen feierlichen Ceremonien, genössen etwas von seinen Eingeweiden und schwüren bei der Opferung des Griechen einen Eid, dessen Landsleute zu hassen.« (Josephus 1993: 160)
In hellenistischer Zeit war der alexandrinische Antisemitismus mit seinen Behauptungen, die Juden brächten ihrem Gott Menschenopfer dar und zettelten stets neue, blutige Verschwörungen gegen die Griechen an, die aggressivste judenfeindliche Variante. Insbesondere ihr verschwörungstheoretischer Kern sollte Schule machen.
1.6Das vorchristliche Rom
Eine jüdische Gemeinde existierte in Rom seit Mitte des 2. Jh.s v. Chr. Die Juden waren dem „Fremdenrecht“ unterstellt, die Ausübung ihrer Religion war ihnen gestattet, durfte indes nicht „die öffentliche Ordnung“ stören. Im vorchristlichen Rom gelang es der jüdischen Religion Anziehungskraft zu entwickeln, sodass Spannungen zwischen heterogenen Kulten aus Konversionen in größerer Zahl resultierten. Dieser Tatbestand führte zu einer Konfliktlage, in der die noch junge jüdische Gemeinde Roms unterlag. Im Jahr 139 v. Chr. kam es zur ersten Vertreibung der Juden aus Rom, um gemäß offizieller Sichtweise die „öffentliche Ordnung“ wiederherzustellen. Mit der Etablierung des „Imperium Romanum“ und der Ausweitung des römischen Herrschaftsgebiets auf den gesamten Mittelmeerraum gelangten Diaspora-Juden gegen Ende des 2. Jh.s v. Chr. sowie im Jahr 63 v. Chr. ebenso die Juden Palästinas unter römische Herrschaft. Die Juden durften ihre Religion praktizieren und waren vom römischen Militärdienst oder zumindest vom Dienst in nicht-jüdischen Kompanien befreit. Die jüdischen Gemeinden erhielten ein begrenztes Jurisdiktionsrecht, um innere Konflikte zu regeln, Sabbatheiligung sowie Versammlungsrecht wurden gewährt, ebenso wurden weitere Ausnahmeregelungen erlassen, sodass die Juden nicht allen Staatsbürgerpflichten nachkommen mussten. Die relativ umfassende Rechtegarantie ermöglichte erstmals eine Integration im Sinne sozialer Gleichstellung. Während eine gewisse Sympathie für die Juden im vorchristlichen Rom anfangs dem Sachverhalt geschuldet war, dass diese gegen Antiochos IV. gekämpft hatten und der gegen den Seleukiden-Herrscher gerichtete Makkabäer-Aufstand in das politische Kalkül Roms passte, welches sich anschickte, das hellenistische Athen politisch zu beerben, resultierte der in literarischen wie in politischen Schriften offen zutage tretende spätere Antisemitismus aus dem Tatbestand jüdischer Aufstände gegen Rom, die das römische Imperium militärisch wie prestigemäßig empfindlich trafen.
Der siegreiche Aufstand der Makkabäer führte zur Etablierung des Herrschergeschlechts der Hasmonäer, dem es gelang, vom zweiten bis zum ersten Jh. v. Chr. die Selbstständigkeit des jüdischen Staates zu wahren. Der römische Politiker und Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus (106–48 v. Chr.) benutzte im Jahr 64 v. Chr. politische Unruhen als Vorwand, um Judäa dem Imperium Romanum einzuverleiben. Zwar gestatteten die Römer anfangs den Tempelkult, doch das Verhältnis war von Beginn an dadurch belastet, dass Pompeius in das Allerheiligste des Tempels eingedrungen war. Zu einer relevanten Verschlechterung kam es unter dem ersten römischen Kaiser Augustus (63 v. Chr.–14 n. Chr.) als dieser von der bislang eher toleranten Religionspolitik Roms abwich, um seine eigene Verehrung durchzusetzen. Im Jahr 6 n. Chr. annullierte Augustus die Privilegien der Juden, was den Mob zu antijüdischen Plünderungen verleitete. Unter der Regentschaft des Kaisers Tiberius (42 v. Chr.–37 n. Chr.) kam es im Jahr 19 n. Chr. zur erneuten Vertreibung der Juden aus Rom. Die Problematik des Kaiserkultes sorgte auch in der Folgezeit immer wieder für Spannungen. Zwar war das Judentum als anerkannte Religion prinzipiell von den damit verbundenen Praxen befreit, im Jahr 41 beabsichtigte Kaiser Caligula indes die Aufstellung von Kaiserstatuen im Jerusalemer Tempel. Im Jahr 66 n. Chr. kostete der Pogrom von Caesarea sowie Ausschreitungen in Askalon, Akko und Skythopolis Tausende Juden das Leben. Im Kontext des jüdischen Aufstands gegen die römische Herrschaft kam es im Jahr 70 n. Chr. zur Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels. Der römische Kaiser Titus (39 n. Chr.–81 n. Chr.) ließ den Tempelschatz, u. a. die Menora (den siebenarmigen Leuchter), rauben und in einem Triumphzug durch Rom führen. Das Siegesszenario stellt der Titusbogen, der älteste erhaltene Triumphbogen des antiken Roms, der den Eingang zum Forum Romanum schmückt, in seiner Innenwand dar. Unzählige Juden wurden nach dem militärischen Sieg Roms versklavt. Nach der Niederschlagung des Bar-Kochba-Aufstands im Jahr 135 n. Chr. erließen die Römer ein Ansiedelungsverbot für Juden in Jerusalem sowie in Judäa und zerschlugen so die territorialstaatliche Identität des Judentums. Mit Ausnahme der Jahre 135–138 n. Chr. unmittelbar nach dem Bar-Kochba-Aufstand wurde das Judentum im Römischen Reich indes von einzelnen Phasen abgesehen weitgehend toleriert. Die Situation änderte sich indes grundlegend, als das Christentum im Römischen Imperium zur Staatsreligion avancierte.
1.7Der Pogrom von Alexandria
In der Antike war die von Alexander d. Gr. im Jahr 332 v. Chr. gegründete Stadt Alexandria eines der mächtigsten Stadtzentren im Mittelmeerraum. Josephus zufolge war es eine multikulturelle Stadt par excellence. Palästinensische Juden siedelten in Alexandria bereits seit ihrer Entstehungszeit. Die Ptolemäer gewährten den Juden etliche Vergünstigungen, sodass sich die Stadt zu einem Magneten für Juden entwickelte, die in der Diaspora lebten. Das Verhältnis des Judentums zu den ptolemäischen Herrschern scheint weitgehend ungetrübt gewesen zu sein bis auf die Zeit der Thronwirren unter Ptolemäus IX., in der jüdische Opfer zu beklagen waren. Die Nachfolger Alexanders d. Gr. wiesen den Juden ein eigenes größeres Stadtareal in Alexandria zu. Die meisten Juden wohnten an der Meeresküste abseits vom Hafen. Das jüdische Stadtquartier