Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution. Laurie Penny
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Unsagbare Dinge. Sex Lügen und Revolution - Laurie Penny страница 3
Die Welt hat sich für Frauen und Queers so weit verändert, wie es nur ging, ohne die gesellschaftlichen Grundstrukturen anzutasten, die immer noch sexistisch, homophob und misogyn sind, weil sie sich weiter auf sexuelle Kontrolle, soziale Ungleichheit und die unbezahlte Arbeit von Frauen und Mädchen stützen. Für einen weitergehenden Wandel müssen wir mehr Ehrgeiz aufbringen, als man es uns bislang zugestanden hat. Für einen weitergehenden Wandel müssen wir das Unausgesprochene aussprechen und uns weigern, die Welt zu akzeptieren, wie sie ist. Wir müssen die großen provozierenden Fragen stellen, die Fragen zu Arbeit und Liebe, Sex und Politik, und darauf gefasst sein, dass die Antworten anders ausfallen, als wir es erwartet haben. Das versucht dieses Buch zu tun.
Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt; ich kenne nicht alle Antworten. Aber ich glaube, ich kenne einige Fragen, und die Fragen interessieren mich mehr.
Fragen zu stellen ist das Privileg der Jugend, und es ist das erste, was Mädchen verboten wird. Melde dich nicht im Unterricht, die Jungs schreien dich sonst nieder. Gib deinen Lehrern, deinen Eltern, der Polizei keine Widerworte. Fragen sind gefährlich.
Über 40 000 Jahre lang ordnete die Biologie Männer und Frauen Geschlechtsklassen und starren Geschlechterrollen zu. Dann, vor zwei oder drei Generationen – ein kurzer Moment im langen Traum der Menschheitsgeschichte – erlaubte der medizinische Fortschritt den Frauen die Flucht aus den Beschränkungen der Fortpflanzungsbiologie, kurz nachdem Frauenbewegungen in aller Welt das Recht erkämpft hatten, dass Frauen vor dem Gesetz als vollwertige Bürgerinnen gelten. Die sexuelle Revolution wurde zu einer sozialen Revolution, und die Beziehungen unter den Menschen veränderten sich nachhaltig. Das lässt sich nicht ungeschehen machen. Frauen kehren nicht kampflos in die sexuelle und politische Unterwerfung zurück. Aber manch ein Mann trägt noch eine unerklärliche Wut über diesen dramatischen sozialen Wandel in sich und hängt uns bei jedem Schritt unseres langen langsamen Marsches hin zur Geschlechtergleichheit plärrend an den Füßen. Wir sind noch nicht angekommen.
Eine Gegenrevolution ist im Gange, und sie richtet sich gegen die vielen Errungenschaften, die Frauen im Lauf von Jahrhunderten unter großen Verlusten, unter Gegenwehr, Gewalt und Gespött erkämpften. Es ist eine soziale, eine ökonomische und eine sexuelle Gegenrevolution. Wir befinden uns in einem neuen Kulturkrieg, und er ist viel größer als der taktische »Krieg gegen Frauen«, von dem vor den US-Präsidentschaftswahlen 2012 kurz berichtet wurde, als republikanische Abgeordnete einen moralischen Sturm im Wasserglas entfachten und in der Diskussion um Vergewaltigung, Verhütung und Abtreibung kollektiv den Verstand verloren.6
Dass diese Gegenrevolution nie endgültig Erfolg haben wird, heißt nicht, dass sie nicht manch ein Leben ruiniert, manch einen Fortschritt zerstört und dass die übermächtige Botschaft derer, die die sozio-sexuelle Entscheidungsfreiheit von Frauen im 21. Jahrhundert beschneiden wollen, doch durchdringt. Diese Botschaft lautet: Bis hierher und nicht weiter.
Feminismus ist für alle da
Alle paar Monate, so scheint es, entdecken die Medien den Feminismus wieder neu und finden ihn schick genug, um ihn in Form von Büchern und Zeitschriften unter die Leute zu bringen, solange er den Leserinnen und Lesern nur keine Angst einjagt, nur ihren Lebensstil nicht infrage stellt. Feminismus, der sich verkauft, ist ein Feminismus, der so gut wie allen gefällt und niemandem weh tut, ein Feminismus, der beruhigt, der sich an die Mittelschicht richtet und für sie spricht, der auf sozialen Aufstieg ausgerichtet ist, der von Schulen, Shopping und zuckerfreien Snacks faselt und sich nicht etwa mit armen Frauen, queeren Frauen, hässlichen Frauen, transsexuellen Frauen, Sexarbeiterinnen, alleinstehenden Müttern oder anderen befasst, die nicht ins Schema passen. Diese Art Feminismus interessiert mich nicht. Sollen andere darüber schreiben. Sollen andere einen anspruchslosen Feminismus zusammenbasteln, der um den kleinsten gemeinsamen Nenner kreist.7 Die jungen Frauen von heute wissen viel besser als ihre etwas älteren Schwestern, die in den schlappen 1990er Jahren erwachsen wurden, wie viel Arbeit noch vor uns liegt und wie unglamourös sie überwiegend ist. Sie wissen, wie verdammt wichtig es ist, über Macht, soziale Klasse, Arbeit, Liebe, Hautfarbe, Armut und Genderidentität zu reden.
