Antisemitismus. Achim Bühl

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Antisemitismus - Achim Bühl marixwissen

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Heiligtums göttliche Verehrung zukommen.« (Tacitus: Historien 5,4)

      Der Jude wird auf diese Weise bei Tacitus nicht nur zu einem Antipoden des Römers, sondern gar zum Gegner der Menschheit konstruiert. Die Riten der Juden charakterisierte der römische Historiograph insgesamt als »unheilvoll«, »schrecklich« und »verderbt«. Am verwerflichsten wie abscheulichsten hielt Tacitus die Beschneidung, die er sowohl als Abgrenzungs- wie als Konversionsritus interpretierte. In der antiken Literatur erstreckte sich die Resonanz auf die Zirkumzision von Bespöttelung über Hohn bis hin zur offenen feindlichen Aversion. Die feindselige Haltung gegenüber der Beschneidung war mit der Sexualisierung des Juden verkoppelt, die von der Vorstellung, der Beschnittene könne es einer Frau „nicht richtig besorgen“ bis hin zum Bild des lüsternen, überpotenten, allseits bereiten Juden reichte. Die Konstruktion der sexuellen Potenz des Juden verfolgte den Zweck, ihn aus der zivilisierten Welt auszuschließen, ihn den „Barbaren“ zuzurechnen. Die Unterdrückung der Juden gibt Tacitus als eine gerechtfertigte, moralische Notwendigkeit aus, insofern die Hebräer aufgrund ihrer fehlenden Triebunterdrückung den Tieren vergleichbar seien. Die untrennbare Verbindung zwischen sexueller Impotenz bzw. Potenz und Beschneidung diente bereits in der Antike dem Schüren der Kastrations- wie der Konkurrenzangst.

      In der spätrömischen Biografie-Sammlung Historia Augusta wird die Beschneidung im Kontext des Verbots durch den römischen Kaiser Hadrian als »mutilare genitalia« bezeichnet. Der Verfasser führte damit ein bis heute gängiges antisemitisches Stereotyp ein, die polemische Falschbezeichnung der Zirkumzision als »Verstümmelung«, als »Kastration«. Die Zirkumzisions-Aversion war nicht nur mit der Variante der Sexualisierung verbunden, sondern ebenso mit der Physiognomisierung bzw. Ästhetisierung, insofern der unbeschnittene Penis als Ideal des „römischen Körpers“ galt. Im Kontext der Beschneidung wurde dem Juden so ein „anderer, abweichender Körper“ bescheinigt, der nicht mit dem gängigen römischen Schönheitsideal kompatibel sei. Der beschnittene jüdische Mann mutierte auf diese Weise zur hässlichen Person. Die Hässlichkeit bezog sich dabei nicht nur auf den Penis, sondern auf den Körper in Gänze, dessen Gestalt bzw. Aussehen die Zirkumzision determiniert habe. Der beschnittene, unästhetische Penis zog gewissermaßen den „Judenbuckel“ und die sog. „Judennase“ nach sich.

      Tacitus konnotierte die Juden ebenfalls mit der Gier nach Macht und Geld, wofür ihm die Tempelsteuer als Beleg diente. Das Groteske des Vorwurfs wird daran sichtbar, dass Tacitus ein Vertreter des Imperium Romanum war, das zu diesem Zeitpunkt bereits den ganzen Mittelmeerraum unterworfen hatte und seine imperialen Machtansprüche in Gestalt der Provinz Britannia bis nach England ausdehnte. Die von Tacitus verwandten antijüdischen Pejorativa wurden seitdem immer wieder aufgegriffen, wobei sich die vermeintliche Misanthropie, der Menschenhass der Juden, einer besonderen Beliebtheit erfreute. Im „Judenexkurs“ nimmt die diffamierende Anklage, die Juden hassten die gesamte Menschheit, einen zentralen Stellenwert ein: »Weil sie in Treue fest zueinander stehen, üben sie bei sich selbst Mitleid, aber feindseligen Hass gegenüber allen anderen.«

      Ein weiteres gängiges hellenistisches Stereotyp aufgreifend notierte Tacitus, dass der Sabbat ein Ausdruck der Faulheit der Juden sei, da es sich in Wahrheit bei ihnen um »Nichtstuer« handele. Eine relevante Rolle spielte im judenfeindlichen Diskurs des vorchristlichen Roms ebenso der Vorwurf der Blasphemie. Bei Tacitus erscheinen die Juden als wahre Gotteslästerer, insofern der röm. Historiograph ihre Riten nicht im Kontext der jüdischen Religion erklärt, sondern als Affront gegen andere Religionen interpretiert. So würden die Juden den Widder schlachten, um dem Gott Amun, dem Fruchtbarkeitsgott der altägyptischen Religion, »Schmach anzutun«. Der Stier wiederum werde geopfert, weil die Ägypter Apis verehrten. Nicht die Judenfeindlichkeit ist für Tacitus die Ursache der Konstruktion bzw. der Wahrnehmung der „Andersartigkeit“ der Juden, vielmehr dient die jüdische Lebensweise als kausale Erklärung für Spannungen, Feindlichkeit und Vertreibung. Nicht zuletzt die Behauptung, die Juden trügen die Schuld am Antisemitismus selbst, machte den „Judenexkurs“ des Tacitus in der Folgezeit so populär. Antisemitismus existiert laut Tacitus, weil die Juden die »schlechtesten Elemente« der Menschheit darstellen.

