Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Nils Holgerssons wunderbare Reise durch Schweden - Selma Lagerlöf страница 25
Als es Akka klar wurde, dass der Kurs nicht zu halten war, wollte sie wenigstens verhindern, dass sie über die ganze Ostsee gejagt würden, und ließ sich deshalb auf dem Wasser nieder. Der Seegang wurde mit jedem Augenblick heftiger, die Wellen waren seegrün und gischtgekrönt, eine türmte sich höher auf als die andere. Sie schienen einen Wettstreit auszutragen, wer von ihnen am höchsten steigen und am wildesten schäumen könnte. Aber die Wildgänse fürchteten sich nicht vor ihrem Schwall, im Gegenteil, sie schienen großen Spaß daran zu finden. Sie brauchten nicht zu schwimmen, sondern ließen sich einfach tragen, auf und ab, über Wellenkämme und durch Wellentäler, und freuten sich dabei wie Kinder auf einer Schaukel. Ihre einzige Sorge war, dass der Sturm die Schar zerstreuen könnte.
Doch die Wildgänse waren ganz und gar nicht in Sicherheit. Zum Ersten wurden sie durch die Schaukelei hoffnungslos müde. Ständig wollten sie den Kopf zurücklegen, den Schnabel unter den Flügel stecken und schlafen. Doch nichts ist gefährlicher, als auf diese Weise einzunicken, und Akka rief unaufhörlich: »Schlaft nicht, Wildgänse! Wer einschläft, wird von der Schar abgetrieben. Wer von der Schar abgetrieben wird, der ist verloren.«
Der Sturm tobte den ganzen Tag und richtete unter den Unmengen von Vögeln, die zu dieser Jahreszeit auf Reisen waren, furchtbaren Schaden an. Einige wurden weit weg in ferne Länder gejagt, wo sie verhungerten, andere ermatteten so sehr, dass sie ins Meer fielen und ertranken, und viele wurden an den Felswänden der Ufer zerschmettert.
Als der Sturm gar nicht aufhören wollte, bezweifelte Akka schließlich, dass sie und ihre Schar ihn überleben könnten. Sie waren nun todmüde, und nirgends war ein Platz zum Ausruhen zu entdecken. Gegen Abend füllte sich das Meer ganz plötzlich mit großen Eisschollen, die gegeneinanderkrachten. Aus Angst, davon zerquetscht zu werden, wagte es Akka nicht mehr, sich aufs Wasser zu legen. Ein paarmal versuchten die Wildgänse, sich auf die Eisschollen zu stellen, aber der wilde Sturm fegte sie hinunter ins Wasser.
Als die Sonne unterging, waren die Gänse wieder in der Luft. Sie fürchteten sich vor der Nacht und flogen weiter. An diesem Abend voller Gefahren schien die Finsternis allzu schnell über sie hereinzubrechen.
Der Himmel war von Wolken verdeckt, der Mond hielt sich verborgen, und es wurde dunkler und dunkler. Die ganze Natur war von einem Grauen erfüllt, das selbst die tapfersten Herzen entsetzte. Die Notrufe der Zugvögel gellten durch die Nacht. Im Meer stießen die Treibeisschollen mit lautem Dröhnen aneinander. Es war, als sollten Himmel und Erde zusammenstürzen.
Die Schafe
Als der Junge eine Weile aufs Meer geschaut hatte, war ihm, als würde das Brausen auf einmal lauter. Er hob den Kopf und erblickte direkt vor sich, nur ein paar Meter entfernt, eine raue, nackte Felswand. An ihrem Fuß brachen sich die Wellen, dass der Schaum hoch aufspritzte. Die Wildgänse flogen geradewegs auf die Klippe zu, und der Junge befürchtete, sie würden unweigerlich daran zerschellen.
Er hatte kaum Zeit, sich darüber zu wundern, dass Akka diese Gefahr nicht beizeiten bemerkt hatte, da waren sie auch schon am Felsen angelangt. Jetzt entdeckte er, dass sich vor ihnen der halbrunde Eingang einer Grotte auftat. Dorthin steuerten die Gänse, und einen Augenblick später waren sie in Sicherheit.
Erst einmal sahen die Reisenden nach, ob auch alle Kameraden mitgekommen waren. Akka, Yksi, Kolme, Neljä, Viisi, Kuusi, alle sechs jungen Gänse, der Gänserich, Daunenfein und der Däumling waren da, nur Kaksi von Nuolja, die erste Gans zur Linken, fehlte.
Als die Gänse merkten, dass niemand außer Kaksi verschwunden war, nahmen sie die Sache leicht. Kaksi war alt und klug. Sie kannte alle ihre Wege und Gewohnheiten, und sie würde wohl zu ihnen zurückfinden.