Dieses Buch steht am Beginn einer solchen Diskussion, und wenn diese Diskussion nur Frauen anspricht, die eine ähnliche Vorgeschichte haben wie ich, dann lohnt sie sich nicht. Ich bin mir aber auch bewusst, dass ich nicht alles wissen kann. Dass ich als bürgerliche Weiße in einem englischsprachigen Land zur Welt kam und Beziehungen überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich, mit Männern habe, beeinflusst natürlich mein Denken, mein Schreiben und mein Leben. Ich schreibe nicht wie das durchschnittliche Mädchen, weil es das nicht gibt.
Zu viele feministische Autorinnen, die ihre Theorie von Gender und Macht »als Bombe« hochgehen lassen und die Welt verändern wollen, stellen gleichzeitig ihrem Werk einen Disclaimer voran, in dem sie erklären, über Frauen, die nicht weiß, hetero, reich und cisgender sind,8 die nicht Mutter sind und nicht als Autorin in London oder New York leben, könnten sie nichts sagen. Sie haben ihre Erfahrungen, und für andere können sie nicht sprechen, das heißt, sie brauchen sich auch nicht die Mühe zu machen, mit anderen zu reden oder zu lesen, was andere geschrieben haben, es sei denn, die anderen sind auch hetero, weiß, reich, verheiratet und berufstätig.
Hey, Mädels, wir sind doch alle gleich, oder?
Die Vorstellung, dass es so etwas gibt wie das durchschnittliche Mädchen, die »typische« Frau, die für jede andere mit einer Vagina ausgestattete Person auf diesem Planeten sprechen kann, ist eins der größten sexistischen Märchen unserer Zeit. Das Patriarchat neigt dazu, alle Frauen gleichzumachen; ihm wäre es am liebsten, wenn wir alle austauschbar wären, reiche, hübsche, weiße, kinderkriegende Mädchen, deren Probleme sich darum drehen, wie sie den besten Blowjob hinbekommen und wo sie Diätpillen kaufen können. Von keinem Mann würde man je erwarten, dass er für alle Männer dieser Welt spricht, nur weil er zufällig einen Schwanz hat. Die ursprüngliche feministische Aussage, nach der das Persönliche politisch ist,9 wurde in der Medienbranche, die noch immer im Besitz und unter der Leitung mächtiger Männer ist, in beharrlicher Wiederholung dahingehend abgewandelt, dass sich jegliche Frauenpolitik auf das rein Persönliche reduzieren lässt.10
Wer immer wir auch sind: Unser Verständnis von Gender, Politik und Feminismus wird von unseren Erfahrungen in der Liebe und im Sex beeinflusst, vor allem, wenn wir hetero sind. Wenn wir vom Kampf gegen den Sexismus sprechen, ist, bewusst oder unbewusst, unser gebrochenes Herz mit von der Partie, der verletzte Stolz, die grauenhaften sexuellen Zurückweisungen, Enttäuschung, Einsamkeit und Sehnsucht, die Erinnerung an Verrat, der Schmerz unserer Kindheit. Mit von der Partie ist auch die begierige Inbrunst unseres Verlangens, die Leidenschaft für unsere Freunde, Partner und Kinder, die Erfahrung, dass ein geliebter Mensch uns sanft die Hand auf die Seele legt und sie tröstet, an einer Stelle, von der wir gar nicht wussten, dass sie schmerzt. All das und mehr, das alles auf einmal ist mit von der Partie, denn Genderpolitik ist persönlich ebenso wie politisch, aber das heißt nicht, dass sich das Politische aufs Persönliche beschränken muss.
Reden wir nicht über Jungs und Mädchen, als hätte das was zu bedeuten
Frauen. Männer. Jungs und Mädchen. Die Wörter verändern sich nicht, der Nachklang aber schon, und im 21. Jahrhundert bedeutet das eine oder das andere etwas völlig anderes als im letzten oder im nächsten Jahrhundert. Eine Frau zu sein oder ein Mann zu sein, erfordert Mühe, Aufmerksamkeit, das Unterdrücken von Teilen der Persönlichkeit und das Herausstellen anderer. Als Simone de Beauvoir sagte, man »wird nicht als Frau geboren, man wird dazu gemacht«, traf sie damit ins Schwarze; noch besser gefällt mir