      Tacitus war indes keineswegs der einzige judenfeindliche Literat des vorchristlichen Roms. Die Liste umfasst vielmehr nahezu das gesamte „Who’s Who“ der antiken römischen Literatur wie Historiographie. Neben Tacitus waren es vor allem Cicero, Seneca, Quintilian, Juvenal und Martialis, die den Judenhass verbreiteten und sich wie Tacitus hellenistischer Pejorativa bedienten. Viele der von ihnen verwendeten Narrative gelangten in den antijüdischen Diskurs des frühen Christentums. Höchst auffallend ist der Parallelismus der politischen Konstellationen. Galt der Antisemitismus der hellenisierten Oberschicht der Diffamierung Judäas im Kontext des jüdischen Abfalls vom Seleukidenreich, war es im Römischen Imperium der jüdische Versuch der Etablierung eines eigenen Nationalstaates, d. h. die Loslösung von Rom, die den antijüdischen Hass generierte.

       1.9Das christliche Rom

      Mit der Etablierung des Christentums als Staatsreligion des Imperium Romanum verschärfte sich die antike Judenfeindschaft und führte unter Kaiser Konstantin (270/288–337 n. Chr.) und seinen Nachfolgern zu einer fortschreitenden Entrechtlichung der Juden. Auch in der gegen die Juden gerichteten konstantinischen Gesetzgebung spielte die Zirkumzision eine zentrale Rolle. Konstantin erschwerte den Übertritt zum Judentum und verbot es den Juden, ihre nichtjüdischen Sklaven zu beschneiden. Zwar zählte Konstantin nicht zu den Scharfmachern unter den römischen Kaisern, teilte indes das antijüdische Denken. So schrieb der Kaiser im Kontext der Debatte um die Festlegung des Ostertermins, dass Christen nicht den Termin des Passahfestes mit den »ruchlosen und meineidigen, vater- und gottesmörderischen« Juden teilen sollten.

      Unter der Herrschaft von Kaiser Theodosius I. (347–395 n. Chr.) war die antijüdische Haltung des Christentums bereits derart stark ausgeprägt, dass es häufiger zu lokalen Pogromen kam. Der Schutz der Juden durch den Kaiser erwies sich dabei als äußerst halbherzig. Zwar verurteilte Theodosius das Plündern und Niederbrennen von Synagogen und befahl gestohlene Gegenstände zurückzugeben, doch als der Kirchenlehrer Ambrosius (339–397 n. Chr.) eingriff und die am Brandschatzen beteiligten Bischöfe gar in Schutz nahm sowie ex cathedra verlauten ließ, er würde selbst die Mailänder Synagoge anzünden, wenn diese noch nicht abgebrannt wäre, knickte der Kaiser ein und nahm elementare Schutzmaßnahmen für die Juden zurück, sodass es zu weiteren Synagogenzerstörungen kam. Unter Theodosius zeigte sich bereits, dass lokale und zentrale Akteure des Staates durchaus unterschiedliche Rollen beim Antisemitismus einnehmen können, so gelang es etwa lokalen Machthabern, in ihren Bezirken Versammlungsverbote für Juden durchzusetzen. Im Jahr 388 wurde unter Theodosius die Eheschließung zwischen Juden und Christen verboten, eine Zuwiderhandlung fiel unter die Kapitalstrafe.

      Bereits im Jahr 412 waren von pogromartigen Gewaltausbrüchen sowohl Synagogen als auch jüdische Privathäuser betroffen. Im Jahr 414 kam es in Alexandria erneut zu Auseinandersetzungen, die mit der Vertreibung der seit Alexander d. Gr. ansässigen Juden endeten. Neben dem Abriss von Synagogen wurde ebenso ihre „Umwandlung“ in christliche Kirchen gängige Praxis. Im Jahr 404 wurde den Juden der Staatsdienst verboten, im Jahr 418 wurde das Verbot auf den Militärdienst ausgeweitet. Unter Theodosius II. (401–450 n. Chr.) verschlechterte sich die Lage für die Juden weiter. Der Kaiser verbot den Bau neuer Synagogen, legalisierte die Umwandlung von Synagogen in christliche Gotteshäuser und verbot Juden bei Prozessen, an denen Christen beteiligt waren, vor Gericht zu agieren. Unter Theodosius II. wurden Rechtsordnung wie Rechtsprechung in Gestalt des Codex Theodosianus systematisiert, der zugleich umfangreiche Bestimmungen bzgl. des Verhältnisses zwischen Juden und Christen enthielt. Unter Verbot gestellt waren nunmehr Proselytismus, die Konversion sowie die Apostasie. Zwar wurde der Besitz von Sklaven den Juden nicht generell verboten, sodass die Existenz jüdischer Grundbesitzer noch nicht gefährdet war, das Verbot über christliche Sklaven zu verfügen stellte jedoch bereits einen ersten gravierenden Einschnitt dar, zumal dieser mit einer deutlichen ökonomischen Benachteiligung einherging. Die Diskriminierung der Juden kam ebenso

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