Dann sahen sie sich in der Grotte um. Mit Hilfe des letzten Tageslichts, das durch die Öffnung fiel, erkannten sie, dass es eine tiefe, große Höhle war. Plötzlich entdeckte eine von ihnen in einem finsteren Winkel ein paar leuchtende grüne Punkte. »Das sind Augen!«, rief Akka. »Hier gibt es große Tiere.« Sie stürzten zum Ausgang, doch der Däumling, der im Dunkeln besser als die Wildgänse sah, rief ihnen zu: »Davor braucht ihr nicht wegzulaufen! Das sind nur ein paar Schafe, die an der Höhlenwand liegen.«
Als sich die Gänse an das Dämmerlicht der Höhle gewöhnt hatten, erkannten sie die Schafe auch. Es waren etwa ein Dutzend erwachsene Tiere und dazu ein paar kleine Lämmer. Ein großer Schafbock mit langen, gewundenen Hörnern schien der Vornehmste der Herde zu sein. Die Wildgänse gingen auf ihn zu und verneigten sich viele Male. »Sei gegrüßt in der Wildnis!«, sagten sie, doch der große Schafbock entbot ihnen keinen Willkommensgruß, sondern blieb liegen.
Da glaubten die Wildgänse, die Schafe fühlten sich gestört, weil sie in ihre Höhle eingedrungen waren. »Vielleicht ist es ungelegen, dass wir in dieses Haus gekommen sind?«, fragte Akka. »Aber wir können nichts dafür, der Wind hat uns hierher verschlagen. Wir würden uns freuen, wenn wir heute Nacht hierbleiben dürften.«
Nun verging eine ganze Zeit, ohne dass eins der Schafe darauf antwortete. Einige stießen jedoch tiefe Seufzer aus. Akka wusste zwar, dass Schafe immer scheu und wunderlich sind, aber diese hier schienen überhaupt keine Ahnung zu haben, wie man sich benimmt. Endlich sagte ein altes Mutterschaf, dessen Gesicht lang und traurig war, mit klagender Stimme: »Niemand von uns will euch den Aufenthalt verwehren. Aber dies ist ein Haus der Trauer, und wir können keine Gäste empfangen.«
»Da könnt ihr ganz unbesorgt sein«, sagte Akka. »Wir sind schon zufrieden, wenn wir einen sicheren Platz zum Schlafen haben.«
Jetzt stand das alte Mutterschaf auf. »Es wäre besser für euch, im heftigsten Sturm herumzufliegen als hierzubleiben. Aber ihr sollt nicht aufbrechen, bevor wir euch so gut bewirtet haben, wie es in den Kräften des Hauses steht.«
Sie zeigte den Gänsen eine Grube im Boden, die mit Wasser gefüllt war. Daneben lag ein Haufen Spreu und Spelzen, und damit bat sie die Gänse vorliebzunehmen. »Wir hatten diesmal einen strengen Schneewinter auf der Insel«, sagte sie. »Die Bauern, denen wir gehören, brachten uns Heu und Haferstroh, damit wir nicht verhungern mussten. Und dieser Abfall ist alles, was davon übrig ist.«
Die Gänse machten sich sofort darüber her. Sie fühlten sich jetzt sehr wohl und waren bester Laune. Als sie dann satt waren, wollten sie sich wie gewohnt zum Schlafen aufstellen. Da aber erhob sich der große Schafbock und schritt auf sie zu. Einen Schafbock mit so langen, starken Hörnern hatten die Gänse noch nie gesehen. Auch in anderer Hinsicht war er bemerkenswert. Er besaß eine breite, gewölbte Stirn, kluge Augen und die gute Haltung eines stolzen, mutigen Tieres.
»Ich kann es nicht verantworten, dass ihr einschlaft, bevor ich euch mitgeteilt habe, wie unsicher es hier ist«, sagte er. Endlich begriff Akka, dass es ihm ernst damit war. »Wenn ihr es unbedingt wünscht, dann verschwinden wir eben«, sagte sie. »Aber wollt ihr nicht erst erzählen, was euch da so bedrückt? Wir haben überhaupt keine Ahnung und wissen nicht einmal, wohin wir geraten sind.«
»Dies ist die Kleine Karlsinsel«, sagte der Schafbock. »Sie liegt vor der Küste von Gotland und wird nur von Schafen und Meeresvögeln bewohnt.«
»Vielleicht seid ihr wilde Schafe?«, fragte Akka.
»Viel fehlt nicht daran«, entgegnete der Schafbock. »Wir haben kaum etwas mit Menschen zu schaffen. Es gibt zwischen uns und den Bauern eines alten Hofs auf Gotland seit langem eine Vereinbarung, dass sie uns in schneereichen Wintern mit Futter versorgen und dafür